Von Wiedersehen und Beziehungskrise

Oh, wenn das alles hier viel leichter wär
Dann war's nie echt, wenn das hier leichter wär
Würd es nicht brennen, mit dir zu reden, wäre nur halb so schwer
Doch wir hab'n uns ja auch nie nur halb geliebt
Weil es einfach keine halbe Liebe gibt

(Florian Künstler – Halbe Liebe)

Der Enthusiasmus über den anstehenden Urlaub ist schnell verflogen.
Zum Glück hat mir das vorher niemand gesagt und zum Glück hat die Naivität in Person nicht geahnt, dass der Urlaub überhaupt nicht wie geplant los geht. Und, dass etwas wie Leichtigkeit und Unbeschwertheit nicht in ein Mondkindleben passt. Das erste Mal 14 Tage frei, seitdem ich begonnen habe zu arbeiten, hätte ein Fest werden sollen.

Samstag.
Wir sind etwas zu spät bei meinem Freund los gefahren in Richtung meines Vaters. In meinem Plan war aber tatsächlich ein Puffer drin, weil das einfach nie pünktlich klappt mit ihm, deshalb sehe ich das halbwegs gelassen.
Wir haben es kaum auf die Autobahn geschafft, als die Diskussion losgeht, die uns das Genick brechen wird. Es ist immer dasselbe Schema. Seit Wochen und Monaten. „Mondkind, wenn das für Dich nicht geht, müssen wir uns trennen.“ Während ich versuche vorrausschauend durch die Kassler Berge zu fahren, damit wir mit dem knapp 70 – PS – Auto nicht ständig hinter einem LKW auf der rechten Spur festhängen und doch zu spät kommen, explodiert in meinem Kopf ein Feuerwerk.
Es ist das erste Mal seit über zwei Jahren, dass ich meinen Papa sehen werde und irgendwie hatte ich im Vorhinein befunden, dass es jetzt eine Zeitlang friedlich zwischen uns war, sodass ich es mich vielleicht trauen kann, den Freund mit zu meinem Papa zu nehmen. Nicht ganz uneigennützig – denn so können wir wenigstens am Wochenende Zeit zusammen verbringen, nachdem die Woche danach meiner Schwester gewidmet sein wird. Und außerdem möchte ich wissen, wie das ist, wenn man eine Beziehung mal nicht heimlich führt, sondern sich auch damit in der Familie zeigt. Das habe ich mit dem verstorbenen Freund ja nie erlebt.
Aber erstmal reden wir über Trennung. Und ich bekomme nicht nur wegen dem Thema an sich dezent Panik. Sondern auch, weil wir eben gerade auf dem Weg zu meinem Papa sind und wir da nicht in einer kompletten Beziehungskrise ankommen sollten. Außerdem bin ich sowieso nervös, wie das erste Aufeinandertreffen mit meinem Papa nach so langer Zeit wird. Ich spüre, wie ich diese Verantwortung, die ich mir da aufgeladen habe, völlig falsch eingeschätzt habe. Mein Freund sollte sich einigermaßen wohl fühlen, mein Papa und ich sollten nicht völlig aneinander geraten – im Zweifel muss ich genug Diplomatie für Schadensbegrenzung aufbringen können.
Ich fühle mich ein bisschen, wie meine Eltern sich damals gefühlt haben müssen. An jenem Weihnachten, an dem sie sich getrennt hatten und wir aber das Weihnachtsfest bei meinem Onkel noch absolvieren mussten. Es sollte halbwegs harmonisch aussehen mit uns, obwohl nichts harmonisch ist – so wie sich meine Eltern damals auch verzweifelt um Harmonie gemüht haben.
Ich versuche irgendwie auf meinen Freund einzugehen, obwohl ich nicht weiß, was ich sagen soll und es unfair finde, dass er fast ausschließlich mit Drohungen arbeitet und ich ziemlich Schachmatt bin, wenn in meinem Kopf so viel Angst regiert.

Wir kommen halbwegs pünktlich an im Sturzregen. Der Sommer ist vorüber, spült die warmen und hellen Tage davon und vielleicht auch das, was zwischen uns war.
Zuerst mal gibt es Kaffee und Kuchen und ich spüre die Anspannung in mir, achte darauf, ob mein Freund mit meinem Papa und seiner Freundin halbwegs zurecht zu kommen scheint. Es ist viel oberflächlicher Small Talk, es wird viel gelacht und am Ende spielen wir noch ein Brettspiel, ehe wir aufbrechen zum Essen gehen.
Ich bin schon da unendlich emotional erschöpft, aber es funktioniert einigermaßen zwischen dem Freund und mir.
Im Anschluss sitzen wir noch eine Weile zu fünft im Wohnzimmer, ehe der Freund und ich sich verabschieden und in unser Gästezimmer im Keller gehen.
Meine Schwester wird mir am nächsten Früh sagen, dass wir wie ein „niedliches Pärchen“ gewirkt haben und ich werde feststellen, dass das Wiedersehen mit meinem Papa hinter diesem Wochenende fast unter gegangen ist und dass ich es gern mehr hätte genießen können. 

Nachbarstadt...

Im Gästezimmer reden wir stundenlang weiter. Es ist eine komische Beziehung. Die in Parallelexistenzen läuft. Auf der einen Seite planen wir unseren Urlaub für nächstes Jahr, dass ich vielleicht in meinem Psychiatrie – Jahr streckenweise bei ihm wohnen könnte, auf der anderen Seite vergeht kaum ein Wochenende, ohne dass er zu der Idee kommt nicht zu wissen, ob er sich von mir trennen muss. Ich bin langsam zu emotional erschöpft davon. Jedes Mal, wenn man eine minimale Stabilität in dieser Beziehung vermutet, geht es wieder los. Und irgendwie muss ich ihm dann auch mal erklären, dass ich nicht vertrauen kann, dass das mit uns funktioniert. Ich denke viel darüber nach, wie das wohl sein würde, wenn wir uns trennen würden. Versuche, das irgendwie für mich emotional vorzubereiten, damit dieser Schmerz mich nicht gefühlt umbringen wird. Ich weiß, dass ich in den ersten Wochen alles verfluchen werde, das wir gemeinsam erlebt haben. Weil es so viel weniger wehtun würde, wenn die guten Erinnerungen des Sommer nie existent wären. Und ich weiß gleichzeitig, dass es mit viel Zeit auch Dankbarkeit geben wird. Dankbarkeit für all die guten Momente. Dafür, dass einer der größten Wünsche einer Mondkind nochmal wahr geworden wäre. Nochmal das Licht sehen zu dürfen vor der Dunkelheit. Damit sich all das Durchhalten und Überleben irgendwie gelohnt hat.
Und irgendwann muss ich dann auch mal erklären, dass er nicht der Einzige ist, der Forderungen stellen darf. Mein Geduldsfaden ist zwar ziemlich lang, aber auch nicht endlos. Wenn eine Mondkind zu oft verletzt wird – vielleicht sage ich dann auch mal irgendwann, dass es mir reicht. Der Sommer war zwar schön, aber streckenweise auch unendlich schmerzhaft. Und so oft sind wir immer noch dort, wo wir irgendwann im Juni mal angefangen haben. Als ich mit der Kollegin hinter der Neuro saß, als er von Trennung geredet hat, bevor wir überhaupt ein Paar waren. Es hat sich abgenutzt über die Zeit, ich rechne jeden Tag damit, dass er sagt, dass er geht, aber es tut trotzdem immer noch weh.

Es ist nachts halb vier, als wir endlich im Bett liegen. Das Licht löschen.
Und zwei Stunden später bin ich schon wieder wach. Das Herz tut physisch weh in dieser Nacht, während er neben mir noch schläft.
Ich bin kaum gedanklich anwesend beim Frühstück und auch die beiden Kaffees können da eher weniger retten.
Bei dem Spaziergang, den mein Papa, meine Schwester, der Freund und ich danach einlegen, hätte ich mich zwischen die Maispflanzen legen und einfach schlafen können.

Nach der Kaffeezeit fahren wir wieder los. „Pass auf die Mondkind auf“, sagt Papas Freundin zu meinem Freund vor dem Gehen. „Mache ich“, sagt er. Macht er nicht. Kann er nicht. Wenn wir uns trennen, kann es ihm halt auch einfach egal sein, wie ich das wieder überstehe. Und die Nachbarstadt wird dann so etwas wie die Studienstadt. Ein Ort, der viele gute Erinnerungen trägt, die aber auch sehr wehtun werden. Ein Besuch an diesen Orten, geht nur alleine. Wenn ich alleine mit den Gedanken und meinem Herz bin, das gleichzeitig weh tut und voller Dankbarkeit ist.

Auf dem Rückweg glaube ich noch, verschont zu werden, aber der Frieden währt nicht sehr lange. Eine Vollsperrung in der Baustelle verlängert unsere Reise um anderthalb Stunden und kaum sind wir zurück in den Kassler Bergen in der Dämmerung, geht die Diskussion wieder los. Meine Anmerkung, dass ernsthafte Gespräche führen und eine notwendige Konzentration auf dieses Auf und Ab dieser Autobahn mich in keine gute Position zum Argumentieren bringt, zählt da nicht ganz so viel. Und langsam spüre ich, dass ich unter seinem Druck zusammen brechen werde.

Es ist schon spät, als ich das Auto vor seiner Haustür zum Stehen bringe. Die Fahrt durch die komplette Dunkelheit hat mir den Rest gegeben und ich könnte auf der Stelle einschlafen. Ich lasse ihn einfach reden. Er fragt mich Dinge und ich kann einfach nichts mehr sagen. Ich bin viel zu erschöpft nach diesem Wochenende, das so anders geplant war. Nach diesem Start in den Urlaub, der so gut werden sollte. Für den es so viele enthusiastische Pläne gab. Es fühlt sich an, als hätten diese zwei Tage die Energiespeicher einfach komplett geleert und wie ich meine quirlige Schwester, die mit ihrem eigenen Auto und dem Hamster von meinem Papa schon zu mir vorgefahren war, jetzt eine Woche lang mit Aktivitäten unterhalten soll, weiß ich noch nicht ganz.

Wie es mit dem Freund und mir jetzt weiter geht, weiß ich auch nicht. Ich konnte die Tränen nicht mehr verbergen. Die eine Mischung aus allem waren. Aus der Angst um uns, der Erschöpfung, der Enttäuschung, dass er Urlaub nicht mehr halten kann, was er einst versprochen hat und der Wut, dass er seinen Druck für absolut gerechtfertigt hält und sämtliche Schuld und Verantwortung ständig mir in die Schuhe schiebt. Und darüber, dass ich ihn trotzdem liebe. Es wäre einfacher, wenn ich es nicht täte. Aber ich vermisse ihn, sobald er nicht mehr da ist.
Ich weiß nicht, ob wir uns diese Woche wie verabredet zum Essen treffen. Ob wir unsere Urlaubswoche gemeinsam verbringen oder nicht. Ob wir wirklich nächste Woche gemeinsam in meine Geburtsstadt fahren. Ich habe keine Ahnung. Wirklich nicht.

Jetzt wartet erstmal das Bett. Nachdem meine Schwester noch etwas zu essen braucht. Ich wünschte, ich müsste morgen früh nicht aufstehen. Aber ich muss.

Mondkind

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