Gedanken zum Thema Beziehung

Wir sind immer wieder kurz davor und dann wieder fast vorbei
Kein ja, kein nein, wir bleiben ein vielleicht
Wir sind immer wieder fast schon gut und dann wieder nicht genug
Kein ja, kein nein, wir bleiben ein vielleicht
Wir bleiben ein vielleicht

(Revelle – kein Ja / kein nein)

Gestern Abend.
Wir stehen auf dem Bürgersteig vor seiner Wohnung.
Er hat mich gefragt, ob ich noch mit rein kommen mag. Allerdings wartet meine Schwester schon zu Hause auf mich, der ich zum Glück einen Wohnungsschlüssel mitgegeben habe. Und wir können hier gerade sowieso nichts mehr retten.
Ein Marder und eine Katze jagen sich im Dunklen über die Straße und durch die Gärten.
Und wir stehen da. Uns gegenüber. Er nimmt mich in den Arm. Und ich spüre, dass mein Körper bebt, die ersten Tränen sich in den Augen sammeln und auf seine Fleece – Jacke tropfen.
Ich kann einfach nicht mehr. Das ist zu viel hier.
Und als ich ihn irgendwann wieder ansehe, sehe ich auch in seinen Augen Tränen.
„Ich liebe Dich“, sagt er. „Ich Dich auch“, entgegne ich.
Ich hoffe, alle Menschen um uns herum schlafen schon. Das könnte sonst dezent dämlich aussehen.
„Warum tun wir uns das an?“, frage ich mich, während ich seine Hand zum Abschied auf meiner Schulter spüre.

Ein paar Stunden vorher, als wir auf der Rückreise in der Vollsperrung standen, hat er mich im Auto noch geküsst, bevor er ausgestiegen und schon mal vor, bis zur nächsten, etwa ein Kilometer entfernen Raststätte spaziert ist. Und nachdem er ausgestiegen ist, habe ich im Rückspiegel gesehen, wie der Typ im Auto hinter uns geschmunzelt hat.
Das was wir darstellen sieht so anders aus wie das, was es ist.
Und das macht es vielleicht auch so schwer.

Ich wünschte, wir könnten dieses Vielleicht einfach ausblenden.

(„Mondkind, ich mache mir keine Sorgen um Dich. Du bist zwischenmenschliches Drama so sehr gewohnt, Du hast Übung darin, Du steckst das weg. Auch wenn sich das bei Euch anhört, wie in so einem schlechten Roman, das ist schon so“, sagte die potentielle Bezugsperson letztens zu Situationen wie diesen). 

Springbrunnen in der Nachbarstadt... - ich liebe es normalerweise sehr dort zu Stehen

Heute bin ich so erschlagen, dass ich kaum aufstehen kann und es bis zum frühen Nachmittag dauert, bis ich überhaupt im Wohnzimmer stehe. Die Nacht war unruhig. Irgendwie bin ich anders geworden, als früher. Ich versuche, die Konflikte nicht so an mich heran zu lassen, aber da mache ich die Rechnung ohne mich selbst. Ich versuche aktiv zu bleiben und mir nicht viel anmerken zu lassen, aber wie schon bei den letzten Beziehungskrisen sind die Nächte kurz und der Magen quittiert die Sache auch entsprechend, sodass ich kaum essen kann. (Der Herr Magen ist sowieso empfindlich geworden, der findet auch die Dienste nicht mehr cool und wenn er sich zwischendurch überfordert fühlt, streikt er auch einfach).

Ich mache mir viele Gedanken. Über unser Wir.
Das Wichtigste ist vielleicht: Wenn er meint, dass er gehen muss, dann darf ich ihn nicht festhalten. Wenn er sich sicher ist mit mir nicht glücklich zu werden und dann, wie er sagt „die entsprechenden Konsequenzen ziehen muss, was eine Trennung bedeutet“, dann ist es so. Es hat keinen Sinn zu versuchen jemanden zu überreden in einer Beziehung zu bleiben, in der er nicht sein kann. Das wäre egoistisch. Und gleichzeitig wäre die letzte Umarmung - so es die je geben würde – wahrscheinlich das schmerzhafteste Ereignis seit dem Tod des Freundes. Vor dem ich natürlich immense Angst habe.
Ich mache mir viele Gedanken um das Thema Abhängigkeit. Wo fängt die denn an? Bin ich abhängig von ihm? Ein bisschen ja schon. Andererseits glaube ich, dass in jeder Beziehung bis zu einem gewissen Grad eine Abhängigkeit besteht. Wenn man den anderen nicht lieben würde, wenn man sich nicht vermissen würde, hoffen würde, dass man weiterhin Zeit zusammen verbringen darf und es einen nicht beunruhigen würde, wenn das gerade auf der Kippe steht, würde ja irgendetwas falsch laufen. Das ist manchmal meine Sorge beim Freund. Denn auf sämtliche Schwierigkeiten mit einem „Dann trennen wir uns eben“ zu reagieren, zeugt nicht davon, dass ihm das so immens wichtig ist, da Lösungen zu finden. Und vielleicht ist auch gerade diese Ungleichheit eine Einladung für den Weg in die Abhängigkeit, wo ich echt aufpassen muss, dort nicht hinein zu rutschen.

Ich finde es sowieso ganz schwierig, wenn ich genau darüber nachdenke. Es gibt so einige Dinge von ihm, die ich vorher nicht wusste und wenn ich das vorher gewusst hätte, wäre diese Beziehung mutmaßlich niemals zu Stande gekommen. Allerdings ist es eben so, dass man sich seinen Partner nicht schnitzen kann. Da finden sich zwei Menschen, die bisher ein Leben unabhängig voneinander gelebt haben, es so gelebt haben, wie sie es für richtig hielten und die Prioritäten gesetzt haben, die ihnen sinnvoll erschienen. Und jeder darf und soll in der Beziehung der Mensch bleiben, der er vorher war. Ich muss nicht alles gut finden, was er macht und Dinge, die mich nicht mal tangieren, die muss ich auch nicht bewerten. Das soll er weiter machen; das ist schon okay. Aber diese Freiheit lässt er mir umgekehrt nicht. Eigentlich könnte ich den Spieß ja auch mal umdrehen und anmerken, dass ich mich trenne, wenn er sich nicht so verhält, wie ich das gern hätte. Allerdings finde ich das eben absolut keine vernünftige Diskussionsgrundlage. Denn bei mir erzeugt es Angst. Ganz viel Leere im Kopf. Und am Ende lädt das gerade dazu ein, sich zu verbiegen, damit der andere bleibt, wenn es die einzige Möglichkeit ist. Man kann über alles reden und man findet – wenn man sich wirklich gegenseitig im Leben haben möchte – für die meisten Dinge Kompromisse, nur muss es dafür eben eine Diskussionsgrundlage geben.

Ich frage mich, wie es wäre, mit Leichtigkeit durch diesen Urlaub zu hüpfen. Zu wissen, dass wir uns ein Mal kurz zwischendurch sehen – eigentlich waren wir nämlich mit meiner Schwester zum Essen verabredet – und wie das wäre zu wissen, dass wir nächste Woche das erste Mal gemeinsam ein paar Tage in den Urlaub fahren. Eigentlich wäre (und war) das richtig aufregend, ich war so euphorisch noch vor ein paar Tagen, wie ich es selten von mir kenne.
Natürlich war mir bewusst, dass das alles ein bisschen eine Generalprobe ist. Nachdem wir seitdem wir uns kennen noch nie länger als maximal zwei Tage am Stück zusammen Zeit verbracht haben, bietet das doch viel Fläche dafür, dass da vielleicht auch Konflikte zu Tage treten. Allerdings war der Plan nun nicht, dass wir nicht mal das erste Wochenende gemeinsam schaffen. Und wie in der aktuellen Situation drei Tage Geburtsstadt funktionieren sollen – selbst wenn wir uns irgendwie notdürftig zusammen raufen würden – weiß ich gerade absolut nicht. Ich vermisse ihn sehr und ich würde am liebsten so tun, als hätte es dieses Wochenende nie gegeben, aber das lässt sich nicht einfach aus dem Kopf streichen.

Überhaupt fühlt sich diese Beziehung langsam an, wie ein Leben auf der hohen Kante. Wir vergessen das Morgen. Vergessen, dass es Morgen unendlich wehtun wird, was wir heute hier gemacht haben. Wir haben uns sowieso entschieden, vor ein paar Monaten, als ich noch keine Ahnung hatte, wie schwierig Beziehung sein kann und nur die Beziehung zwischen dem verstorbenen Freund und mir im Kopf hatte, in der ich so etwas in fünf Jahren zwei Mal erlebt habe. Aber auch nie in der Brisanz.
Wir nehmen die Momente mit, die wir in all unserem Chaos noch generieren zu können, obwohl wir wissen, dass es unvernünftig ist und alles am Ende nur noch schlimmer macht. Aber wir wissen auch, dass jede Erinnerung von heute ein Goldmoment von irgendwann sein wird.
Egal was passiert, aber dieser Mensch wird in meinen Gedanken immer bleiben. Ich habe mich noch nie so sehr zu jemandem hingezogen gefühlt und wenn ich ihn still beobachte, dann spüre ich immer noch dieses Flattern in mir, das ich seit dem ersten Tag hatte. Das Herz ist immer noch sehr verliebt und obwohl der Kopf die Realität sieht und die Hoffnung auf ein gutes Ende längst verloren hat, schauen wir noch eine Weile still dem Herz zu, das das Unheil noch nicht kommen sieht. Damit es vielleicht noch ein bisschen heilen darf, um ein bisschen mehr Puffer dafür zu haben, was da kommt. Was wir schon sehen, aber was es einfach noch nicht weiß. Fast tut es ein bisschen weh, ihm zuzuschauen.

Mondkind

P.S. Morgen wollen wir wandern gehen, wenn ich mich da irgendwie aufraffen kann, dann gibt es auch mal endlich neue Fotos... ;)

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