Von Urlaubserlebnissen und Gedanken

Ende des Urlaubs.
Waren das zwei Wochen? Manchmal fühlt es sich an, als sei ich der Arbeit (die ich absolut gar nicht vermisse) schon eine Ewigkeit fern, manchmal kommt es mir vor, als sei es nur ein Wimpernschlag gewesen.

Es war viel los.
Viele gute Momente, viele Augenblicke, die ich im Herzen tragen werde. Viele wertvolle Erfahrungen – der Trommelkurs war da schon so ein kleines Highlight. Ich habe meinem Freund meine Geburtsstadt gezeigt und auch wenn er keiner der Menschen ist, der gern viel unternimmt und sich schon mal gar nicht gern Städte anschaut, war es ziemlich schön. Meine Geburtsstadt ist halt auch einfach toll… ;) Wir sind zwei Tage lang Hand in Hand durch die Gegend gelaufen; meine Schwester kommentierte mal, dass sie auch nicht wisse, was Liebe sei, wenn sie das was zwischen uns ist, nicht sein sollte. Und dennoch hatten wir genauso den Moment, in dem wir kurz vor Mitternacht auf dem Bürgersteig vor seiner Wohnung standen, die Differenz zwischen uns gerade so groß war, dass wir nicht wussten, ob die Beziehung das überlebt und niemand in der Lage war einen Millimeter auf den anderen zuzugehen, oder dem anderen seine Sichtweise und die Notwendigkeit da einen Kompromiss zu finden, zuzugestehen. Und dann waren da auf beiden Seiten Tränen, weil es uns beiden so wichtig ist und dennoch manchmal so schwer.
Ich habe meine Oma gesehen und festgestellt, dass der Zahn der Zeit langsam auch an ihr nagt. Ein bisschen haben die Unternehmungen, die wir gemacht haben, nochmal an die „alten Zeiten“ erinnert, in denen wir Kinder waren, jedes Jahr in den Sommerferien in der Geburtsstadt waren und sie jeden Tag unsicher gemacht haben. Ab und an streift – gerade wenn man so viele Schicksale auf der Intensivstation gesehen hat – der Gedanke mein Gehirn, dass sie ja nun auch schon ein gewisses Alter erreicht hat und die Wahrscheinlichkeit, dass es nicht mehr lang so bleibt wie es jetzt ist, nun mal mit der Zeit steigt. Die letzten Begegnungen mit meiner Oma noch vor Corona waren schwierig und ich hatte da auch viel Sorge vor der jetzigen Begegnung -  und bin jetzt sehr glücklich darüber, dass es so schön für alle Beteiligten war und dass ich - glaube ich – sollten es die letzten guten Momente gewesen sein – sagen kann, dass wir da wieder einen gewissen Frieden zwischen uns gefunden haben.

Ich kann nur für mich sprechen, aber für mich haben die letzten Tage das Vertrauen in diese Beziehung doch wachsen lassen. Das Gefühl, dass es jeden Tag auch vorbei sein könnte mit dem Freund, ist nicht mehr so präsent und ich denke wir sehen, dass es trotz der Differenzen auch viele Gemeinsamkeiten und eben ganz viel Liebe gibt, für die es sich lohnt. Und selbst in den ersten Tagen Kurzurlaub, hat es sehr gut harmoniert. Wir ergänzen uns da erstaunlich gut und wahrscheinlich hätten die Wenigsten gemerkt, dass wir das erste Mal zusammen verreisen, uns ein Hotelzimmer und ein Bett teilen.
Die Autofahrten waren auch ganz gut für einige Gespräche. Ich kann nicht sagen, dass die Vollsperrung auf dem Rückweg mich großartig gestört hätte.

Und auch wenn nicht alles so perfekt lief, wie ich mir das gewünscht und erhofft habe für diesen Urlaub, bin ich doch sehr dankbar für die letzten beiden Wochen.

 

Ein Moment, den meine Schwester eingefangen hat...


***
Und dennoch… - wo Licht ist, ist auch Schatten. Und das meine ich nicht mal negativ, aber es ist einfach so und der braucht Raum. Und auch wenn eine Kollegin letztens anmerkte, dass man spüren würde, dass es mir auch mit der neuen Beziehung nicht sehr gut geht wo doch jetzt nach dem Schicksalsschlag mit dem verstorbenen Freund wieder Aufwind zu verzeichnen sei (und das eben fast wie eine Anklage wirkte), nehme ich mir die Freiheit die Schattenseiten nicht zu verheimlichen.
Denn natürlich ist vieles besser, aber nicht alles gut.

Die Geburtsstadt.
Immer mal wieder streifte der Gedanke mein Gehirn, dass genau dieser Trip eigentlich mal mit dem verstorbenen Freund geplant war. Den wir nie umgesetzt haben. Und ich kam nicht umhin mich ab und an in diesen Tagen zu fragen, von welchen Erfahrungen ich hier schreiben würde, wenn ich diese Tour mit dem verstorbenen Freund gewagt hätte.
Ich habe auch meine Bücher nochmal raus gekramt. Wie geht man um mit den schwierigen Gefühlen in der ersten Beziehung nach dem Suizid des Partners? Die Schuldgefühle sind nicht weg, nur weil ich beschließe keinen Bock mehr darauf zu haben. In diesen Tagen ist mir immer mal wieder der Satz meines zweiten Therapeuten aus der Klinik in den Sinn gekommen, der zu fast allem was ich überlegt habe, gesagt hat: „Das ist alles eine Frage von Entscheidung.“ Ich habe da schon sehr mit Bauch und Herz entschieden, aber natürlich war die Entscheidung für eine neue Beziehung eine Entscheidung, die ich genauso gut hätte unterlassen und mich dagegen entscheiden können. Ich weiß rational, dass ich mit der Entscheidung keine neue Beziehung zu führen aus diesem Schuldempfinden heraus nicht glücklich geworden wäre und gleichzeitig ist der andere Weg auch nicht unbedingt einfacher.
Und ich spüre da immer noch ganz viel Trotz in mir. Ich habe einfach keine Lust, diese Gefühle immer wieder wahrzunehmen, für mich zu überprüfen, an manchen Tagen auch standfest mir selbst gegenüber bleiben zu müssen und zu sagen: „Ich gehe den Weg weiter, auch wenn es sich heute falsch anfühlt und als sei ich die größte Verräterin auf diesem Planeten“, wenn ich nicht diejenige war, die diese fatale Entscheidung getroffen hat. Es ist unfair, dass ich so viel ausbaden muss, das ich nicht verzapft habe. Dass ich seinen Teil mehr oder weniger mit ausbaden muss. Dass ich ihn nie wieder zur Rede stellen kann, ihn nicht vielleicht auch manchmal anschreien kann, was zur Hölle er sich dabei gedacht hat (wahrscheinlich hat er in dem Moment nicht an mich gedacht, sondern war in seiner Not gefangen, das weiß ich rational und das ist auch okay). Und trotzdem nützt es nichts. Trotz diesen Trotzgefühlen und dieser Wut, die ich das erste Mal wirklich spüre, ist es jetzt eben meine Aufgabe, mich damit auseinander zu setzen. Obwohl es unfair ist. Obwohl ich es mir nicht ausgesucht und gewünscht habe. Rational weiß ich, dass es nichts nützt, dem aus dem Weg zu gehen weil ich befinde, dass das nicht meine Angelegenheit sein sollte. Praktisch werde ich dazu noch eine Weile brauchen.
Und abgesehen davon steht auch in rund zwei Wochen der Besuch bei der Mutter des verstorbenen Freundes an. Ich könnte das natürlich auch lassen, aber ich weiß, dass ich die ihm am nächsten stehende Person war und das für seine Mutter sehr wertvoll ist – und für mich halt irgendwie auch - auch wenn es schwer ist. Dennoch weiß sie bisher aber auch noch nichts von dem neuen Freund und da habe ich schon auch noch Sorge, wie sie das auffasst. 

Und dann gibt es natürlich schon auch viel zu lernen in einer neuen Beziehung. So sehr ich diese Auseinandersetzungen mit dem Freund auch manchmal hasse - insbesondere, wenn es dabei darum geht, ob wir diese Beziehung weiter führen können oder nicht - aber vielleicht ist das tatsächlich notwendig. Und genau das, was in der ersten Beziehung gefehlt hat. Wir waren beide nicht die Helden der Konfrontation.

Und nachdem diese neue Beziehung jetzt so weitreichende Konsequenzen hat (der Freund wurde – unter anderem - einfach mal zu hundert Therapiestunden verpflichtet und manchmal denke ich mir, ich würde ihm gern ein paar abnehmen und könnte die auch gut für mich selbst brauchen…), stelle ich mir schon die Frage, ob ich da genug in dieser Beziehung geben kann. Ich gebe mir schon viel Mühe, aber reicht es für ihn am Ende? Wie viel kann und möchte ich denn überhaupt geben? Wo sind die Grenzen? Wo verrate ich mich auch selbst ein bisschen?
Ich habe halt ein bisschen das Gefühl, dass die Horizontale, auf die wir diese Beziehung mit viel Bemühen gehoben haben, durch diese Auflagen auf einer anderen Ebene wieder ein Stück weit kaputt gegangen ist. Ich glaube nicht, dass es für ihn okay wäre die Konsequenzen dieser Beziehung noch absitzen zu müssen, wenn wir uns schon längst getrennt hätten, so wir eben feststellen würden, dass es so sein müsste. Diese externen Auflagen - so sehr ich das auch nachvollziehen kann, dass man das so schwer stehen lassen konnte, nachdem da wirklich ziemlich viel eskaliert ist – bringt mich jetzt halt in die Situation, da gefühlt auch viel liefern zu müssen.

Und irgendwo war dieser Sommer natürlich auch sehr anstrengend, was ich langsam in den Knochen spüre. Ich war ständig nur auf Achse zwischen der Arbeit, meiner Wohnung und der Wohnung meines Freundes, die Beziehung war und ist sehr kompliziert. Die Intensivstation ist natürlich nach wie vor eine absolute Vollkatastrophe und da war kaum Zeit, die Dinge zu reflektieren.
Und aktuell merke ich: Das fehlt mir. Diese Metaebene, dieses Auseinandersetzen mit dem, was ich da überhaupt tue. In ruhigen Minuten spüre ich die Angst, die Unsicherheit, die vielen Fragen, die diese neue Situation auch mit sich bringt. Und dann fühlt es sich manchmal an, wie ein Kartenhaus, das langsam über mir zusammen klappt, weil es so schwer ist alles zu händeln, klare Standpunkte zu haben, die man nie ausgearbeitet hat und Entscheidungen zu treffen, ohne überhaupt ein Mal überlegt zu haben: „Will ich das überhaupt?“, „Ist es okay, wie es läuft?“

Und dann klopft am Ende des Urlaubs natürlich auch schon die Arbeit wieder an die Tür. Ich habe heute den Dienstplan für Oktober gesehen und mit diesen Intensivdienstplänen gibt es – wie gewohnt – nur Ärger, weil der Intensiv – Oberarzt beim Pläne schreiben weder nach links noch nach rechts schaut. Ich wurde jetzt an einem Wochenende einfach mal für einen 24 – Stunden – Dienst auf der Intensivstation an einem Samstag eingetragen (obwohl der Deal ja eigentlich war, dass ich bis Ende des Jahres bleibe, wenn ich keine Intensivdienste machen muss, obwohl meine Pflichtzeit ja vorbei ist) und am Sonntag für einen 12 – Stunden – Dienst auf der Notaufnahme, sodass das laut Plan 36 Stunden Arbeit am Stück wäre. Da muss theoretisch jedem, der einen Blick auf diesen Plan wirft klar sein, dass das so nicht geht. Da wird sich aber niemand genötigt fühlen etwas zu tun. Ich sehe das aber auch nicht ein, mich um eine Fehlplanung zu kümmern, die ich nicht mal verzapft habe. Ich werde das mal eine Weile aussitzen, aber es nervt mich ungemein. Wir müssen uns doch nicht alle das Leben schwerer machen, als es ist.
Und auch die Intensiv an sich… - ich vermisse halt absolut gar nichts. Und auch wenn mein Freund mich schon darauf hingewiesen hat, dass das Problem auf der Intensivstation wohl eher nicht die Intensiv an sich ist, sondern meine Ängste und Unsicherheiten dort und das Problem somit bei mir und nicht bei den anderen ist, ist das für mich doch eine Grenze. Ich bin immer noch der Meinung, dass nicht jeder Mensch für alles gemacht ist, alles kann und alles können muss. Es geht nicht darum, dass ich keine Lust habe zu arbeiten – wer mich kennt weiß, dass ich normalerweise viel arbeite, wenn ich es mir halbwegs zutraue, aber auf der Intensiv bewege ich mich eher wie so eine Schlange im Dickicht, die da versucht ungesehen durchzukommen. Das ist für alle frustrierend. Für mich, für die Kollegen…  - und wenn es nach mir ginge, würde ich dieses allgemeine Leid gern verkürzen, aber danach fragt niemand und ich werde es noch drei Monate aushalten müssen. Und dennoch ist es eine enorme Belastung und  ich würde gern mal wieder so arbeiten können, wie es auch meinen Standards entspricht und so allmählich entwickelt sich da – vermute ich – auch eine Form von Trotzhaltung meinerseits. Ich habe – ich gebe es zu – keine Lust mehr, mich damit zu beschäftigen. Mein Geduldsfaden war  lang mit dieser Station, aber jetzt ist er am Ende.
Und je länger ich da bin, desto mehr schwindet auch mein beruflicher Selbstwert, habe ich das Gefühl. Und es würde mich auch nicht wundern, wenn ich irgendwann von heute auf morgen gar nicht mehr auf dieser Station bleiben kann. Der Bogen des für mich Machbaren war schon vor Wochen überspannt - natürlich interessiert das aber eher Weniger. Es ist eben nur die Frage, was dann passiert.
Und wenn es noch einen Schubs gebraucht hat um zu überlegen, ob die Neuro meine Zukunft ist, dann war es die Intensiv, auf der ich irgendwie begriffen habe: Die Neuro ist nicht meine Zukunft. Ich kann es auch taktischen Gründen vielleicht (sehr vielleicht und eigentlich nicht) noch bis zum Facharzt machen, aber ich möchte dort nicht bleiben. Wenn ich könnte, würde ich nicht mal in der Medizin bleiben. Ich konnte so viele Jahre die Augen davor verschließen, dass ich etwas studiert habe, für das ich mich nie freiwillig entschieden hätte, aber jetzt ist langsam der Punkt an dem ich glaube ich begreife: Ich kann das theoretisch weiter machen. Aber es macht mich nicht glücklich und es zieht zu viel meiner Energie, die ich gern für andere Dinge nutzen würde. Weil da so viel innerer Widerstand ist, den ich täglich überwinden muss. Mein Freund erzählt, dass ihm seine Arbeit Spass macht und auch wenn es Stationen gab, auf denen ich viel lieber gearbeitet habe, und es da auch streckenweise recht gut lief, aber für mich hatte und hat das eben viel mit Ängsten, einem Durchhalten und Überstehen zu tun und ich frage mich, wie das wäre, wenn der Job und all das damit verknüpfte Unwohlsein mal nicht so ein zentrales Thema meines Lebens wäre. Wenn da nicht bei jedem Ereignis, auf das ich mich freue sofort der Gedanke wäre: "Ja aber bis dahin gibt es x Arbeitstage und x Dienste zu überstehen."

In den letzten Tagen bemerke ich: Es ist nicht einfach und manchmal habe ich echt ein bisschen die Sorge, dass es am Ende doch zu viel ist. Und da ein altes „ich werfe mir erstmal irgendwelchen Ballast von den Schultern, egal was das für Konsequenzen hat“ zu Tage kommt.

So – ich genieße jetzt mal noch den Sonntag mit dem Freund und dann geht es weiter. Mit Intensiv und Diensten und dem alten Wahnsinn. Und es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass mir dabei nicht ordentlich mulmig wäre.

Mondkind

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