28 Monate

Hey mein lieber Freund,
wie geht es Dir?

Du weißt, ich habe Dich besucht im letzten Monat. Ich habe festgestellt, dass Du nicht ganz so anonym beerdigt bist, wie Deine Mama mir das immer gesagt hat. Und ehrlich gesagt, ich bin mir selbst so dankbar, dass ich es gewagt habe, den Friedhof zu besuchen und mich auf die Suche nach Dir zu machen.
Es war so ein ambivalentes Fühlen, als ich dort vor Deinem Holzkreuz stand. Dieser Gedanke, dass wir beide nicht wussten, was sein würde, wenn wir uns das nächste Mal physisch so nah sind, dass es weder hier noch in der Studienstadt sein wird und dass ich dazu werde auf einen Friedhof gehen müssen, zerreißt mir immer noch beinahe das Herz, sobald ich ihn denke. Und gleichzeitig bin ich so unfassbar dankbar, dass Du noch einen Platz hast. Dass es einen Ort gibt, der Dir gehört, den man gestalten kann. Ein winziges Fleckchen Erde, das immer noch Dir und uns und der Erinnerung gehört.
Ich hätte nicht gedacht, dass mir das so viel gibt. Die Menschen haben immer gesagt, dass ein Friedhof ja nur ein Ort ist, aber die Erinnerungen woanders sind. Und klar – das stimmt in gewissen Teilen, aber ich habe da eine ganz intensive Nähe zu Dir gespürt und ich habe gespürt, dass es für mich wichtig ist und sein wird, diesen Ort zu besuchen.
Und ich werde mein Versprechen halten. Ich werde wieder kommen.

Als ich bei Deiner Mama war, habe ich einen Blick über die Bücher geworfen, die dort lagen. Und eins ist mir ins Auge gesprungen: „Ronja von Rönne – wir kommen“. Ich habe von ihr gehört, weil sie letztens ein neues Buch veröffentlich hat, das ich noch nicht gelesen habe. „Das gehörte Thomas“, sagte seine Mutter und fügte hinzu, dass es interessant ist, was Du da alles markiert hast.
Ich  habs mal durchgeblättert. Genau habe ich die Logik nicht verstanden von dem, was da unterstrichen war.  Manchmal wünschte ich, ich hätte Dein Bücherregal geerbt; Du hast in Büchern immer so viel Wunder gefunden. Irgendetwas, das Dich gehalten hat, Dich inspiriert hat und manchmal habe ich ein paar Fotos mit Buchausschnitten bekommen.



Ansonsten… - hier gibt es wenig Neues. Intensivstation, Dienste ohne Ende, massivste Erschöpfung, privat auch ne Menge Stress. Ich blättere manchmal durch die Bücher, in denen unsere Konversationen abgedruckt sind… und manchmal lese ich da Dinge, die mir das Herz brechen. Immer und immer wieder. Und ich glaube, das wird nie aufhören. „Ich pass auf Dich auf – versprochen“, steht dort von Dir geschrieben. Ich wäre so dankbar gewesen, wenn der Mensch, auf den Du aufgepasst hättest, Du selbst gewesen wärst. Damit hättest Du indirekt auch auf mich aufgepasst.
Ich vermisse uns so sehr. Diese Leichtigkeit. Ich kann mich nicht erinnern, dass es oft schwer zwischen uns gewesen wäre. Und wenn ich an uns denke, dann denke ich so oft daran, wie ich mein Fahrrad hinter der Urologie geparkt habe und voller Vorfreude in Richtung Bahnhaltestelle gelaufen bin, um Dich dort abzuholen. Und ein Bild, das ich auch immer im Kopf habe ist, wie wir zusammen im Medienhafen sitzen. Rücken an Rücken. Den anderen atmen spüren. Und einen unendlichen Frieden in mir und mit dieser Welt. Es gab manchmal so Momente aus dem Nichts, die für die Ewigkeit meines Lebens bleiben werden.
Ich vermisse diese Zeit so sehr.

Ach und noch etwas: Ich habe wieder eine Brille. Ich glaube, Du hattest mich noch mit Brille kennen gelernt, oder? Da hatte ich sie wenigstens ab und an noch auf… aber diesmal keine Lesebrille sondern eine Brille für die Ferne. Meine Güte, ich werde alt… ;) Die Brille und ich freunden sich gerade noch an…

Du fehlst hier. Ich werde die regelmäßigen Sprachnachrichten, die immer mit einem „Schönen guten Morgen [Mondkind]“ anfingen für immer im Kopf behalten. Manchmal sitze ich morgens mit meinem Kaffee am Tisch und dann kommt es mir einfach in den Kopf. Diese Stimme und dieser Tonfall. Du kannst nicht glauben, wie sehr mir das fehlt. Wie gern ich es noch ein Mal hören würde. Wie sehr ich mich danach sehne in die Studienstadt zu fahren und alles wäre beim Alten.

Ganz viel Liebe
Mondkind



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