Erschöpfung

Dienstagabend.
Wir sitzen auf dem Sofa.
Ich versuche etwas zu sagen. Ich habe die Worte auch im Kopf, aber irgendwie findet das was ich sagen möchte nur schwer den Weg in den Raum.
Er versteht es auch nicht.

Eigentlich waren wir an diesem Abend echt gut in der Zeit, aber es wäre kein Zusammentreffen zwischen uns Beiden, wenn das nicht doch noch eskalieren würde. An Situationen, von denen ich das im Vorhinein nie glaube. Ich denke mir nichts dabei und merke, wie er mir Sekunden später entgleitet. Und weiß, dass die nächsten Stunden wieder schwierig werden. Weil ich ihn da auch nie einfangen kann. Egal was ich sage – das bringt alles nichts.

Meistens reden wir über ihn und wie sehr ihn das verletzt und kränkt, was ich so alles tue oder auch nicht tue, sage oder auch nicht sage. Wir reden selten über mich. Und darüber, wie sehr ich mich in dieser Beziehung mittlerweile reglementiert fühle. Er hat keinen Erziehungsauftrag für mich. Manchmal kommt es mir vor wie früher bei meinen Eltern, wo man auch mal grundsätzlich alles falsch gemacht hat. Und grundsätzlich auch nie gut genug war.

Und ich spür da was.
Seit Wochen schon.
Und jetzt ist es da. Und wird auch erstmal nicht mehr gehen. Der Punkt, an dem man das noch hätte umkehren können, ist vorbei. Ich hab’s gespürt, dass ich da irgendwie etwas gebraucht hätte um das zu verhindern, aber es war nicht machbar. Hat irgendwie nicht gepasst.

Ich erinnere mich an das Ende des Sommers.
Jenes Wochenende, an dem ich mit zwei Kolleginnen und Freundinnen auf dem Konzert war. Die alte Konzertliebe mal wieder in mir spüren konnte. Kurz davor hatten der Freund und ich Meinungsverschiedenheiten. Wie so oft. Und wir hatten beschlossen wir sehen uns einfach mal nicht an diesem Wochenende. Und dann war das Konzert in seiner Stadt und irgendwie haben wir es dann doch nicht ausgehalten.
Für mich war das ein Schlüsselmoment in dieser Beziehung. Ich werde nie den Moment vergessen, wo ich unten an der Brücke stand in dieser warmen Sommernacht, der Springbrunnen hinter mir rot angeleuchtet wurde, ich noch ganz euphorisch vom Konzert war und ihn habe den Berg hinunter spazieren sehen, weil er mich abholen wollte. In dem Moment habe ich gespürt, wie bescheuert das ist, dass sich zwei Menschen so sehr lieben und es sich gegenseitig so schwer machen. Und irgendwie habe ich damals gemeint, dass mir klar geworden ist, dass ich nie aus dieser Beziehung raus gehen werde. Wenn, dann muss er das machen, wenn er so sehr unzufrieden mit mir ist.

Seitdem ist viel Zeit vergangen. Viele Wochen und einige Monate.
Und heute sieht das alles anders aus.
Heute ist das Grau wieder in meine Welt eingezogen. Diese Wand zwischen mir und allem, was sonst in dieser Welt ist. Diese Erschöpfung, die da ist, sobald ich die Augen aufschlage. Die alle immer müde belächeln, aber die sich wie eine Krake um meinen Körper legt und manchmal reicht es nicht mal ganz still zu liegen und nicht mal mehr den kleinen Zeh zu bewegen, damit es erträglich scheint. Und während ich mir den ganzen Sommer dachte, wie bescheuert es doch ist, Psychiatrien als entlastenden Ort zu betrachten, wenn man doch das Leben, alles was mit Unternehmungen zu tun hat, gemeinsamer Zeit, gemütlichen Sonntagen hinter sich lassen muss, um sich einem tristen Klinikalltag anzupassen, kann ich das jetzt wieder so gut nachvollziehen. Es geht darum, Ballast abzuwerfen. Alles, was eben geht. Weil man in diesem inneren Rückzug, dem Igelmodus, wie ich ihn immer nenne, eben nichts mehr will. Sich nicht mehr um die Arbeit kümmern, die Beziehung, geschweige denn irgendwelche Freizeitaktivitäten. Es ist alles zu viel. Und egal, ob der Ballast den man da abwirft in guten Zeit Spaß macht oder nicht – das ist dann alles egal. Wenn alles zu viel ist, ist auch das Gute zu viel.
Der Freund sagt, er bemerkt diese Gereiztheit. Ob es ihn stört, weiß ich nicht. Ich hab ihn nicht gefragt. 



Aber das Problem, das ist ein anderes. Neben der unendlichen Erschöpfung. Und der Tatsache, dass ich am Liebsten nie wieder aufstehen würde. Das Problem ist diese Gleichgültigkeit. Allem gegenüber. Es nimmt ein bisschen die Tausend Ängste auf der Arbeit weg. (Obwohl die – so befürchte ich – nicht wirklich weg sind, wenn ich nachts unzählige Male aufwache und irgendwelche Katastrophenszenen vom Dienst oder von der Intensivstation im Kopf habe). Aber es nimmt auch alles das mit, das eigentlich gut wäre.
Ich spüre uns nicht mehr. Weder den Freund noch mich. Und ich hoffe, ich liebe ihn wirklich noch, wenn man dieses Mäntelchen von mir runter nehmen würde. Aber ich weiß es nicht. Ich hoffe, es ist nicht zu viel passiert. Zu viele Konflikte, in denen ich mich immer so sehr ungesehen gefühlt habe, von denen ich immer dachte, ich kann das händeln und aushalten so viele Schritte auf ihn zu gehen, so viel verzeihen, all seine Launen aushalten, wenn es dafür ein „Wir“ bleiben kann. Weil am Ende – so habe ich am Grab des verstorbenen Freundes so sehr gefühlt – nur die guten Momente zählen und nicht all die Schwierigkeiten, die es dazwischen gab. Auch, wenn es dennoch ein basales Gleichgewicht geben muss.

Und ich hoffe sehr, das kommt alles eines Tages zurück. Ich hoffe sehr, ich werde irgendwann wieder mein Herz fühlen, wenn ich bei ihm zur Tür rein schneie und er mich erstmal lange in den Arm nimmt. Wenn wir nebeneinander im Bett liegen, er ganz nah an mich ran gerückt ist und ich kaum noch spüre, welcher Körper zu wem gehört.
Aber ich habe Angst. Dass es nicht mehr kommt.

Erstmal wird es alles lange dauern. So war es immer. Und je länger das so ist, desto schwerer wird das auch. Letztes Jahr habe ich vier Wochen gebraucht, bis wieder irgendetwas ging. Und da hatte ich absolut nichts zu tun, außer bei den Therapien körperlich – und wenn möglich – geistig anwesend zu sein, aber das habe ich ehrlich gesagt als ziemlich optional verstanden.

Ich muss verstehen, warum das alles wieder so ist. Und wie ich es lösen kann.
Ich glaube, der Job ist nicht unschuldig. Und dieses Gefühl, dort so ausgeliefert zu sein und nichts machen zu können, außer zu warten, bis ich primär endlich von dieser Intensiv runter darf und bis dahin im Dienst hoffentlich niemanden umgebracht zu haben. Und dann, bis ich endlich das Psychiatrie – Jahr machen darf, vielleicht das erste Mal im Leben wirklich das machen darf, das mich interessiert und wenn ich viel Glück habe, muss ich vielleicht nie wieder zurück an den alten Arbeitsplatz.
Sicher liegt es auch an der Beziehung. An all den Konflikten, die ich so schwer aushalten kann, dass das gerade in den letzten Wochen nochmal schwieriger geworden ist und ich mich da dauerhaft kritisiert und irgendwie falsch fühle. Aber wahrscheinlich ist auch die ständige Fahrerei zwischen meiner Wohnung und seiner Wohnung nicht zu unterschätzen, denn auch das ist natürlich Stress.
Und dann – habe ich die Mutter des verstorbenen Freundes besucht, habe sein Grab gesehen und natürlich hat das nochmal viel bewegt. Und so deutlich gemacht, dass keine von diesen Überlegungen der letzten zwei Jahre zu einem Frieden gekommen ist. Es tut immer noch so sehr weh, diesen Menschen verloren zu haben, sich so sehr dafür verantwortlich zu fühlen und so ziemlich das Einzige verloren zu haben, das all die schwierigen Jahre vor und nach meinem Auszug zu Hause das einzige Gute, die einzige verlässliche Konstante war. Es ist unfair, dass er nicht mehr hier sein kann. Dass er dieses „irgendwann wird alles okay“, was wir uns mantraartig immer wieder gesagt haben, nie erlebt hat.

Ich muss jetzt erstmal in den Spätdienst. Wie ich morgen arbeite, weiß ich übrigens auch noch nicht ganz. Hoffentlich noch ein Spätdienst.
Und das Helfersystem kann mir auch nicht mehr helfen gerade. Die potentielle Bezugsperson war natürlich nicht hilfreich und die ehemalige Therapeutin aus der Studienstadt ist zwar wieder aus dem Urlaub zurück, hat mir aber erst einen Termin für Mitte Dezember angeboten. Das wird also alles noch lange dauern…

Mondkind


Bidquelle: Pixabay


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