Konflikt X

 „Immer nach vorne, ruhig und gerade.“
Ein Satz, den mal ein Mensch gesagt hat, den ich sehr geschätzt habe. Und der mich in Situationen wie diesen. immer ein bisschen zurück holt.

Konversation mit dem Freund.
Gestern Abend nach dem Spätdienst.
„Bist Du immer noch wütend auf mich?“
„Ja“
„Ich verstehe das nicht richtig… - also den Grund dafür.“
„Den erzähl ich Dir gern, wenn wir uns das nächste Mal sehen.“
„Es beunruhigt mich aber schon ein bisschen…“

Die Leserschaft darf jetzt raten, wie lang ich nach diesem Austausch heute Nacht geschlafen habe. Wer jetzt an irgendetwas zwischen ein und zwei Stunden geraten hat, liegt ganz gut.

Ich weiß nicht, wie ich diesen Dienst heute packen soll.
Ich weiß es einfach nicht. Letzte Nacht nicht geschlafen, die Nächste mutmaßlich auch nicht und wenn ich das nächste Mal die Augen zu machen darf, ist Samstagmittag, der Dienst ist vorbei, ich habe geduscht, gepackt und bin die knapp 35 Kilometer zum Freund gefahren. (Wir hätten uns eigentlich ernsthaft überlegen sollen, ob er herkommt, damit mir die letzte Etappe erspart bleibt…)

Und dann werden wir reden müssen. (Ich hoffe, er lässt mich wenigstens erst ein paar Stunden schlafen oder zumindest ausruhen…). Reden über das, was da passiert ist. Und was natürlich nicht hätte passieren dürfen. Und natürlich ist das auch wieder mein Fehler – das sehe ich sogar ein. Ich hätte mich einfach zusammen reißen müssen. Zehn Minuten später hätte ich im Auto gesessen, dann hätten wir jetzt kein Problem. Ich konnte die Tränen aber eben einfach nicht mehr halten – das zählt natürlich überhaupt nicht als Begründung. Früher gab es Taschengeldabzug für Weinen, heute löst es eine Beziehungskrise aus, noch bevor die Letzte zu Ende ausdiskutiert ist.
Und es ging ja gestern schon gut los. „Mondkind, das kommt mir alles vor wie eine Show.“ Letzten Endes – er darf sich von allem, was ich mal so in den Raum schmeiße höchstgradig verletzt fühlen und ich… - schaffe das irgendwie nicht zu sagen, dass das so höchstgradig verletzend ist, was er da sagt. Und ich befürchte, die Diskussion wird auf diesem Niveau weiter gehen und es wird einfach nur weh tun. Verständnis für den anderen – oder auch nur den Versuch davon – haben wir füreinander schon lange nicht mehr. Auch wenn – wie gesagt – diesmal wirklich klar ist, dass der Fehler bei mir lag. (Auch, wenn es natürlich schön wäre, vom Partner in seiner Situation einfach mal gesehen zu werden - gerade wenn es klar ist, dass man aktuell so verletzbar ist - aber das hat weder mit ihm, noch mit sonst irgendwem geklappt. Ernst genommen wurde ich da nie und den Wunsch habe ich zwar immer noch, weiß aber, dass das nicht realistisch ist. Aber es wäre zumindest schön, nicht verurteilt zu werden). 

Das drücken ziemlich gut aus, wie ich mich aktuell fühle...

Heute Nacht – als ich es dann mit dem Versuch zu Schlafen endgültig aufgegeben habe – läuft Revolverheld auf Dauerschleife. „Unsere Geschichte ist erzählt“.
„Du hast Dich noch nicht richtig für mich entschieden“, sagte der Freund letztens mal. Was irgendwie seltsam weh getan hat. Ich war mir in diesem Sommer so sicher, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Und dass sich all die inneren Konflikte dem verstorbenen Freund gegenüber lohnen. Aber nach den letzten Wochen…
Ich kann das nicht mehr lange. Es geht einfach nicht mehr. Es gibt neben der Beziehung auch noch irgendeinen Alltag, der zu bewältigen bleiben muss. Er weiß genau, dass ich heute Dienst habe. Mich so in die Nacht zu schicken vor einem 24 – Stunden – Dienst ist schon ziemlich fies. Ich glaube allerdings, er hat bis heute nicht richtig nachvollziehen können, was ein 24 – Stunden – Dienst in der Notaufnahme bedeutet und dass es vor allem wichtig ist, irgendwie fit zu sein. Und dass es schöner gewesen wäre, darüber gestern Abend noch zu sprechen – vielleicht hätte ich dann keine acht, aber zumindest fünf Stunden schlafen können.

Und ich glaube, egal wie sehr ich es kommen sehe – aber diese Trennung wird wahrscheinlich das schmerzhafteste Ereignis seit dem Tod des Freundes. Ich glaube, ich liebe diesen Menschen immer noch sehr. Und gleichzeitig haben die letzten Wochen so viel Distanz zwischen uns geschaffen, dass ich das für kaum noch rettbar halte. Und es ist ja auch kein Ende in Sicht. Jedes Mal, wenn wir uns sehen, eskaliert es wieder und ich spüre mittlerweile so viel Anspannung, wenn ich diese Straßen in die Nachbarstadt fahre.
Ich komme manchmal an Songs vorbei, die einige Zeit auf Dauerschleife liefen. So zum Beispiel „Alexa Feser – Linie 7“. Das war so eines der Lieder von Mai/Juni. Und das weckt nochmal dieses Lebensgefühl von damals. Da war so viel Euphorie, so viel tiefer Frieden, wenn ich über diese Straßen gefahren bin, so viel Optimismus, dass ich vielleicht den Weg zurück ins Leben gefunden habe. Das gibt es heute alles nicht mehr. Der Freund meinte letztens mal „Die Honeymoon – Phase ist vorbei.“ Ich glaube, es ist mehr als das. Viel mehr.
Und ich vermisse ihn jetzt schon. Wo er ja noch hier ist. Aber wir sind eben nicht mehr die, die wir mal waren. Er telefoniert manchmal mit einer Freundin, wenn ich dabei bin. Und auch, wenn die beiden nur ein paar Sätze miteinander sprechen ist klar, dass die sehr viel liebevoller und rücksichtsvoller miteinander umgehen können, als wir beide miteinander. Und oft tut auch das seltsam weh. Vermutlich ist unsere Zeit einfach vorbei. Und ich glaube auch nicht, dass man einfach Konflikt auch Konflikt stapeln kann. Auch, wenn vielleicht nur still und leise, aber jeder Konflikt macht etwas mit mir. Vermittelt mir irgendwie das Gefühl, einfach nicht gut genug für ihn und für diese Beziehung zu sein. Und vielleicht… - soll ich auch einfach keine Beziehungen führen.

Ich muss erstmal den Dienst irgendwie rocken. Ohne Fehler, wenn es geht. Obwohl ich irgendwie auch schon weiß, dass irgendwann heute Nacht der Moment kommen wird, in dem ich vor Erschöpfung einfach im Dienstzimmer sitze und (natürlich ungesehen) ein paar Tränen verlieren werde. Und dann nach einem Blick auf die Uhr feststellen werde, dass es „nur“ noch x Stunden sind, in denen es um mein Durchhalten und um das Überleben der Patienten geht.
Und danach… - sehen wir weiter.


Mondkind

Bildquelle: Pixabay

Kommentare

  1. Verstehe ich das richtig, dass er sauer auf dich ist, weil du GEWEINT hast? Girl. Take your things and run. Der Typ hat eindeutig ein ganz gewaltiges Problem, und du tust auch noch so, als wäre es deine Schuld.

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    1. Ich weiß es ja noch nicht. Ich vermute, er hat da irgendein anderes, grundsätzliches Problem, das dahinter steckt. Im Moment bin ich auch schwer irritiert und frage mich, ob das okay ist, dass er sauer wird, wenn ich traurig bin. Ich meine, ich kenne das, das ist nichts Neues für mich. Nicht unbedingt in Zusammenhang mit ihm, aber grundsätzlich ist es mir geläufig, deshalb bin ich auch nicht so super schockiert darüber, nur ziemlich traurig und enttäuscht.
      Wir werden es schon noch klären... - aber eben erst morgen, nach dem Dienst, nach dieser Nacht, vor der ich so viel Angst habe, nachdem mir schon im letzten Dienst etwas durchgegangen ist. Das war auch ein heftiger Dienst - das hat jeder gemerkt - und es kam niemand zu Schaden, aber es ärgert mich immer.

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