Gedanklicher Verkehrsunfall

 „Mein Name ist…“. 30 Sekunden des neuen Songs von Alexa Feser auf Dauerschleife. Er kommt genau zur richtigen Zeit. Hilft mir, die Gedanken ein bisschen ziehen zu lassen.

Dieses Gefühl, wenn man nicht mehr weiß, wohin mit sich. Wenn es einem über den Kopf wächst. Überhand nimmt. Wenn man nur dastehen kann, innerlich verbrennen, sich fragen, was bloß passiert ist. In sich drin gefangen sein. Ich fühle es und ich kann es nicht verbalisieren. Stattdessen mache ich weiter, als wäre nichts, weil ich nicht weiß, wie ich das durchbrechen kann und weil doch eigentlich alles gut ist. Egal was ich versuche, schreiben, reden, explodieren, aber die Grenze kann nicht eingerissen werden.
Nur der Körper, der quittiert das. Lange nicht mehr so viel Kopfschmerzen und Magenschmerzen gehabt, Müdigkeit verspürt, die nur noch unangenehm ist, egal wie viel ich ausgeruht habe. Wie soll ich die nächste Woche so überstehen…? Aber wenn ich mich auf ein was verlassen kann dann darauf, dass es am Ende immer geht.

Manchmal denke ich, der ehemalige Freund war doch genug Übungsfeld. Und ich glaub oft gar nicht an das Schicksal oder so, aber vielleicht musste es so sein, dass ich die erste Beziehung nach diesem Drama mit einem Therapeuten geführt habe. Denn egal ob der Job zwischen uns stand oder nicht, aber es war klar, dass dieses Thema Raum braucht und ihn auch bekommt. Und vielleicht wusste das Schicksal von Anfang an, dass das ein kurzes Intermezzo wird, aber dass es die einzige Möglichkeit ist, mich zurück auf den Weg zu schubsen. Vielleicht wird er ein Teil davon sein, dass ich das am Ende überlebt habe. Weil ich erst durch ihn den Mut gefunden habe, mich auch außerhalb schützender Mauern auf männliche Wesen einzulassen.
Wäre der ehemalige Freund nicht gewesen, würden sich der Kardiochirurg und ich aktuell nicht treffen. Da bin ich mir ziemlich sicher. Und vielleicht ist das Vermissen der Preis, den ich dafür zahlen musste.

Und doch ist es so unendlich viel komplizierter, als ich das geglaubt habe.
Es ist, als wäre ein Stau in meinem Gehirn entstanden. Als wäre der erste Schreck darüber, dass das Herz mal wieder die Mauern eingerissen hat, ohne vorher das Hirn zu fragen eine Vollbremsung gewesen und als wären alle weiteren Sorgen, Schuldgefühle, Traurigkeit und eine Menge Erinnerungen einfach hinten drauf gefahren. Und manchmal komme ich mir vor, als würde ich neben der Autobahn hinter der Leitplanke stehen und mir die Ohren zuhalten vom Krach und trotzdem wie hypnotisiert auf das Chaos vor mir schauen.

Und wenn der Kardiochirurg dann mal kurz hier ist, wir zumindest mal 20 Minuten in Ruhe auf den Sofa liegen können, während das Essen im Ofen steht; wenn ich meinen Kopf auf seiner Brust liegen habe und sein Herz schlagen höre, während er den Arm um mich gelegt hat, dann ist es, als würde er mich mal kurz von diesem Verkehrsunfall in meinem Kopf weg ziehen. Dann wird der Lärm mal kurz ruhiger und ich erinnere mich, dass das hier alles nicht mit Chaos, sondern mit einem Flattern im Herzen angefangen hat.

Nur leider gibt es aktuell keinen Adressaten für diesen Verkehrsunfall.
Der Kardiochirurg und ich hören und sehen uns so selten, wir müssen erstmal das Jetzt auf die Reihe bringen, lernen, uns zu koordinieren, damit man überhaupt mal irgendwann von Kennlernphase sprechen kann, ehe wir einen Blick zurück schmeißen können. Wir sind noch lange nicht so weit, als dass wir sagen könnten, dass Schwierigkeiten, die bei einem aus einer gemeinsamen Verbindung entstehen und nicht mal etwas mit dem Jetzt zu tun haben, uns beide etwas angehen.
Dieses Wochenende haben wir uns anderthalb Stunden gesehen und natürlich wieder nicht so, wie es verabredet war. Heute waren wir eigentlich auch zum Frühstück verabredet, aber ich vermute er ist nach dem Nachtdienst einfach eingeschlafen.




Und ich weiß auch gar nicht genau, was jetzt helfen könnte. Diese Massenkarambolage müsste mal zu einem Ende kommen. Jemand müsste die Autobahn mal sperren. Ich glaube, wenn es gut läuft, dann wird die Zeit Ruhe bringen. Vielleicht kann das Hirn irgendwann aufhören Stress zu machen, wenn es spürt, dass das Herz sicher aufgehoben und nicht in Gefahr ist, trotz der Tatsache, dass es seitdem immer noch nicht richtig zurück in den Takt gefunden hat. Wenn das Hirn nicht mehr glaubt es schützen zu müssen. Aber es ist eben sehr unruhig und unsicher zwischen dem Kardiochirurgen und mir. Noch zumindest.
Und was die Schuldgefühle anbelangt – ein bisschen wird das wohl immer bleiben. In ruhigen Minuten. Denn egal wie oft die Leute mir sagen, dass ich nicht Schuld war – es sind so viele Entscheidungen, die ungünstig getroffen wurden. Vielleicht war es nicht die eine Entscheidung, vielleicht war es nicht der eine Moment. Sondern die Summe. Und meine Naivität. Was man sich nicht vorstellen kann, das kann auch nicht passieren. War die Überzeugung. Und irgendwann weiter zu machen, als sei das nicht passiert, wird sich sicher nie ganz richtig anfühlen.

Und trotzdem weiß ich, ich muss da durch. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht, wenn ich nicht ewig alleine bleiben möchte. Und das möchte ich nicht.
Nur manchmal – manchmal würde ich mir wünschen, es gäbe noch ein bisschen professionelles Helfersystem, denn ich bin nicht nur Unfallbeobachter, sondern eben auch Rettungsdienst in meinem Hirn, der sich noch nicht koordiniert hat. Wobei selbst die meisten „professionellen Helfer“ ziemliche Tröten auf dem Gebiet sind, wie wir mittlerweile gelernt haben und nicht unbedingt eine Hilfe.

Ich hab nochmal ein bisschen in dem Buch von Stephanie Mauer umher gelesen.
Aber da steht nicht geschrieben, wie man das macht, mit dem Beziehungsleben Danach. Aber sie ist heute verheiratet und hat Kinder. Es geht also. Und was andere Menschen schaffen, kann ich schließlich auch schaffen. Ich hab schon mehr geschafft, als das. Glaube ich.

Und jetzt bin ich gespannt, wie es morgen in die neue Woche geht. Zwei Tage Dienst bis ins nächste Wochenende rein und dazwischen Frühdienst. Und den Feiertag arbeite ich auch. (Es wäre für die Arbeitsbelastung wohl besser, es gäbe ihn nicht). Dazwischen Chaoskopf. Und Wut runter regeln. Nochmal mit dem Oberarzt sollte ich mich nicht anlegen. Vielleicht sollte ich mir vornehmen erst drei Mal tief einzuatmen und mir zu überlegen, ob das so schlau ist, einer vorgesetzten Person etwas entgegen zu feuern.

Mondkind

Bildquelle: Pixabay

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