Von Prioritäten und Unsicherheiten

Es gibt ein bisschen Stress im Kollegium. Wegen Diensten.
Es ist halt immer wieder interessant was passiert, wenn man seine gewohnte Position verlässt. Es wissen nämlich alle: Wenn man einen Dienst tauschen möchte, fragt man zuerst die Mondkind. Die ist immer bereit zu tauschen und hat selten etwas vor.

Eine Kollegin, mit der ich mich normalerweise recht gut verstehe und mit der ich mich auch privat immer mal wieder treffe, ist aktuell richtig sauer auf mich. Sie wollte nämlich unbedingt, dass ich ihren Freitagdienst nehme – also heute – und sie hätte meinen Sonntag genommen. Das wäre zwar theoretisch gar nicht so unattraktiv, aber da der Kardiochirurg am Sonntag auch arbeiten muss, wäre ich ja schön blöd, wenn ich die ganze Freitagnacht arbeiten würde und am Samstag dann ganz müde wäre.
Ein anderer Kollege wollte auch einen Dienst mit mir tauschen und ist da auch ein bisschen auf Granit bei mir gestoßen. Am Ende hat sich auch heraus gestellt, dass er seinen Dienst für ein Fußballspiel tauschen möchte. Ich weiß nicht… - wenn es um Fortbildungen oder Familienfeiern oder was auch immer geht, bin ich ja noch viel mehr bereit mal zu tauschen, aber damit die anderen ihre Freizeit bekommen und ich dann zurück stecke… ? Das ist doch nicht sinnvoll…

Aber ein bisschen schlecht fühle ich mich schon…
Und ein bisschen blöd ist der Dienstplan natürlich auch wieder. Ich habe wieder in einer Woche drei Dienste, darunter an einem Feiertag, aber zumindest ist das die Nachtdienstwoche des Kardiochirurgen – dann haben wir vielleicht unsere Dates demnächst nachts um 2 im Krankenhaus, wenn die Stationen zur Ruhe gekommen sind, statt bei mir oder ihm oder irgendwo im Café.

Und ich weiß auch schon, warum ich versuche im Raum um mich herum erstmal nicht viel zu erzählen. Einige Kollegen haben unseren Tanz umeinander auf der Station damals vor dem Urlaub mitbekommen und wenn sich im langweiligen Arbeitsalltag eine Beziehung anbahnt, ist das wahrscheinlich Gesprächsstoff über Wochen. Jedenfalls gibt es schon wieder die ersten Kollegen, die anfangen mit: „Ja aber Mondkind, Du kannst doch jetzt Deine Dienste nicht nach ihm ausrichten und sowieso ist er eigentlich ein ziemlicher Egoist.“ Und ich will das alles nicht hören. Weder will ich hören was ich zu tun und zu lassen habe, noch möchte ich ungefragt die Meinung anderer Menschen über ihn anhören müssen. Ich möchte mir mein eigenes Bild von ihm bilden und ich habe da auch meine Kritikpunkte, aber ich möchte nicht alles durch einen Filter sehen müssen, den die anderen mir vor die Augen setzen.

***
Die letzte Woche war ziemlich anstrengend.
Ich merke immer mehr, dass die Naivität was andere Menschen in meinem Leben anbelangt, einfach vorbei ist.

Zwischen uns beiden ist tatsächlich sehr schnell relativ viel Nähe entstanden und nachdem das bei dem Typen aus der Geburtsstadt ja gar nicht funktioniert hat, habe ich ein bisschen die Befürchtung gehabt, dass da von meiner Seite aus eben einfach keine Offenheit dafür da ist, sich wieder auf ein männliches Wesen einzulassen.
Aber als er mir letztens Bilder auf seinem Handy zeigen wollte, sich hinter mich gestellt hat, die Arme um meinen Oberkörper gelegt hat, damit wir beide auf das Handy vor ihm schauen konnten, da habe ich es gemerkt: Dieses Kribbeln im ganzen Körper, dass sich alle Härchen auf meinem Körper aufgestellt haben und dass ich mich am liebsten in seinen Armen zusammen gerollt hätte. 

So fühlt es sich an... - als würde man mal vorsichtig seinen Kopf wieder vom Boden heben und ein bisschen aufblühen. Streckenweise zumindest. Dazwischen hagelt es auf die zarten Blütenblätter

Und ich glaube: so sehr ich manche Erfahrungen auch gern nach hinten schieben und nicht drüber nachdenken würde, so sehr machen sie doch auch deutlich, wie sehr sie mich geprägt haben. Ich kann mich bewusst dafür entscheiden, dass ich gelernt habe, auch die kleinen Momente zu genießen, jede Umarmung, jedes liebe Wort, jedes bisschen Zeit, dass wir zusammen verbringen. Dass es nicht um die großen Ziele geht, sondern um die ganz kleinen Dinge.
Aber ich kann irgendwie nicht verhindern, dass mir das auch alles Angst macht. Als hätten sich da negative Prägungen eingeschlichen, über die ich keine Kontrolle habe. Sich auf einen neuen Menschen einzulassen, bedeutet sich angreifbar und verletzbar zu machen. Ich weiß überhaupt noch nicht, was er von Beziehung grundsätzlich möchte und das wirkt erstmal alles ganz vernünftig, aber das dachte ich das letzte Mal auch.

Und nachdem die letzte Nacht, die wir miteinander verbracht haben – und das war immerhin letzter Samstag – sehr intensiv war, hatte ich immer mehr das Gefühl, dass wir das klären müssen? Was wünschen wir uns von einer Beziehung, was wünschen wir uns von dem anderen? Wie glauben wir, dass die Zukunft für uns aussieht – sowohl im zwischenmenschlichen, als auch im beruflichen Bereich? Wie wichtig sind uns zwischenmenschliche Werte in einer Beziehung, wie gewichten wir unsere Prioritäten?
Denn bevor das wieder etwas wird, das mir das Herz bricht (und ich weiß nicht, ob wir darüber nicht schon wieder hinaus sind), brauche ich eine Klarheit.

Das Ding ist nur – und das ist schon das erste Problem – die Zeit. Ich habe ja bisher immer nur überlegt, dass es mit den Wochenenden schwierig wird, wenn ständig einer arbeitet. Aber das Problem sind nicht nur die Wochenenden. Es gibt 24 – Stunden – Dienste, Spätdienste und Nachtdienste und das passt alles vorne und hinten nicht. Trotz aller Bemühungen haben wir es diese Woche geschafft, genau 15 Minuten zu telefonieren. Und das hat mich im Lauf der Woche sehr wütend und verzweifelt gemacht, weil ich das dringende Bedürfnis hatte mit ihm über – meiner Meinung nach wichtige Dinge zu sprechen – und es aber klar war, dass es einfach nicht den Raum dafür gibt.

Ich habe ihm dann einfach einen kleinen Text geschickt, gar nicht viel, damit er nicht erschlagen ist. Ich finde die Rückmeldungen zu meinem Geschreibsel immer  sehr erstaunlich; er meinte, dass er wahrscheinlich knapp drei Jahre bräuchte, um seine Gedanken so nieder zu schreiben, aber dass er sich auch viele Gedanken gemacht hätte und sehr dankbar ist, dass ich ihm mitteile, wie es mir geht.

Er hat Dienst heute Nacht und ich hoffe, dass der halbwegs ruhig wird (die haben nämlich einen Vordergrund und können im Regelfall schlafen) und er morgen Nachmittag Kapazitäten hat, hier aufzuschlagen. Und ich glaube, so viel Angst, wie ich auch davor habe, aber dann wird es Zeit für ein Gespräch, in dem wir uns hoffentlich ehrlich sehen können. In dem es mal nicht um Job, Hobbies oder ähnliches geht, sondern um uns. Und da geht es mir gar nicht darum, dass wir irgendetwas festlegen müssen – es ist ohnehin noch viel zu früh, um zu wissen, ob wir das irgendwann mal eine Beziehung nennen werden. Aber mir wäre wichtig, dass wir die Frage klären: Wie geht es uns gerade mit der Situation? Suchen wir beide denn mal grundsätzlich eine zwischenmenschliche Verbindung, die mehr ist als eine kurzweilige Geschichte nebenbei? Gibt es Ideen, ob es mal eine Familie geben soll? Wie sehr mögen wir uns? Was wünschen wir uns vom anderen und wie können wir den jeweils anderen  in all dem Berufchaos am Besten unterstützen? Wie können wir uns vielleicht ein bisschen besser koordinieren – das ist diese Woche mehrmals schief gegangen.

Und natürlich hoffe ich, dass das ein gutes Gespräch wird. Aber wissen kann ich es nicht. Aber es wird besser sein, als all die Spekulationen. Das hat mich so beschäftigt diese Woche, dass ich viel geweint und kaum geschlafen habe.

Ich glaube, das übersieht man eben häufig. Manchmal, wenn Menschen das Leben betreten, ist es eben nicht der Himmel voller Geigen. Meiner Schwester ging es ähnlich am Anfang ihrer Beziehung und ich weiß auch noch, dass ich in den ersten Wochen mit dem ehemaligen Freund mehrmals komplett verzweifelt bin.
Aber irgendwann muss man den Mut finden, sich daraus zu befreien und das zu tun, das ein bisschen Frieden bringen wird: Nämlich die Fragen diskutieren, die so beschäftigen. Und das kann voll nach hinten los gehen. Aber es kann auch gut werden.


Mondkind


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