Zwischen Hoffen und Verlieren

Du kennst meinen Namen
Die Storys von mir
Mein Name ist Hoffnung
Und ich komme zu Dir
Ich hab Dich gesucht
Und Du hast mich vermisst
Mein Name ist Hoffnung
Und ich weiß, wer Du bist

(Alexa Feser – Mein Name ist)


Dieser Song ist nicht mal veröffentlicht. Aber wenn man darüber schon die halbe Nacht geweint hat, weil er gerade so perfekt passt, dann wird er wahrscheinlich gut…)


Ein bisschen Hoffnung bitte.
Das wäre ganz schön.

Es sind die Nächte.
In denen ich mir ein anderes Leben wünsche.
In dem ich ein bisschen mehr ich selbst bin.

Mit dem Kardiochirurgen kommt man vielleicht langsam in der Gesellschaft der Medizin an.
In die ich eben einfach nicht gehöre.
In einer Welt, in der alles wichtiger ist, als die Menschen um einen herum.

Wir sehen uns schon irgendwo. Irgendwo zwischen Tür und Angeln und eben meistens im Krankenhaus. Aber man kann davon ausgehen, dass es zu 90 % nicht dort ist wo es verabredet war und auch nicht zu der Uhrzeit, zu der es verabredet war. Und man kann von Glück reden, wenn ich das überhaupt vorher weiß.

Ich mag ihn. Sehr sogar.
Aber wie sollen wir so jemals eine Beziehung führen?
Einer immer auf dem Sprung.
Immer länger als erwartet auf der Arbeit. Ständig im Dienst.
Ich kann doch mit niemandem zusammen sein, den ich in der Woche eine Anzahl von Stunden sehe, die man an einer Hand abzählen kann und mit dem jedes Telefonat am späten Abend nie länger als 10 Minuten dauert?
Und klar, es geht nicht um Quantität, sondern immer von Qualität von Zeit. Aber das ist zu wenig, um überhaupt irgendwie eine Qualität in die Zeit bringen zu können.

Ich möchte so nicht leben müssen.
Das war schon mit einem Menschen im Dienstsystem immer schwierig.

Und irgendwie bin ich es so leid immer diejenige zu sein, die sich um alles zu kümmern hat. Der Kardiochirurg arbeitet noch mehr als ich. Also wer geht einkaufen, wer richtet die Wohnung so her, dass wir dort beide sein können, weil er es eben einfach nicht schafft noch die Bude in Schuss zu halten, wenn er nur – wenn überhaupt – zum Schlafen heim kommt? (Aber immerhin findet er meine Wohnung scheinbar nicht so schrecklich, wie der ehemalige Freund…).
Ich habe das Gefühl, ich muss immer so viel geben und so viel tun, damit Menschen bei mir bleiben. Und ich darf fast gar nichts melden und plane ständig alles um. Der ehemalige Freund hat dann eben einfach nicht mehr mit mir gesprochen wenn er der Meinung war, dass ich zu laut war; mit dem Kardiochirurgen bin ich einfach noch nicht so in die Offensive gegangen, aber wenn wir am Tag vorher vereinbaren, dass ich für ein gemeinsames Frühstück einkaufen gehe, sollte eigentlich klar sein, dass das ein bisschen ungünstig ist, wenn er dann kurzfristig zu der Idee kommt, dass er doch erst zum Mittagessen kommen möchte. Denn das ist natürlich nicht geplant und wer darf nochmal einkaufen gehen…?

Und mir ist schon klar, dass es eine Gegenseitigkeit geben muss, aber ich weiß nicht, ob das wirklich zu viel verlangt ist, sich mal nicht immer um alles kümmern zu müssen und immer diejenige sein zu müssen, die sich anpasst?

Ich bin im Moment so viel und so oft wütend – das kenne ich überhaupt nicht von mir. Gestern hat es da eine ziemlich blöde Situation mit dem Stroke – Unit – Oberarzt (aka der früheren potentiellen Bezugsperson) gegeben. Da hätte ich einfach mal nicht zurück feuern dürfen und meinen Mund halten müssen, aber das fällt mir im Moment so schwer, weil irgendetwas in mir explodiert, sobald dann  noch irgendein blödes Kommentar kommt – gestern wollte man mir andichten, ich hätte eine hochgradige Stenose übersehen, obwohl ich zum Zeitpunkt des Ultraschalls gerade mit der Studienpatientin beschäftigt war und mich eben gar nicht um diesen Ultraschall kümmern konnte. Die Kollegin hat dann einfach gesagt ich hätte das gemacht und statt mal nachzudenken – immerhin ist der Oberarzt dann auch noch zur Studie geschlappt gekommen – hat er das direkt ungefiltert an mich weiter geleitet. Bloß gut hatte ich gestern „nur“ Spätdienst und brauchte ihn nicht mehr und bis Dienstag kommen wir wohl fachlich wieder zurecht miteinander – da haben wir nämlich Dienst.

Mein Gehirn ist so durcheinander, so voll von Schmerz und ich glaube – auch so voll von Erwartung, dass das immer so bleiben wird. Ich weiß nicht, ob der Kardiochirurg langsam noch eine Chance hat, weil ich aggressiv werde, sobald ich ihn sehe. Weil er so sehr an dieses „Die Mondkind ist das fünfte Rad am Wagen und man darf sie raus schmeißen, sobald sie zu viel Platz weg nimmt“ erinnert. 


Und irgendwie gibt es immer wieder Situationen, die bleiben. Ich erinnere mich immer wieder an diesen einen Moment. Als der ehemalige Freund und ich mit den Fahrrädern unterwegs waren, kurz hinter dem Flugplatz. Ich bin schräg hinter ihm an der Straße entlang geradelt, hatte „Wunderfinder“ von Alexa Feser im Kopf und irgendetwas in mir war so übermütig, dass ich am liebsten die Hände vom Lenkrad genommen und sie weit ausgesteckt hätte. Aber es war nicht mal mein Fahrrad und ich sollte da nicht runter segeln, deshalb habe ich es gelassen.
Es war nie einfach zwischen uns. Aber vielleicht war das Grundvertrauen damals noch nicht ganz weg. Dass die Bindung zwischen uns zu stark ist, um den anderen einfach irgendwann aus dem Leben zu schmeißen. Da war irgendwie eine Idee, dass wir uns immer wieder zusammen raufen werden und vielleicht nur unsere Zeit brauchen, um ein Wir zu finden. Immerhin war das vielleicht ein bisschen neu für uns beide wieder einen Partner im Leben zu haben. (Ich glaube, damals wusste ich das von der Polygamie aber auch noch nicht…)

Aber wir wissen, wie die ganze Geschichte ausgegangen ist. Und tatsächlich hatte ich das bei der letzten Umarmung auf dem Gehweg vor seiner Haustür nicht gedacht, dass ich gerade zum letzten Mal von dort los fahren würde zu mir nach Hause. Wir kamen doch gerade ganz gut miteinander zurecht. Aber mit jeder Umarmung am Ende eines Besuchs war auch immer die Frage, ob es die Letzte war. Ob ich seine Wohnung nochmal sehen würde. Nochmal morgens, während er noch schläft das Bücherregal studieren werde. Ob wir nochmal morgens – ich meist noch ein bisschen im Halbschlaf, weil ich schon wieder müde war, bis er endlich aufgewacht ist – Obstsalat schnibbeln werden. Kurz hat das Herz immer weh getan bei den Abschieden der letzten Monate – eben weil man es nie wusste. Weil da kein Vertrauen mehr war. Weil das nur noch ein „Fishing for moments“ war – nicht ohne die ganz leise Hoffnung dahinter, dass wir das Blatt nochmal wenden können.
Und als ich mich an jenem Sonntagmorgen, an dem ich arbeiten musste, fünf Minuten nachdem ich ihn geweckt hatte aus einen Armen geschält habe, um das Frühstück zu Ende vorzubereiten wusste ich, dass wir nie wieder so dort liegen werden. Aber ich wusste – die Arbeit wartet und egal wie schlimm es sich gerade anfühlt – ich muss funktionieren, für die Patienten da sein und pünktlich auf der Arbeit sein. Auch, wenn ich am liebsten nie aufgestanden wäre. Und scheinbar hat er damals dasselbe gedacht. Es war so eine eisige Stimmung, als ich gegangen bin und die Frage ob er gut zu Hause angekommen ist – und er wusste, wie wichtig mir das war, dass der eine sich beim anderen meldet, wenn er ein längeres Stück unterwegs war – hat er nicht beantwortet. Eine sehr stille Strafe für ein zu laut sein davor. Wir hatten keine Chance mehr. Wir hatten uns so weit voneinander entfernt, dass der Eine nicht mehr wusste, wo der Andere war. Dass wir uns nicht mehr einfangen konnten. Dass uns ein Verständnis füreinander auf einer ganz basalen Ebene verloren gegangen ist.
Ich hab nie verstanden, wo ich ihn so verloren habe. Gerade an diesem letzten Wochenende habe ich ihn eigentlich wenig geärgert. Ich war sehr froh gewesen, dass er sich darauf eingelassen hatte mich zu besuchen. Immerhin war es das dritte Mal in all unserer Zeit gewesen, dass er bei mir war und ich hatte mich sehr gefreut.
Und vielleicht war er eben der letzte Mensch, auf den ich mich gut einlassen konnte. Bei dem nicht bei jedem Schritt die Alarmglocken los geschrillt haben.

Das mit den Gefühlen ist ein bisschen komisch geworden.
Ich habe manchmal das Gefühl, die Gefühle zu fühlen würde viel zu sehr weh tun und vielleicht würde ich das gar nicht aushalten. Mein Kopfchaos und den Job nebenbei. Mit Diensten, Studie und Rezertifizierung ist es nämlich echt viel im Moment. („Am Besten Mondkind, Du machst schnell Deinen Facharzt und bewirbst Dich als Oberärztin – Du machst eh schon alles, was auch die Oberärzte machen“, sagte der dienstplanverantwortliche Oberarzt letztens zu mir).
Ich merke es nur an der Müdigkeit. An den ständigen Magenschmerzen und der Übelkeit. Und an den Kopfschmerzen, die seit bestimmt einer Woche nicht gehen wollen und obwohl ich sonst sehr zurückhaltend mit Schmerzmitteln bin, geht ohne Schmerzmittel nicht mehr viel. Irgendetwas ist da. Aber ich weiß noch nicht genau, was es ist.

„Vielleicht hätten wir ein bisschen länger Therapie miteinander machen sollen“, sagte der ehemalige Freund mal.
Vielleicht hätten wir das tun sollen.
Ich weiß auch nicht, was mein Hirn damals geritten hat. Diese Idee, dass ich ab jetzt für immer alleine zurecht kommen werde. Und ich bin schon sehr dankbar für den Intensiv – Oberarzt und dass er mehr sehen kann, als: Oh da ist irgendein Typ in ihrem Leben, dann muss es ihr doch gut gehen. Grundsätzlich ist er schon dieser Meinung und ich bestätige ihn da schon auch, aber er kann zum Glück auch ein bisschen sehen, dass das in Anbetracht aller Erfahrungen und Erlebnisse der vergangenen Jahre nicht so einfach ist. Aber ganz so vor die Füßchen kotzen wie es mir geht, will ich ihm auch nicht. Weil er eben kein Therapeut ist, weil er die Querverbindungen sicher nicht auf dem Schirm hat und ich diese Bindung jetzt nicht riskieren möchte. Ich bin schon dankbar, dass das mit ihm ein bisschen entlastet.
Aber manchmal denke ich mir: Für all die Spuren, die diese zwischenmenschlichen Katastrophen in meinem Leben hinterlassen haben, wäre ein bisschen professionelle Unterstützung wahrscheinlich nicht so schlecht.

Ich weiß nicht, wahrscheinlich ist es etwa ein Jahr her, dass wir zum Ausbildungsinstitut des ehemaligen Freundes gefahren sind und versucht haben, seine Ausbildung zu retten.
Wir waren schon ziemlich naiv, glaube ich. So ein bisschen „Wir beide gegen die Welt und solange wir uns haben, kann die Welt uns mal.“
Aber ich war damals wirklich überzeugt davon, dass ich jetzt angekommen bin im Leben und ich glaube, das habe ich auch gut rüber gebracht. Eine in der Rückschau seltsam naive Mondkind. Aber vielleicht musste das nochmal sein. Weil danach die Welten gefallen sind.
Und das mit der Nähe seitdem nicht mehr so einfach ist. Weil da viel Misstrauen, viel Angst, viel Wut ist. Und wahrscheinlich hat das gar nicht mal unbedingt primär etwas mit dem Kardiochirurgen zu tun. Und vielleicht ist das mit dem Wir auch falsch. Vielleicht muss es immer darum gehen, primär alles alleine zu schaffen. Denn wer weiß, wie lange ein Wir hält. Wie wichtig das dem anderen überhaupt ist. Vielleicht ist man tatsächlich am Ende immer alleine. Vielleicht hat der zweite Therapeut aus der letzten Klinik da eine schmerzhafte Wahrheit gesprochen. Ich glaube nicht, dass das für alle Menschen gilt. Aber vielleicht für Menschen, die das Vertrauen in die Welt, die Menschen um sich herum und das Leben langsam verloren haben.

So peoples… - ich muss jetzt mal die Bude fertig putzen und… - nochmal einkaufen. Für den Fall der Fälle, dass er hier heute irgendwann doch kurz aufkreuzt. Obwohl ich echt nicht weiß, ob das heute so gut wäre. Es könnte sein, dass ich dezent explodiere.

Mondkind

Bildquelle: Pixabay

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