Von einem (Dienst-)Wochenende

Samstag.
Früher Abend. Es ist schon spät.
Viel später, als das intendiert war.
Aber die Arbeit… mal kommt der Eine viel zu spät raus, mal der Andere. Wahrscheinlich werden wir damit leben müssen, dass die Arbeit unsere Pläne regelmäßig torpediert.
Nebeneinander gehen wir noch eine Runde durch den Kurpark. Plötzlich kommt uns ein Mann mit einer Frau entgegen, die der Herzchirurg freundlich grüßt. „Oh Mist“, sagt er hinterher. „Was ist? Wer war das?“, frage ich. „Ein Oberarzt aus der Herzchirurgie“, entgegnet er. „Ist Dir das unangenehm, wenn wir zusammen gesehen werden?“, frage ich. „Ach Quatsch“, sagt er und nimmt mich in den Arm. „Aber er ist so ziemlich das größte Waschweib der Kardiochirurige. Am Montag weiß das Jeder.“ „Mh, in der Neuro ist es auch nicht verborgen geblieben, dass wir uns etwas zu häufig getroffen haben“, entgegne ich.
„Schlimm ist es eigentlich nicht“, ergänze ich. „Aber es nervt mich ein bisschen, dass jetzt jeder wieder irgendwelche schlauen Ratschläge hat und ich finde ein Kennenlernen jenseits neugieriger Nasen irgendwie entspannter“, erkläre ich. Er nickt. „Ich auch.“
 
Später regnet es, aber wir sind schon wieder zu Hause. Bei mir. Schnibbeln nebeneinander Melone für den Wassermelonen – Feta - Salat.
„Ich habe mir natürlich auch Gedanken über unser Zeitproblem gemacht“, sagt er irgendwann. „Ich weiß nicht, ob das geht. Die Arbeit sollte nicht so wichtig sein, dass alles andere dahinter verschwindet, aber es ist mir auch wichtig, dass keiner von uns beiden in der Summe unter dieser Bindung zwischen uns leidet.“
Ich nicke.
„Ich glaube, wir müssen uns halt bemühen da andere Lösungen zu finden. Vielleicht mehr schreiben. Öfter mal kurz telefonieren. Vielleicht mal kurz zueinander fahren. Ich meine, wir wohnen mit dem Auto fünf Minuten auseinander – da kann man sich auch um 21 Uhr nochmal kurz besuchen. Und ich glaube wir müssen akzeptieren, dass ein Treffen ohne die Arbeit im Hintergrund wahrscheinlich ein seltener Luxus sein wird.“
„Das sollten wir versuchen“, sagt er.
 
Nachdem wir gegessen haben, räumen wir gemeinsam die Küche auf, ich nehme die Kerze mit auf den Wohnzimmertisch und es dauert nicht lange, bis ich dort in seinen Armen liege.
„Schläfst Du schon?“, fragt er irgendwann
„Noch nicht“, entgegne ich. „Aber es fühlt sich gerade gut an.“ Dort in seinen Armen. „Finde ich auch“, sagt er.
„Du hast gesagt, Du hast fast nicht geschlafen letzte Woche“, sagt er. „Beschäftigt Dich etwas?“
„Unser Wir beschäftigt mich“, entgegne ich. „Ich glaube, ich hatte kurzzeitig vergessen, dass sein Herz zu öffnen auch heißt, sich echt verletzbar zu machen“, schiebe ich irgendwann hinterher. „Aber wenn Dich etwas beschäftigt, musst Du mir das sagen“, entgegnet er. „Mh…“, entgegne ich und überlege, ob ich ihm das mit dem verstorbenen Freund jemals erzählen werde. Vielleicht wäre das doch sinnvoll? Ich hatte ihm die Tage schon einen kurzen Text mit ein paar Gedankenabrissen geschickt, die aber nichts dergleichen angedeutet haben – da ging es eher um Gedanken zum Zeitproblem. „Vielleicht musst Du mir den Rest von Deinem Text schicken“, sagt er. „Ich will Dich nicht mit meinem sentimentalen Gedankengedöns nerven“, sage ich. „Du nervst mich nicht“, entgegnet er.
 
„Es wäre schön, wenn man das Sofa ausklappen könnte, dann wäre es nicht ganz so eng“, sage ich irgendwann. „Ich habe eine Idee“, meint er. „Und die wäre?“, frage ich. Er hebt mich vorsichtig hoch, legt mich der Länge nach auf das Sofa und legt sich einfach auf mich drauf. „Geht das?“, fragt er. „Ja, bleib genau so liegen“, sage ich und genieße es, dass jede Faser meines Körpers ihn spürt.
 
„Ich glaube ich muss nach Hause“, sagt er irgendwann. „Wir müssen morgen beide arbeiten.“
Ich bringe ihn zur Tür und beobachte, wie er seine Motorrad – Klamotten anzieht. Irgendwie passt mir das nicht so, dass er aktuell kein Auto hat und überall mit dem Motorrad hingurkt. „Sagst Du Bescheid, wenn Du gut zu Hause angekommen bist?“, frage ich. Er sieht mich mit hoch gezogener Augenbraue an. „Ich weiß es sind nur fünf Minuten, aber trotzdem“, schiebe ich hinterher. „Mache ich“, sagt er und nimmt mich nochmal ganz fest in den Arm. 

So oft wie in den letzten Tagen habe ich den Ort in der Ferne auch noch nicht umrundet...

 
Sonntag
Ich komme gerade vom MRT angerannt, wo ich einen Patienten soeben mit positivem Missmatch die Lyse angehängt habe, als er ums Eck gefegt kommt. Es ist ein seltsamer Stich ins Herz. Ich hätte ihn hier unten nicht unbedingt erwartet, obwohl ich natürlich weiß, dass er Dienst hat.
„Du hast eine Patientin, die in der Reha gestürzt ist“, stellt er fest. „Habe ich – woher weißt Du das?“, frage ich. „Die haben sich verwählt und erst bei mir angerufen“, sagt er. „Die ist aber doch kardiologisch“, entgegne ich. „Die ist nämlich nach einer Synkope gestürzt und hat erhöhte Herzenzyme und die glauben, dass das ein NSTEMI ist. Sie kriegt gerade einen Herzkatheter. Also vielleicht siehst Du sie heute doch noch…“
Wir einigen uns, dass ich ihn nach Dienstschluss nochmal anrufe – da ist er nämlich auch noch eine Weile da. (Es ist halt schon ein bisschen traurig, dass wir im selben Gebäude keine hundert Meter entfernt voneinander sitzen und uns am Tag keine fünf Minuten sehen - das muss doch zumindest ab und an möglich sein, stellen wir fest) Am Abend kommen wieder einige Patienten – ich beschließe, dass ich erst zügig weiter dokumentiere und ihn dann in Richtung 23 Uhr anrufe. Aber kurz nach 22 Uhr klingelt schon mein Telefon. „Ich wollte sichergehen, dass Du nicht nach Hause gehst“, sagt er. „Nein, keine Sorge“, entgegne ich und erkläre, dass ich noch zu tun habe.
Und irgendwann sitzen wir dann dort. Kurz vor Mitternacht gemeinsam in der Notaufnahme. Erzählen uns von unserem Tag. Koordinieren uns ein bisschen. Nehmen uns fest in den Arm. Dienst ist mit solchen Momenten dazwischen gar nicht so schlimm.
Und ich merke, dass ich ihn mit jedem Treffen mehr mag.
Es ist eine verrückte Zeit.

So - jetzt muss ich gleich los zum Spätdienst

Mondkind


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