Lernprozess

 „Mondkind, die erste Beziehung wird nicht halten. Das funktioniert bei den meisten Menschen einfach nicht.“
Jetzt war er nicht meine erste Beziehung, aber der erste Mensch, auf den ich mich körperlich einlassen konnte.

„Mondkind, es wird nie wieder so wie beim ersten Mal sein.“
Worte des Oberarztes vor noch gar nicht mal so langer Zeit. Und ich glaube, das ist wahr.

„Aber wenn Du sagst, dass es Dir so wichtig war und Du alles was Du hattest da rein gesteckt hast, dann verstehe ich nicht, warum das mit der Sexualität so schwer für Dich war.“
Worte des ehemaligen Freundes.

Und manchmal denke ich, es war einfach zu früh.
Nicht zu früh in meinem Leben.
Sondern zu früh für uns.
Ich frag mich, was passieren würde, wenn wir uns heute nochmal neu begegnen würden. Wenn wir nicht diese Vorgeschichte hätten. Denn nach allen Erfahrungen zwischen uns, könnte man manchen Themen nie mehr ohne alle möglichen Schwierigkeiten im Kopf begegnen, die gar nicht mehr so aktuell sind.

Aber irgendeiner musste ja die Aufgabe des ersten Freundes übernehmen.
Vielleicht hat jeder so einen Menschen in seinem Leben.
Einen Menschen, mit dem so viele Dinge zum ersten Mal passiert sind, dass es bei allen Berührungspunkten damit danach, nochmal kurz im Herz zieht.

Ich glaube, ich werde nie aufhören das zu vermissen mit meinem Kissen unter dem Arm und der Reisetasche über der Schulter Freitagabends bei ihm vor der Tür zu stehen. Meistens habe ich die ganze Woche nur auf Freitagabend gewartet.
Und immer davon geträumt wie es sein würde, wenn ich endlich mal bei ihm leben würde. Im Psychiatriejahr, war der Plan.

Ich lerne langsam damit zu leben, dass all unsere Erinnerungen für immer in einer imaginären Truhe bleiben werden. Nicht nur die Erinnerungen an ihn und uns, sondern auch an mich in dieser Zeit.
Ich glaube, mir wird erst langsam klar, wie viel ich gelernt habe an seiner Seite. Er hat nur diese Entwicklung nicht sehen können. Und, dass ich meistens viel Zeit brauche, aber am Ende doch so oft aufblühe.
Leider durften wir das nicht mehr erleben.

Manchmal ist es immer noch hart zu begreifen, dass es die besten Momente aus anderthalb Jahren nicht mehr geben wird. Wenn ich mit einem Lachen und einem klopfenden Herzen vor seiner Tür stand, die Taschen abgestellt hatte, wir uns erstmal bestimmt 20 Minuten im Arm hatten und geküsst haben. Je länger wir uns nicht gesehen hatten, desto magischer war dieser Moment. War diese Nähe doch am Anfang unserer Beziehung viel zu viel, weil ich das einfach nicht kannte, mich aber gleichzeitig so sehr nach Nähe gesehnt habe und doch so viel Angst vor der Verletzbarkeit hatte, der man sich damit aussetzt, so hat sie mir zwischendurch doch so sehr gefehlt. Diesen Teil von uns habe ich tatsächlich am Meisten vermisst in den ersten Monaten des neuen Jahres, als er mich einfach nicht mehr an sich ran gelassen hat.
Und ob ich das je könnte, ohne dass es mir das Herz zerreißt, neben ihm zu sitzen und einfach nur ohne jede Berührung einen Kaffee zu trinken, weiß ich nicht. Ich glaube, wir wären wieder dort, wo wir damals angefangen haben. In diesem Therapiezimmer, in dem wir uns gegenüber saßen und in dem ich realisiert habe, dass ich etwas anderes von ihm möchte als das, was wir hatten. Wie ich in mir ein aufkeimendes Bedürfnis gespürt habe, das mich am Anfang einfach vollkommen verwirrt hat, weil ich es nicht kannte. (Und natürlich konnte ich auch nicht zugeben, dass ich da mit meinen 29 Jahren gerade zum ersten Mal nicht nur eine emotionale, sondern auch eine körperliche Anziehung verspürt habe. Natürlich hatte ich den Stempel der „Verrückten“ sowie inne, wenn ich dort saß, aber das zuzugeben erschien mir etwas zu weltfremd. Und bisher hatte ich mich ja in allem was ich nicht kannte in völligem Unwissen ganz gut durchgemogelt).

Manchmal ist das menschliche Hirn schon verrückt. Obwohl er mich so verletzt hat, obwohl er mich so aus seinem Leben geschmissen hat, obwohl er mir das Privileg genommen hat seine Partnerin sein zu dürfen, hat mein Gehirn noch nicht aufgehört, ihn ganz zu wollen.
Und ich glaub, ab und an voneinander etwas hören, wäre okay. Wer weiß, vielleicht tauschen wir uns ja in meinem Psychiatrie – Jahr mal darüber aus, wie man eigentlich Therapie macht. Aber sehen wäre immer noch nicht okay. Vielleicht ändert sich das irgendwann. Ich würde es mir tatsächlich wünschen. Ein Kumpel sagte mir letztens: „Und vielleicht trifft man sich nochmal irgendwo an der Bushaltestelle und dann fragt man sich plötzlich, wie man mal so intensive Gefühle für eine Person haben konnte und wo die jetzt hin sind.“ Das wäre gut, wenn es so werden könnte, weil ich glaube, dann könnten wir vielleicht etwas wie Freunde werden.

Mittlerweile bin ich geübter.
Und nicht mehr erschrocken, wenn mir der Kardiochirurg einfach seine Hände unter das T – shirt schiebt. Dann spüre ich nur mein Herzchen schlagen, die Gänsehaut, lehne mich ein bisschen mehr an ihn dran und dann spürt er wahrscheinlich, dass er weiter machen kann, weil es sich gerade für Beide richtig anfühlt.

Das mit der Nähe, mit der Initimität und der Sexualität ist uns vielleicht nicht unbedingt in die Wiege gelegt.
Vielleicht müssen wir das, wie alles andere im Leben, lernen.
Und vielleicht funktioniert das nicht, wenn man mit 29 Jahren damit anfängt.
Vielleicht musste eine Beziehung daran kaputt gehen. Eine Lern – Beziehung halt. So hart wie das auch ist. Vielleicht sogar für beide Seiten. 

Wachsen ist nicht so einfach, wie es aussieht

Und ich hoffe, ich kann es jetzt besser machen.

Mondkind

Bildquelle: Pixabay

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