Anfang auf der Herzchirurgie und Update


Einatmen. Ausatmen. Und einfach nur sein.

Ich zitiere mich selbst: 5. Oktober 2018
Ich lasse mich ungefragt auf den grünen Stuhl [im Büro des Neuro – Oberdocs] fallen, ziehe das Knie hoch und stelle meinen Fuß auf die Sitzfläche. „Das ist einfach schwierig und es gibt keine Lösungen. Ich renne da in etwas rein und ich weiß, dass es die nächste Katastrophe wird…“
Und dann darf ich es nochmal erklären. „Ich meine“, schließe ich, „für die Leute, die sich das von außen anschauen, mag das ja amüsant sein. Und die sagen sich dann: Ach lass Sie mal rumspinnen, in einem Monat hat sie sich wieder beruhigt. Aber die leben dieses Leben nicht. Und die sind in diesem Monat nicht ich. Ich kann das nicht mehr. Und ja ich weiß, es ist nicht das erste Mal. Und ich weiß, bisher ging es am Ende immer. Aber das macht es nicht einfacher.“
Er schaut mich lange an. „Es ist das letzte Mal Mondkind“, sagt er irgendwann, „Ziel ist das Ende des Studiums und dann sehen wir weiter…“

Was war los die letzten Wochen? Man hat es lange kommen sehen. Dass es so schlimm wird… - was hätte ich dafür gegeben, dass es nicht so kommt. Und obwohl ich viel mit einem Freund telefoniert habe, am Ende doch recht regelmäßig bei der Therapeutin war, obwohl ich ungeplant beim Psychiater saß, ein Mal im Monat mit dem Seelsorger telefoniert habe, dem es mittlerweile wieder besser geht, was mich so sehr erleichtert und ich sogar mit dem Neuro – Oberdoc geredet habe: Keiner konnte mir die langen Nächte abnehmen, das Derealisations- und Depersonalisationserleben. Keiner war nah genug, um mich zu erreichen, um mit mir die unerträglichen Zustände auszuhalten, mich aus der ewigen Panikschleife heraus zu holen.
Aber ich habe es überlebt. Mal wieder. Auch wenn ich so manche Nächte Angst vor unüberlegten Kurzschlussreaktionen hatte.
Ob ich wirklich über den Berg bin, weiß ich nicht. Aber ich habe das Gefühl, ich bekomme zwischendurch wieder einen Zugang zu mir selbst, hin und wieder wird das Derealisationsleben weniger, ich kann wieder Luft holen, bin etwas mehr geerdet, kann ein bisschen mehr schlafen und da ist etwas weniger Panik, sodass ich es sogar das erste Mal seit Wochen geschafft habe, mich zum Kaffeetrinken verabreden.
Nächstes Wochenende zieht allerdings eine Kommilitonin um und hat mich gefragt, ob ich ihr helfe. Natürlich mache ich das – nur sind immer nicht existierende Wochenenden für mich eine anstrengende Sache, weil ich die Zeit einfach brauche. Ich hoffe, das reißt mich nicht wieder rein.

Dennoch sind die Sorgen nach wie vor mehr oder weniger dieselben. Der Kopf muss nur – wie schon so oft erwähnt – langsam einsehen, dass Rebellieren uns auch nicht weiter bringt. Ob es nochmal wird, wie es mal war, weiß ich nicht. Aber das was gewesen ist, das wird für immer bleiben. Dass ich nochmal etwas erleben durfte, das ganz plötzlich und viel zu lange gefehlt hat, war das größte und wertvollste Geschenk, das man mir machen konnte. „Ersatzfamilie“… - es gibt Situationen, Gespräche, Momente, die werde ich – egal was die Zukunft bringt – immer in meinem Herzen tragen.
Ich kann nicht geradeaus fragen, ob wir einfach dort weiter machen können, wo wir aufgehört haben. Ich kann es nur hoffen und es irgendwann herausfinden. Und mich versuchen, bis dahin nicht verrückt zu machen. Und manchmal, wenn ich abends in mein Mailpostfach schaue, Nachricht aus der Ferne vorfinde und die Frage, wie es mir geht, dann glaube ich, dass wir einen Weg finden werden, damit umzugehen.
Ich weine immer noch viel im Zusammenhang mit dieser Situation. Es ist und bleibt alles eine hochemotionale Sache. Und ich befürchte, dass es das auch immer sein wird. Zum einen ist „Ersatz“ eben immer nur „Ersatz“, zum anderen erlaubt die Konstellation in der wir uns kennen gelernt haben, viele Dinge nicht. Im Prinzip ist das schon so wie es jetzt ist, hart an der Grenze.

So ganz heimlich und nebenbei habe ich übrigens den Vertrag unterschrieben. Die Familie weiß es nicht, dem Neuro – Oberdoc habe ich es aber erzählt. Und ich weiß auch schon, wen ich als erstes anrufe, sollte ich je dieses Examen bestehen. 

Manchmal kann ich es halt echt noch nicht glauben... 😃
Aber ehe jetzt alle gratulieren: Damit er in Kraft tritt, muss ich die Approbation vorlegen.

Die Wohnsituation entspannt sich übrigens gerade ein wenig – das hat sicher auch dazu beigetragen, dass es langsam bergauf geht. Ich werde wirklich nie, nie wieder in einer WG leben. Meine Mitbewohnerin war zwar eigentlich ganz nett, aber offensichtlich noch nicht so richtig dazu bereit, alleine zu wohnen. Den Müll hat sie grundsätzlich immer nur bis zur Wohnungstür, aber nie nach unten getragen. Das Geschirr stand immer dreckig in der Spüle und da unsere Küche so klein ist, war ich schneller damit es einfach mitzuspülen, statt es irgendwohin zu stapeln. In allen Ausflüssen lag das Sieb grundsätzlich daneben, sodass nach und nach all unsere Abflüsse verstopften. Schuhe an der Tür ausziehen… - nö, wieso? Der Flur war also immer verdreckt. Und dann piepte nicht selten nachts um 1 die Mikrowelle und man hörte nachts um 2 das Wasser in der Dusche.
Mit ihr zu reden, hat immer zu einem Einsehen geführt, allerdings war das nach spätestens einem halben Tag wieder vergessen.
Ich hoffe, das Zimmer neben mir bleibt jetzt zumindest mal ein paar Wochen leer – das wäre sehr entspannend.

Mittlerweile bin ich seit einer Woche auf der Herzchirurgie. Ich würde Euch ja gern eine Menge über Erlebnisse mit dem Organ berichten, dass pro Minute ungefähr fünf Liter Blut durch den Körper pumpt und im Jahr rund 36 Millionen mal schlägt (In Prüfungsjahren vielleicht auch etwas mehr… ;) ).
Aber auch hier bin ich lediglich zum Blut abnehmen abgestellt. Daneben lege ich noch unzählige Zugänge pro Tag, spiele Transportdienst, wenn man darauf nicht warten möchte und mache hin und wieder sogar (Achtung, Highlight…) eine Aufnahme.
Alternativ könnte ich ein paar Geschichten aus dem kardiovaskulären Praktikum heraus kramen, in dem ich in meiner kardiochirurgischen Woche regelmäßig im OP war. Damals haben wir eine Dekortikation des Herzens gesehen, die aufgrund einer chronischen Perikarditis nötig geworden war. Daraus kann sich nämlich ein so genanntes „Panzerherz“ entwickeln, das es dann beim Schlagen behindert und – ganz logisch - zu einer Herzinsuffizienz führt. Ich war auch mal bei einer OP dabei, die, als sie fast fertig war, noch zum Desaster wurde. Als wir die Kanüle der Herz – Lungen – Maschine aus der Aorta ziehen wollten, riss plötzlich die verkalkte Aorta. Da bei diesem Gefäß natürlich ordentlich Druck dahinter ist, spritzte das Blut fast bis zur Decke. Umso erstaunter war ich, dass die Herzchirurgen mich ganz gechillt einspannten und den Finger auf das Loch halten ließen, bis sie sich überlegt hatten, wie sie das jetzt flicken. Kommt wohl öfter vor, belehrte man mich. Kein Grund, Panik zu bekommen.

Aaabbberr: Ich habe mal gerechnet. Noch 14 Mal auf die Station – knapp drei Wochen noch - dann ist der Spuk PJ vorbei. Ist gar nicht mehr so viel. Werde ich noch irgendwie hinbekommen. Und ich bin jeden Tag ein bisschen froher, 2/3 meines PJs nicht an der Uni gemacht zu haben. Das hätte ich glaube ich – neben der Tatsache, dass man dabei absolut verblödet – psychisch nicht durchgehalten.
Und wenn ich mit dem Lernen mal wieder nicht hinterher komme, versuche ich mir immer zu sagen, dass ich so viel selbst gemacht und erfahren habe in meinem PJ: Das kann Lernen teilweise gar nicht aufwiegen. Ich habe die Differentialdiagnosen insbesondere in der Neuro nicht drauf, weil ich unzählige Tabellen auswendig gelernt habe, sondern weil ich es selbst machen und durchdenken musste und natürlich zu meinen Fällen dann abends oft viel gelesen habe.
Wenn ich Fallbeispiele in der Neuro lese, ploppt häufig irgendwann ein Patient hoch, an den ich mich erinnere und was wir mit dem gemacht haben. 
Außerdem habe ich so viele Aufnahmeuntersuchungen gemacht, dass ich mein Untersuchungsschema im Schlaf beherrschen sollte. Irgendwann habe ich mir das mal zusammen gebastelt und darauf geachtet, dass es eine erkennbare Systematik aufweist und der Patient nicht alle Nase vom liegenden in den sitzenden oder stehenden Zustand oder umgekehrt wechseln muss.

In puncto Klinikplanung gibt es übrigens schon wieder ein Problem – wäre ja auch zu einfach, wenn nicht. Ich habe mit dem Thema Zahnarzt ja extra schon im Januar angefangen, damit diesmal keine Zahnarzttermine nach dem Examen herum krebsen, die man bei der Klinikplanung auch noch bedenken muss. Denn stationärer Aufenthalt und dann zum Zahnarzt: Das gibt immer Probleme.
Der Zahnarzt wollte aber so viele Bildchen und sonst irgendwelche Dinge tun, dass wir das jetzt doch nicht mehr schaffen. Ich bräuchte immer noch zwei Termine und mittlerweile ist halt März. Da der Arzt auch nicht um die Ecke ist, würden dafür also noch zwei Nachmittage drauf gehen – und wahrscheinlich noch etwas mehr, denn ich mache mich ja vorher immer verrückt, kann nicht schlafen, nicht lernen und habe ständig Herzrasen. Die eine Seite sagt: „Mondkind, Du musst das jetzt einfach noch machen; stellt Dich nicht so an. Wie willst Du mit dieser vagen Klinikplanung, die aufgrund des unbekannten Examenstermins und der generell knappen Zeit zwischen Examen und Jobstart sowieso schwierig genug wird, noch die Zahnarzttermine einplanen?“
Und der andere Teil sagt: „Wenn ich gerade mal ein bisschen zur Ruhe komme, sollte ich das genießen und nicht die fünf Prozent Kapazität wieder nutzen, um den Stresslevel soweit zu erhöhen, dass es wieder dekompensiert…“
Ich bin gerade dabei mit der Krankenkasse darüber zu verhandeln und werde auch die Therapeutin mal dazu befragen, ob die Klinik mir dabei helfen kann. Ich kann mit dieser Zahnarzt – Geschichte im Dorf unmöglich von vorne anfangen.

Donnerstag sehe ich die Therapeutin das nächste Mal. Wenn ich mich traue, dann frage ich sie vielleicht auch, ob man das organisieren kann, dass ich den Arzt bei dem ich letztens war, behalten darf. Ich habe da tatsächlich angerufen, aber dass der gut ist, haben wohl auch schon andere mitbekommen. „Da gibt es auf dem konventionellen Weg auf absehbare Zeit keine Termine“, erklärte mir die Dame am Telefon. Ich habe mich nicht getraut zu fragen, was denn der unkonventionelle Weg ist. Wenn man das weiß, ist es ja umso erstaunlicher, dass die Therapeutin mich da innerhalb von zwei Tagen unter bekommen hat und mir sogar noch zwei Zeiten zur Auswahl gestellt hat.
Eigentlich bin ich ja nicht so der Freund von Vitamin B. Allerdings habe ich das – mal abgesehen vom alten Psychiatrie – Oberarzt – noch nie geschafft, ein so ehrliches Erstgespräch zu führen.Und gerade in der Examenszeit ist ein guter Psychiater halt gold wert.

So… - zwar lebe ich in einer der Karvevalshochburgen, aber ich nutze den inoffiziellen Feiertag, um ein bisschen vorwärts zu kommen und um mir zwischendurch ein bisschen die Ruhe anzutun – so jedenfalls der Plan.Ich hoffe, es bleibt einigermaßen ruhig im Wohnheim.

Mondkind

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