Ein PJ - Tag auf der Chirurgie und neue Psychiaterin
Morgens viertel vor fünf.
Blick auf den Wecker. Klingelt in 10 Minuten.
Zweiter Blick aufs Handy. Schon wieder nicht geladen heute Nacht. Seit
knapp zwei Wochen hat das Teil ein massives Akku – Problem und ohne die Power –
Bank mit sich herum zu schleppen, ist es quasi nicht mehr benutzbar. Es muss
noch das Examen überleben. Und möglichst noch, bis ich die ersten Gehalte auf
dem Konto habe. Aber bis zum Examen auf jeden Fall. Ich weiß ehrlich gesagt
nicht, an welcher Stelle sie das gemacht hat, aber eine Kommilitonin berichtete,
sie hat sich – nachdem sie ein Kind mit Epilepsie bekommen hatte – vor der
Prüfung nochmal schnell eine Zusammenfassung über kindliche Epilepsien durchgelesen.
Da wäre Freund google sehr nützlich.
Und dann auch noch Montag. „Ich kann das heute wirklich nicht… - aber
ich muss…“ Ganz langsam. In die Kochnische schlurfen. Kaffee aufsetzen. Quark
und Banane zusammen rühren. An den Schreibtisch. Laptop aufmachen.
Tagebucheinträge lesen. Vom Frühling 2016. Nur um sich kurz zu erinnern, warum
man das hier macht. Und noch ein paar Zeilen aus dem letzten Sommer, die der
Blog nie gesehen hat.
Ich brauche morgens ewig, um endlich mal startklar zu werden. Man
könnte das effizienter gestalten. Aber ich brauche meine Zeit, um das überhaupt
zu schaffen.
Viertel nach 6. Kalte Morgenluft um die Nase. Licht ans Fahrrad
anstecken. Und mit dem 28 Jahre alten Gefährt los düsen, in Richtung Uni.
Umziehen. Blauer Kasack. Weiße Hose. Und Schuhe. Rote Schuhe. Nicht
ganz passend in diesem Outfit, aber andere habe ich nicht. Außerdem ein
unauffälliges Stück Erinnerung. An meine „Zeiten in Rot“ auf der Neuro. Kittel
überziehen. Schlüssel mit dem Schlüsselanhänger aus dem „Ort in der Ferne“ in
der Kitteltasche versenken. In den ersten Stock laufen, durch die Überführung
über die Straße ins andere Gebäude. Dort ins letzte Haus auf den vierten Stock.
Das Arztzimmer ist ganz hinten auf dem Flur. „Oh nein, da kommt der
Vampir… - ich flüchte…“, ruft ein Patient von der Ferne. „Ich brauche noch ein
bisschen…“, rufe ich zurück.
Blutabnahmen. Erstes Zimmer. Herztransplantierter Patient. Ich ziehe
noch die Isolationsklamotten drüber. „Welchen Arm nehmen wir denn heute?“,
frage ich. „Nehmen wir den rechten…“, entgegnet der Patient. „Wie war das
Wochenende?“, frage ich, während ich die Ellenbeuge desinfiziere. „Och ja… -
hier ist es ja am Wochenende immer ein bisschen langweilig. Aber ich bin ein Stück
gelaufen…“ „Sehr schön… - wo sind Sie denn hin gelaufen..? – Achtung, es piekt
einmal kurz….“ Der Patient zuckt ein Mal kurz mit dem Arm, dann liegt die Nadel
und das Blut läuft auch. Und der Patient erzählt mir, wo er gewesen ist.
„Guten Morgen“, rufe ich, als ich das Zimmer betrete, aus dem mir
vorhin der Patient entgegen kam. „Oh nein – jetzt gibt es kein Entkommen mehr“,
sagt der Patient vom Flur. „Ich mache mal das Licht kurz an, ja?“, sage ich. „Blut
brauche ich von Beiden – Sie dürfen sich aussuchen, wer von Ihnen anfängt.“ „Fangen
Sie mal da drüben an – zum Warmwerden…“
„Ist schon ein blöder Job, den Sie da haben“, sagt der Patient vom
Flur. „Ja, schon…“, entgegne ich. „Zwar bin ich mittlerweile gut darin, aber
ich werde froh sein, wenn ich es nicht mehr machen muss. Ich versuche es immer
mit ein bisschen Small – talk zu übertünchen“, erkläre ich. „Sie machen Ihre
Sache schon gut“, entgegnet der Patient.
Gegen 9 Uhr kommen die Assistenzärzte. „Ihr seid morgens nie in der
Frühbesprechung“, kritisiert er mich sofort. „Ja, damit das Blut von den
transplantierten Patienten schon früh abgenommen ist und die ihre Medikamente
nehmen können und wir außerdem bis zur Visite fertig mit den Blutabnahmen sind,
sodass wir mitkommen können und es schon die ersten Werte gibt…“ „Ihr solltet
trotzdem in die Frühbesprechung“, sagt er nur. Ganz ehrlich… - so lange wie mir
das kein Oberarzt sagt… - werde ich das nicht machen.
Der Professor achtet sogar in letzter Zeit immer darauf, dass ich auch
da bin und erklärt sogar mal ein bis zwei Takte. Und hat das Fehlen in der
Frühbesprechung nicht kritisiert. „Wir haben da so einen Patienten… - der hat
Doppelbilder“, erklärt er. „Hatte er wohl schon vor fünf Wochen mal, da haben
die ein CT gemacht und nichts gesehen – machen wir doch nochmal eins“, sagt er.
„Darf ich etwas fragen?“, erkundige ich mich. „Ja…“, sagt der Professor. „Wieso
machen wir kein MRT? Hat er einen Schrittmacher? Ansonsten wäre der Hirnstamm –
und vermutlich geht es ja darum – auf einem MRT doch besser zu beurteilen…“ „Stimmt…
- warum machen wir kein MRT?“, fragt er. Und weiter: „Wo wollten Sie nochmal
hin…?“ „Neuro“, entgegne ich. „Dann ist das ja Ihr Fall. Wie lange sind Sie
noch da… - ich hoffe, noch lange…“
Nach der Visite muss ich durch alle Zimmer gehen und die Verbände neu
machen.
Außerdem gibt es seit heute eine neue Famulantin, die ich auch noch
mitnehmen soll.
„Wir brauchen noch eine Blutabnahme“, kommt mir eine Schwester
entgegen. „Bei wem?“, frage ich. Der Patient, der mich schon in der Früh auf
dem Flur begrüßt hatte. „Der bringt mich um, wenn ich den nochmal steche. Da
kann jetzt erstmal ein Arzt hingehen, und ihm erklären, wieso wir das jetzt machen.
Da ich die Akten ja nicht kenne (sehen wir als PJler nie), kann ich ihm die
Frage nicht beantworten.“
Es mag etwas harsch klingen, aber ich sehe das echt nicht mehr ein,
immer die Blöde zu sein, die die Meckerei von den Patienten abbekommt. Ich kann
die Patienten ja auch verstehen – aber ich kann da halt auch nichts für, wenn
ständig etwas verpennt wird.
Die Famulantin schaut mich ein wenig erschrocken von der Seite an. Ein
bisschen Leid tut sie mir. Eigentlich bin ich ja so nicht.
Als wir mit der Station fertig sind, kommt der Stationsarzt der
anderen Seite zu uns: „Ich habe da einen kleinen Spezialauftrag für Euch…“ Ist
klar… - Spezialauftrag ist meist, auf einer anderen Station mit den ganzen
Blutabnahmen nochmal zu starten, weil die dort keinen PJler haben und Ärzte so
etwas natürlich (!) nicht machen.
„Also auf der anderen herzchirurgischen Station, da fehlt ein PJler und
da sind noch die Blutabnahmen… Würdet Ihr da runter gehen…“ „Wo ist denn der
PJler von Ihrer Station?“, frage ich. „Den habe ich schon nach Hause geschickt,
bevor ich den Anruf bekommen habe…“ Super…
Wir tingeln nach unten.
Von einer Patientin steht Blut da, die noch zur Dialyse muss – was ich
rein zufällig bei den Schwestern im Gespräch höre. „Wenn die ohnehin zur
Dialyse geht, können die doch das Blut gleich da abnehmen…“, sage ich. „Nein…“,
sagen die Schwestern. „Wieso nicht?“, entgegne ich. „Aus jeder Dialysemaschine
kann man ein Röhrchen Blut abzwacken – die Patientin wird mir auf die
Barrikaden gehen, wenn ich die jetzt steche – zu Recht. Röhrchen mitgeben und
fertig…“ „Ja, das haben wir noch nie gemacht…“, entgegnet die Schwester. „Dann
versuchen sie es – wenn sie mit den Röhrchen ohne Blut wieder kommt, nehme ich
es gern noch ab…“
Ein paar Zimmer weiter liegt eine Patientin mit einem zentralen
Venenkatheter. Aber irgendwelche Idioten haben an zwei Schenkeln wieder Blut
abgenommen, ohne zu spülen. Das Ding ist dicht. Und die Dame hat nicht ohne
Grund einen ZVK. Sie hat massiv eingelagert und daher so gut wie keine Venen.
Nach ewiger Sucherei finde ich doch eine, steche und wie durch ein Wunder läuft
es beim ersten Versuch. Zehn Minuten nachdem ich das Zimmer verlassen habe: „Ja,
also die Patientin braucht noch Blutkulturen…“ „Und das fällt Euch jetzt ein“,
frage ich. „Ich habe die vor 10 Minuten gestochen.“ „Dann musst Du wohl nochmal
hin…“ Die Patientin versteht es überhaupt nicht, erklärt, dass doch gerade
schon Blut abgenommen worden sei. Ich erkläre ihr, dass Blutbild und Blutkultur
zwei verschiedene Dinge sind. „Aber dann hätten Sie doch zumindest von einem
Arm gleich beides in einem machen können“, schlussfolgert sie. „Ja, da haben
Sie Recht…“, erwidere ich. „Also diese Organisation hier…“ „Es tut mir leid“,
sage ich und mache mich auf die Suche nach Venen. Am Ende schaffe ich es nur,
mit Mühe und Not ein Paar Blutkulturen abzunehmen.
„Und den Rest?“, fragt die Famulantin. „Macht die Ärztin nachher. Ich
steche die dafür jetzt nicht noch fünf Mal, bis ich ein Mal eine Vene treffe.
Die bringt mich um… - das macht dann halt mal derjenige, der es verbummelt hat.
Nur weil man überall PJler rumspringen hat heißt das nicht, dass man
gedankenverloren mal alles machen kann, weil man das ja eh nicht mit den
Patienten ausdiskutieren muss – dafür gibt es ja PJler. Das ist eine Einstellung…
- ich kann es echt nicht mehr sehen und hören.“
Als wir damit fertig sind, kommt mir die Stationsärztin entgegen. „Seid
Ihr die PJler?“, fragt sie. „Ja“, entgegne ich. „Auf Euch habe ich den ganzen
Morgen gewartet – es gibt noch sechs Neuaufnahmen, aber denen muss allen noch Blut
abgenommen werden…“ Dann hättest Du es doch zumindest bei ein oder zwei davon
im Zuge der Aufnahme selbst machen können... – das denke ich mir natürlich nur.
Ein Patient sitzt noch im Behandlungszimmer. „Haben wir keine grünen
Butterflys zum Blutabnehmen?“, frage ich. „Nein, nur blaue – die sind besser…“ Die
sind genau dann besser, wenn der Patient absolut keine Venen hat. Aber nicht
dann, wenn ich sieben Röhrchen Blut abnehmen will. Da fällt dem Patienten
vorher der Arm ab. Aber sie lässt sich nicht erweichen. Und obwohl der Patient
Venen wie eine Autobahn hat, gelangt das Blut nur tropfenweise in die Röhrchen.
„Wir müssen weg sein, bevor die Kaliumwerte da sind…“, denke ich mir. Die
werden durch die Decke gehen – alles artifiziell natürlich…
Mittlerweile bin ich auf 180. Und irgendwann muss ich sagen, dass ich
jetzt leider weg muss, weil ich einen Arzttermin habe. Das ist auch nicht
gelogen. Heute mal wieder eine neue Psychiaterin in der Ambulanz.
Man muss ihnen lassen, dass das mit dem Zeitmanagement diesmal ganz
gut hinhaut.
„Bei wem waren Sie denn zuletzt in Behandlung?“, fragt sie. „Naja… -
ich war jedes Mal beim wem anders…“, entgegne ich. „Ja, das sehe ich schon…“
Irgendwie ist sie mir nicht so sympathisch. Viel zu distanziert, viel
zu viel Makeup auf dem Gesicht, das irgendwie gerade die Funktion einer Mauer
erfüllt.
Zusammen gefasst ist der Termin völlig für den Eimer. Ich werde in die
Schublade „gestresste Medizinstudentin“ gesteckt und habe auch gar keine Lust
(und Zeit), ihr zu erklären, was das eigentliche Problem ist. Ich komme auch
gar nicht dazu, mit ihr über das vom anderen Psychiater vorgeschlagenen
Medikament zu quatschen. Als ich mit der Frage um die Ecke komme, ob die
Leberwerte beim Absetzen wieder rückläufig sind, wenn das Medikament zu einer Erhöhung führt, schlägt sie mir zig
Alternativen vor – von Neuroleptikum bis trizyklisches Antidepressivum ist
alles dabei – wobei gerade letztere auch eine ganze Latte an Nebenwirkungen
haben. „Ich sehe, Sie können sich gerade nicht zu irgendetwas durchringen“,
stellt sie fest. „Nein, weil Sie mich hier gerade völlig erschlagen“, denke ich
mir.
Kleiner Funfact am Rand: „Wo wollen Sie denn mal arbeiten?“ Ich nenne
ihr den Namen des kleinen Dorfes. „Das kennt keiner – aber ist ein ganz nettes
Fleckchen Erde“, erkläre ich. Sie schaut mich kurz an. „Da komme ich her…“,
entgegnet sie. „Und das ist wirklich ein sehr gutes Krankenhaus da oben auf dem
Berg…“
What the hell?... – das ist mir ja noch nie passiert! Und jetzt habe
ich schon mal gar keine Lust mehr, noch allzuviel zu erzählen. Wer weiß, wen
Sie so alles kennt.
„Sie wissen, ich muss das fragen – wie sieht es aus mit Suizidgedanken…?“
Ist klar… - als ob die ernsthaft erwartet, dass ich mit ihr nach 10 Minuten
darüber rede. Okay, mit dem anderen Psychiater habe ich das auch getan, aber
der hatte auch ein ganz anderes, viel empathischeres Auftreten und da habe ich
mich ernst genommen gefühlt. Bei ihr eher nicht so. Ist jetzt auch gar nicht
so, dass sie nicht nett wäre, aber irgendwie kann ich sie absolut nicht
einschätzen.
„Und Sie wissen ja – wir sind immer hier. Da kann man auch mal
kurzfristig ein Krisengespräch machen – ansonsten kommen Sie nach dem Examen
wieder…“ Natürlich… - wie gut das funktioniert hat, in der Ambulanz einen Termin
zu bekommen, haben wir die letzten Monate über mitbekommen. Die haben nicht
selten gar nicht erst jemanden dort sitzen. Das ist schon irgendwo okay – der
Ärztemangel ist überall präsent, aber dann sollte man solche Aussagen einfach
lassen.
Wenn ich so bedenke, dass ich von ihr irgendwann die Klinik - Einweisung brauche, wird mir auch nicht besser. Ich habe es heute bewusst nicht erwähnt, als sie feststellte, dass ich nach dem Examen ja noch ein bisschen Zeit habe.
Wenn ich so bedenke, dass ich von ihr irgendwann die Klinik - Einweisung brauche, wird mir auch nicht besser. Ich habe es heute bewusst nicht erwähnt, als sie feststellte, dass ich nach dem Examen ja noch ein bisschen Zeit habe.
Und danach endlich nach Hause. Dort am Briefkasten vorbei. Ich warte
auf zwei Briefe. Aber nichts…
Und dann erstmal an den Schreibtisch und eine Runde Schreiben. Ich
weiß nicht… - die Famulantin hätten die echt nicht zu mir stecken sollen. Ich
bin gerade echt kratzbürstig. Ich kann diesen Laden nicht mehr sehen.
Und jetzt muss ich endlich mal lernen… - aber das Schreiben musste
gerade wirklich erst sein. Mich regt das alles so auf…
Mondkind
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