Verantwortung in der Familie
Die Finger schweben über der Tatstatur. Versuchen Worte zu finden. Für
das Innenleben.
Und finden sie nicht.
Weil so vieles schon gesagt ist. Und gleichzeitig auch nicht.
Der Blog sollte doch still sein für eine Weile. Hatte ich gesagt.
Gehofft. Und wer schon länger mitliest weiß, dass das noch nie funktioniert
hat. Und vielleicht hilft es, die Gedanken einfach ein wenig auszulagern. Der Versuch zum Sonntagabend.
Mittelweg finden. Zwischen Vergraben und mit Menschen Kontakt halten.
Man sollte sie wohl gut aussuchen – die Kontakte. „Überlegen Sie, wie Sie mit
Ihrer Familie umgehen…“ Ja, mache ich. Ist doch Familie. Werden wir doch mal
ohne Drama hinkriegen. Denkt Mondkind. Naiv, wie sie ist.
So langsam macht sich auch meine Schwester Gedanken darüber, wo sie mal
leben und arbeiten möchte. Hat langsam eingesehen, dass das wahrscheinlich
nicht gut endet, wenn wir an einem Ort sind. Und sie „meine“ Menschen ja im
Endeffekt auch gar nicht kennt. Sie hat nur gehört, dass man dort vielleicht
zur Ruhe kommen kann.
Sie macht mich dafür verantwortlich, dass sie aktuell nicht glücklich
mit ihrer Situation ist und behauptet, dass ich verhindern würde, dass sie das
jemals wird. Am Ende – so ihre Auffassung – kann in der aktuellen Konstellation
nur einer glücklich werden und das sei eben ich. Sie müsse ja nun das Feld
räumen und habe sich da auf der Landkarte mal einen Ort ausgesucht.
Auf die Rückfrage hin, ob ich das richtig verstanden habe und sie das
ernst meint, dass sie jetzt wegen mir nicht glücklich werden kann und für sich
keine vernünftige Zukunft sieht, kam: Ja, das meint sie ernst…
Es wäre schließlich auch zu einfach gewesen, wenn man nicht noch
einmal unterschwellig die Aggressionen bei mir abgelassen hätte, bevor man dann
einsieht, dass es nicht geht.
Wie viel Verantwortung trägt man eigentlich für die
anderen? Und ist am Ende jeder für sein Glück selbst verantwortlich? Oder ist ein glücklicher Zufall, der die einen trifft und die anderen nicht?
Aber es kam mir verdammt noch mal nicht zugeflogen.
Natürlich habe ich zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Leute getroffen, aber
die kommen eben auch nicht angelaufen, wenn man immer nur passiv wartet. Man
muss etwas tun. Solange suchen und verändern, bis man etwas gefunden hat, mit
dem man leben kann. Mit dem richtigen Maß an Offenheit durchs Leben gehen.
Manchmal fällt man damit auch hin, ja – ist mir auch passiert - aber manchmal
hilft das auch. Und man muss eben dort bleiben, wo es hilft.
Man kann nicht immer nur das Ergebnis sehen. Ich bin jahrelang ständig beim Koffer packen und Umziehen gewesen, habe mehrmals alle Seile durchtrennt und konnte nicht verhindern, dass das in der Psychiatrie endet. Am Ende hat mir die Klinik viel gebracht, aber das habe ich - als es dann unausweichlich schien und in den ersten Tagen dort - anders gesehen.
Und warum sitze ich jetzt wieder hier und zerbreche
mir den Kopf über diese Aussagen, statt zu lernen? Ich möchte nicht, dass die
Menschen wegen mir unglücklich werden. Und ich frage mich, warum ich in meinem
unmittelbaren Umfeld nicht ein Mal jemand anders sein kann, als das schwarze
Schaf, das grundsätzlich allen im Weg herum steht und ihnen das Leben schwer
macht. Man hat so das Gefühl, so vieles wäre einfacher, wenn ich nicht mehr da
bin.
(Vor ein paar Jahren, nachdem ich zu Hause
ausgezogen bin, hatte man die Idee, dass die Familie ja nun endlich wieder
zusammen wachsen könne. Zum Glück kam die Aussage in der Klinikzeit und es war rund um
die Uhr jemand da – ich will nicht wissen, wie das ausgegangen wäre, wenn ich
alleine gewesen wäre… Ich frage mich, ob das Absicht, oder Gedankenlosigkeit ist. Man muss doch mal überlegen, was solche Worte im Gegenüber auslösen.)
Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr ich in
solchen Momenten den Ort in der Ferne vermisse und das ein oder andere liebe
Kommentar. Und irgendwie ein bisschen das Gefühl, irgendwo hin zu gehören. Und doch ein kleines bisschen wichtig zu sein.
Ich habe schon überlegt, ob ich der Therapeutin
schreibe und wir kurz reden können, weil ich einfach nicht damit leben kann,
für die Lebensentscheidungen von anderen Menschen verantwortlich gemacht zu
werden. Und schon mal gar nicht, wenn sie so demonstrativ unüberlegt sind.
Es wäre etwas anderes, wenn mich jemand um Rat
fragen würde und ich daran beteiligt wäre, abzuwägen. Aber hier ist die Lage ja
eine ganz andere…
Aber ich kann sie auch nicht immer nerven... - obwohl vier Wochen (oder wie viel nun auch genau) vor dem Examen so etwas vielleicht auch erlaubt wäre; ich weiß es nicht...
So… - und wer hat dieses Wochenende kaum gelernt,
weil sie sich einfach nicht davon distanzieren kann? Und wer fährt nächste
Woche in die Uni und holt Leistungsnachweise für meine Schwester und mich (weil
ich nun mal neben der Uni wohne und sie nicht – aber Zeitaufwand ist es halt
trotzdem…)? Und wer fährt damit zum Landesprüfungsamt und gibt das persönlich
ab? Alles Mondkind.
Therapiestunde ist Donnerstag. Hoffen wir, dass ich
bis dahin komme und wenigstens ein bisschen was schaffe. Diese Prüfung ist der
Schlüssel dafür, diesen Wahnsinn hinter mir zu lassen. Das muss ich mir immer
wieder klar machen.
Ich versuche mal, noch ein bisschen Neuro zu lesen…
Mondkind
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