Therapie und eine Begegnung


Fast so, als wäre gar keine Zeit vergangen
In dieser Sekunde fühlt sich's wie früher an

Weil's so verdammt leicht ist, wenn du dabei bist
Ich will nie woanders sein
Wir lassen uns treiben, lass uns zu weit gehen
Ich will nie woanders sein
(Wincent Weiß - Hier mit Dir)

Ich entschuldige mich schonmal vorweg... - kleiner Chaos - post heute...

Neues von der Chirurgie gibt es diese Woche nicht zu berichten. Die Assistenzärztin meiner Station ist im Urlaub – daher muss ich jeden Tag mit wem anders zurechtkommen. Das „brave Studentin sein“ habe ich mir mittlerweile abgewöhnt – die Frühbesprechung, die ohnehin mehr Streiterei als alles andere ist – spare ich mir und nehme in der Zeit schon mal das Blut ab, damit ich irgendwann fertig werde mit meiner Stationsarbeit.
Ob man nun auf einer Herzchirurgie arbeitet oder nicht – das macht keinen großen Unterschied, außer, dass sich die Verbände zumeist auf Ebene des Brustkorbes befinden.
Aber man hat ja gelernt, mit wenig zufrieden zu sein. Solange, wie man zwar der Trottel vom Dienst ist, aber zumindest wie ein Mensch behandelt wird, ist es doch in Ordnung.

Zur Therapeutin bin ich heute endlich mal wieder in einem halbwegs stabilen und optimistischen Zustand gegangen. Fast ein bisschen zu übertrieben gut. Allerdings habe ich so unfassbare Angst, meine Therapeutin mit der Negativität, die ich ständig versprühe, zu nerven – da musste ich das ausnutzen, dass ich zumindest mal nicht das Gefühl habe, dass ich das bis nächste Woche nicht schaffe.

Allerdings muss man ehrlich zugeben, dass in der Therapie aktuell auch ein bisschen Ratlosigkeit angesagt ist.
Sie hat mich gefragt, was wohl dazu geführt hat, dass es besser geworden ist. Da muss man klar sagen, dass sich äußere Faktoren gebessert haben. Andere Station, die Mitbewohnerin ist ausgezogen, mehr Zeit zum Lernen. Das hilft schon viel. Zwar bin ich immer noch sehr müde von den letzten Wochen, aber ich hoffe, das wird.
Ich habe dann mal den letzten Blogeintrag erwähnt. Dass es absehbar war, dass es im Januar diese Krise gibt, die sich nun ein bisschen sehr ausgeweitet hat und ich habe erklärt, dass mir aber auch nicht klar ist, wie ich das hätte verhindern können. Dass ich ständig den Ort wechsle und „zwischen den Welten“ lebe, ist nicht zu verhindern, aber ich komme damit schwer zurecht. Ich selbst konnte mich halt nicht da raus holen, andere haben es auch nicht geschafft. Und das macht mir Angst. Man will so etwas ja eigentlich nicht erleben und ich fühle mich da etwas machtlos.
Sie meinte dann, dass man schon anfangen muss aktiv zu werden, bevor man ein Mal drin hängt in der Spirale – dann ist es nämlich wirklich schwierig. Was ich jetzt im konkreten Fall hätte tun können – das wusste sie aber auch nicht.
Und wie man das überhaupt rechtzeitig merkt… - meistens hänge ich innerhalb von ein paar Stunden drin und bin da dann auch komplett aufgeschmissen, weil mich nichts mehr erreicht. Da kann die Welt 24 Stunden vorher noch in Ordnung gewesen sein.

Es ging auch viel um den Ort in der Ferne – mal wieder. Und, dass mich alles im Zusammenhang damit stresst. Ich weiß immer noch nicht genau, wie die Entscheidung auf Dauer dorthin zu gehen, zu Stande gekommen ist. Wahrscheinlich war es mehr eine emotionale Sache, als alles andere. Man soll Entscheidungen in einem Mittelweg zwischen Rationaler und dem Gefühl treffen, erklärte die Therapeutin. Nur, dass das hier eben etwas extrem gelagert ist: Eine Entscheidung für diesen Ort ist fast nur Gefühl, eine Entscheidung dagegen hätte das Gefühl vollkommen ausgeklammert.

Ihr Vorschlag ist, erstmal mehr im „Jetzt“ zu bleiben. Zu überlegen, was ich jetzt gerade tun kann, damit es mir gut geht.
Ich finde das nur so schwierig, wenn die Zukunft permanent an die Tür klopft und so sehr man es auch versucht, sich nicht ausklammern lässt.
Das erste große Fragezeichen ist das Examen. Wir haben immer noch kein Datum und keine Prüfer. Ich versuche gerade die Endspurt – Scripte nochmal durchzugehen und parallel die Fallbücher und „Frage – Antwort – Bücher“. Und daraus entstehen unglaublich viele Dokumente mit wichtigen Hinweisen, die ich alle in der Bibliothek drucke und die sich hier stapeln und in die ich es nicht mehr schaffe, hinein zu sehen und es zu wiederholen. Und spätestens, wenn ich am Briefkasten vorbei gehe und wieder nichts vorfinde, macht es mich mindestens ein Mal täglich verrückt.

Das nächste Fragezeichen ist die Klinik und wie das laufen wird. Was genau ist überhaupt die Zielsetzung? Für mich ist das ja schonmal ein Gewinn, nicht mehr funktionieren zu müssen, aber das wird denen wohl zu wenig sein. Wird das alles klappen? Ist dieses erste Zielschild überhaupt real?
Und dann… - wie wird es denn möglich sein – auch noch von der Klinik aus - eine Wohnung im Ort in der Ferne zu finden? Ich halte schon jetzt hin und wieder Ausschau…
Wie soll das überhaupt gehen? Von der Klinik aus quasi direkt in die Ferne. Und dann nicht nur raus aus der Käseglocke, sondern zurück in die Ferne und dort mit dem Job anfangen. Das ist viel auf einem Haufen.

Auch eine wichtigste Frage: Wie wird es dort anlaufen, im Ort in der Ferne? Wie werden mich die Menschen dort wieder aufnehmen? Wie viel, von dem was ich im Moment im Kopf habe, ist idealisiert? Wenn ich mir mal die alten Blogeinträge durchlese – das war ja Achterbahn fahren. Innerhalb von 24 Stunden konnte ich ein Mal ganz unten und wieder ganz oben gewesen sein.
Der Ort in der Ferne ist eben nicht nur von mir abhängig, sondern auch ganz viel von zwischenmenschlichen Erfahrungen geprägt, auf die ich nur bedingt Einfluss habe.
Man muss klar sehen, dass ein Leben dort beides werden kann: Entweder gut, ein Dazwischen, oder ein Schuss in den Ofen. Und wenn es letzteres wird: Was dann? Es gibt keine Ambulanz, keine Therapeutin, keine Klinik mehr… - wenn es blöd kommt, stehe ich da absolut alleine. Und in den guten Tagen wird mir dann doch wieder klar, dass das Leben zu wertvoll ist, um es wegzuschmeißen. Und dass es nach jedem Schatten auch wieder ein Licht gibt – auch wenn es viele Hilfen braucht. Aber die externen Hilfen als „Lebensversicherung“, die gibt es dann nicht mehr.

Den Ort in der Ferne jetzt aus dem Denken auszuklammern, es auf später zu verschieben, das funktioniert halt auch nicht. Im Moment idealisiere ich das glaube ich alles wieder sehr. Schaue mir die Fotos aus dem Sommer an, lese die Tagebucheinträge, die in ganz besonderen emotionalen Situationen entstanden sind. Seit Anfang 2016 weiß ich, dass ich dort hin möchte – seit diesem Zeitpunkt ist das meine Motivation, für eine Zukunft zu kämpfen. Und je nachdem, wie ich dem Ort in der Ferne gerade gegenüber stehe, ist davon abhängig auch meine Motivation mich in das Studium zu hängen. Und die sollte in diesen Tagen hoch sein. Von daher ist ein bisschen Idealisierung nicht verkehrt, auch wenn die die Gefahr erhöht, unsanft auf dem Boden der Tatsachen zu landen.

„Ich glaube halt schon, dass es auch ein krass… - einseitiges Denken ist, aber in meiner Vorstellung ist dieser Ort in der Ferne der einzige Ort, an dem ich überhaupt noch eine Chance habe. Wie viele Jahre geht das jetzt schon so… ? Es war der einzige Ort, an dem ich zumindest streckenweise glücklich war. Und irgendwie bin ich geneigt, dem Oberarzt zu glauben, dass ich dort zur Ruhe kommen und mir eine Zukunft aufbauen kann. Also… - ich weiß nicht, wie wahrscheinlich das ist, aber ich möchte so gern an dieses „Wunder“, das da im Orbit ist, glauben.
Ich glaube halt… - weil ich es im Privaten nie gefunden habe und ja immer für das Studium gelebt habe, brauche ich schon eine „besondere“ Arbeitsstätte, mit der ich mich identifizieren kann und eine Station, in die ich mich auch rein hängen kann. Ich glaube nicht, dass das an vielen Krankenhäusern möglich sein wird.
Und damit ist dieser Ort dort ein bisschen etwas wie meine einzige Chance. Denn so wie es jetzt ist – dass ich von einer Krise in die nächste schlittere – das kann so einfach nicht weiter gehen. Das kann ich nicht mehr. Und im Moment hält mich der Gedanke, dass das Examen ja irgendwie mal wieder ein Abschluss eines Lebensabschnittes ist.
Umgekehrt… - wenn das an diesem Ort dort nicht klappt, bin ich halt komplett „lost“. Es gibt keine Alternative. Dann weiß ich überhaupt nicht mehr wohin mit mir.“

Korrigiert mich einfach, wenn ich falsch liege… - dieser Ort in der Ferne ist wie ein Pulverfass. Ich bin mit der Tatsache, dass zum Wohlbefinden auch zwischenmenschliche Erfahrungen gehören, immer noch restlos überfordert. Eben weil das in den letzten Jahren viel ausgenutzt wurde, weil ich vieles vermisst habe, weil da ganz ganz viel gefehlt hat und ich nicht vertrauen kann, dass Menschen bleiben – weil ich mich grundsätzlich immer als Belastung für meine Umwelt verstehe und auch erfahren habe, dass ich die letzte bin, an die da gedacht wird.
Hier zu bleiben wäre einfacher gewesen. Da wäre ich erstmal ziemlich alleine gewesen und der Job wäre „nur“ ein Job gewesen. Aber vermutlich wäre ich aus der aktuellen Situation nicht heraus gekommen.
Und dort… - dort kann viel gut werden. Aber…  es sind auch hohe Erwartungen auf beiden Seiten und  es kann damit auch viel Enttäuschung geben. Und gerade jetzt, wo ich lange keinen mehr gesehen habe und nur noch wenig höre… - zweifle ich auch einfach viel…

Wir stellen fest, dass es alles emotional extrem geladen ist. Und es eigentlich keinen Sinn macht, sich Gedanken um ungelegte Eier zu machen. Wenn es nur so einfach wäre, diesen Ort erstmal aus dem Denken zu verbannen… 

Ich kann mich erinnern... - da habe ich auf meine Wäsche gewartet und in der Zeit draußen auf dem Campus - Gelände gesessen



Auf dem Weg zu meinem Fahrrad treffe ich noch den Betreuer meiner Doktorarbeit. Wir haben uns auch schon seit dem letzten Herbst nicht mehr gesehen. Die Chirurgie hat mich so vereinnahmt, dass ich alle Besuche, die ich eigentlich vorhatte, bisher nicht geschafft habe.

„Also ich glaube eine Wohnung finden, wird kein Problem. Dann trittst Du einfach so auf, wie Du es jetzt gerade auch tust – dann gibt Dir jeder die Wohnung“, erklärt er. „Naja, ich habe ja schon viel hinbekommen. Immerhin war mein Leben in den letzten Jahren… - dezent chaotisch“, merke ich an. „Sehr chaotisch manchmal…“, sagt er. „Aber Sie haben alles geschafft…“
Er sagt – und dasselbe habe ich vor zwei Tagen von meinem Doktorvater gehört – dass es schön ist, mich wieder zu treffen. Und, dass man eine Entwicklung erkennt. Selbstbewusster sei ich geworden.
„An Ihnen finde ich immer so gut, dass sie genau wissen, was Sie tun und aber trotzdem immer wieder mit Demut an die Sache heran gehen, sich kritisch hinterfragen und überlegen, ob das was Sie tun richtig ist, oder ob man das anders und besser hätte machen können“ erklärt er. „Ich glaube, dass das für die persönliche Entwicklung aber auch ganz wichtig ist“, entgegne ich, „zwar kann man irgendwann noch so viel wissen, aber wenn man anfängt Schubladen aufzuziehen, dann wird das dem Patienten nicht gerecht und man bleibt in der Entwicklung stehen, weil man denkt, dass man genug gesehen hat, um so arbeiten zu können. Und ich möchte eben immer an mir selbst wachsen und eine sehr gute Neurologin werden…“
„Darf ich Sie zitieren?“, fragt er. „Klar…“

„Ich melde mich dann wegen der Doktorarbeit spätestens nach dem Examen“, schlage ich vor, „bis ich fahre, wollte ich nämlich schon noch etwas machen…“ „Sie dürfen auch eher schreiben und mal schildern, wie es Ihnen so geht mit der Examensvorbereitung…“, erklärt er. Okay… - dann eben eher… ;)
 

Mondkind

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen