Von Hoffnung und Realität


Heimweg.
In den letzten Tagen herrscht ein bisschen Flaute in der Notaufnahme. Einige Menschen scheinen dem Krankenhaus doch eher fern zu bleiben, wenn es nicht unbedingt sein muss. Das heißt nicht, dass man nicht doch ein paar Experten da hat – gestern hatte ich einen Patienten, der mit Drehschwindel kam, nachdem er sich mit einem Drehstuhl im Kreis gedreht hat. Da fragt man sich manchmal schon, wo die versteckte Kamera ist und wie man da bitte noch ernst bleiben soll. Aber ja – Professionalität ist gefragt.
Ansonsten merke ich aber erst jetzt, wie sehr die beiden ersten Wochen im März geschlaucht haben. Nach den unfassbar langen Tagen im Funktionier – Modus kommt die Müdigkeit und ich werde gefühlt gar nicht mehr wach.

Die Tage werden länger – und ich komme mal früher raus. Und beides zusammen ergibt einen Heimweg im Hellen. Aufsaugen der letzten Sonnenstrahlen. Ein bisschen Frühlings – Wärme. Schräg gegen die Sonne blicken. Insekten fliegen sehen. Vögel zwitschern hören.
Die Welt steht auf. Diesmal durch die Umstände sehr leise. Aber die Natur interessieren die Viren sehr wenig. Sie steht auf. Darauf ist Verlass.
Und wie jedes Jahr im Frühling tut das unglaublich weh. Im Herzen. Ein permanentes Zerreißen.
So hätte das doch nicht mehr sein sollen. Es sollte doch mein erster Frühling werden. Seit so langer Zeit. 



Ich stöbere ein bisschen. Zu Hause auf dem Sofa.
Sonntag, 17.03.2019
Damals waren es noch fünf Tage, bis das PJ vorbei war. Fünf Tage Chirurgie aushalten noch. Das war machbar – das war dann sogar mir irgendwann klar.

Worte von damals.
„Das Problem ist, dass es dieses neue, selbst gewählte „zu Hause“ – sowohl was den Ort, als auch die Menschen anbelangt – auch nicht ohne Zutun gibt. Einfach nur ich selbst sein, reicht auch hier nicht aus. Um überhaupt wieder dorthin zu dürfen, muss ich ein Examen bestehen. Und wenn ich wieder da bin, muss ich meine Patienten versorgen können. Nichts übersehen, die richtigen Ideen haben, in keine Fettnäpfchen treten, nicht auffallen, weil ich zu langsam, zu schüchtern, zu inkompetent bin.

Eine Situation, die die ganze Konstellation da unten mit sich bringt. Und die eben genau deshalb nicht unproblematisch ist.
Das ist schon einer meiner größten Wünsche - irgendwo einfach mal angenommen zu werden, weil ich "ich selbst" bin. Nicht, weil ich irgendetwas getan oder auch nicht getan habe.

[…]

Auf die Frage „Wie lange noch, bis dieser Wahnsinn hier vorbei ist?“, gibt es noch keine Antwort.

[…]

Und so ganz am Ende… - ist es auch nur eine vage Hoffnung, dass der Wahnsinn dort unten aufhört. Vielleicht habe ich auch so lange am Rand des Abgrundes gekämpft dafür, dass die Zukunft auch nicht mehr als eine Illusion ist.“

Wow…
Manchmal würde ich diese Mondkind von damals, die damals noch im Studentenwohnheim abends in ihrem Zimmer saß, auf die Wiese vor dem Haus geschaut hat und sich jeden Tag ausgemalt hat, wie es wohl werden würde, wenn es besser ist, gern in den Arm nehmen. Sie ganz fest halten, während ich ihr erkläre, dass sie bitte den Gedanken verwerfen soll, sofort nach dem Examen in den Ort in der Ferne zu gehen. Ohne Klinik dazwischen. Weil sie nicht mehr wollte, als dass es aufhört weh zu tun. Und weil das im Ort in der Ferne so sein sollte.

Zum Glück habe ich die Klinik dann doch noch eingeschoben. Aber das war lange nicht so klar. Am liebsten wäre ich sofort aufgebrochen. Besser heute als Morgen. Ich wollte die in Zukunft. In der ich doch endlich ankommen wollte. Einen Platz finden wollte.

Und wie man sieht… - habe ich es in Betracht gezogen, dass es sein kann, dass das auch nicht hilft. Aber wirklich immer noch ein Jahr später hier zu sitzen und immer noch daran zu arbeiten… - das habe ich nicht so richtig glauben wollen.
Mittlerweile habe ich fast alles versucht. Telefonieren, Mails schreiben, reden. Alles. Und nie kam eine klare Aussage. Vielleicht wird es die auch nicht geben.
Insbesondere nach diesem emotionalen Erdbeben vor mittlerweile schon mehr als zwei Wochen. „Können wir nicht so tun, als sei das nie passiert?“, fragt ein leises Stimmchen. Na… - dann frag mal mein Gegenüber. Nein, können wir nicht. Er kann das nicht.

„Ich glaube, am Schlimmsten ist die Ungewissheit“, sagte der Herr Therapeut mal. Und vermutlich ist das auch so. Weil ich so einfach nicht weiter komme. Ich kann nicht loslassen, wenn doch noch die Chance besteht, hier ein zu Hause zu finden.
Und wenn sich irgendwann heraus stellt: Das war nicht mehr als eine Illusion und es ist ausgeschlossen, dass es funktioniert: Natürlich bricht meine Welt dann zusammen. Ich werde Wochen brauchen, bis ich wieder Stehen kann. Aber dann würde dieser Schwebezustand hier mal aufhören. Dann könnte ich mich bewegen. Überlegen, ob ich noch hier bleiben möchte, ob Klinik nicht doch nochmal sinnvoll wäre, wenn ich ohnehin gerade nichts mehr verlieren kann. 
Denn auch, wenn ich meinen Job manchmal anfange zu mögen, die Kollegen zu schätzen gelernt habe, das Krankenhaus langsam kennen lerne - aber nichts ist so wichtig, wie endlich anzukommen und einen Ort zu finden, der ein "zu Hause" ist.

Mondkind

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