Gedanken zum Sonntag
Sonntagnachmittag.
Und was hängt mir schon wieder in den Knochen? Richtig – die Angst vor
Montag.
Irgendwie war ich ja bis Samstagmittag der Meinung, dass ich das alles
erstaunlich gut weg gesteckt habe. Gestern Nachmittag hing ich dann aber doch
mit Schüttelfrost und Kopfschmerzen auf dem Sofa und heute komme ich auch nicht
wirklich aus dem Tee. Ich sollte mir allerdings wenigstens nochmal Schwindel
und Kopfschmerzen anschauen und eigentlich auch noch ein bisschen Epilepsie
machen. Und mal endlich alle whatsApp – Nachrichten vom Lauf der Woche
beantworten.
Und wenn man so auf dem Sofa liegt und in der Nacht trotz
ausreichender Liegezeit im Bett auch nicht auf genug Schlaf kommt, hat man eine
Menge Zeit zum Nachdenken.
Ich glaube, was mich in den letzten Wochen so verrückt gemacht hat,
war nicht nur die Angst vor der Arbeit in der Notaufnahme an sich. Dass ich in
der ersten Woche sofort mit einer oberärztlichen Vertretungssituation zurecht
kommen muss, die Kollegin, die die Doppler macht im Urlaub und der Spätdienst
auf der Stroke Unit, der mir hätte helfen sollen krank ist, damit habe ich
nicht gerechnet.
Was mich mindestens genauso verrückt gemacht hat war die Tatsache,
dass ich – wenn ich in der Notaufnahme anfange – mich eigentlich selbst
ziemlich hintergehe. Das passiert auch genau jetzt. Ich bin den ganzen Tag komplett
abhängig davon, was in der Notaufnahme aufschlägt. Das heißt nicht nur, dass es
(meistens) keine Pause und keine Fortbildung gibt – das heißt eben auch, dass
es nur noch sehr wenig therapeutische Unterstützung gibt. Der Therapeutin muss
ich gar nicht viel schreiben (außer vielleicht mal, dass ich mich im Mai wieder
melden kann) – ihr Standardsatz zu jeder Mail ist ohnehin: „Wie Sie wissen,
lässt sich das per Mail schlecht klären…“ Ja weiß ich – aber was können wir
jetzt machen? Der Seelsorger hat auch klar gesagt, dass ich mich melden soll,
wenn ich wieder Termine machen kann. Das heißt alles nicht, dass ich nicht
irgendwann auch mal pünktlich gehen werde, wenn das Patientenaufkommen gerade
gering ist – aber Termine kann ich halt nicht machen.
Und daran leide dann eben nur ich still und leise und unsichtbar für
alle anderen vor mich hin. Gerade nach der letzten Woche ist der Kopf so dicht,
dass da immens viel Redebedarf wäre. Aber es geht eben nicht. Die erste Aussage
vom Seelsorger, wenn wir uns dann irgendwann mal wieder sehen, wird sein: „Sehen
Sie, da haben Sie es auch ohne mich geschafft…“ Das heißt aber eben nicht, dass
die Lebensqualität mit regelmäßigen Gesprächen nicht höher gewesen wäre. Und
was soll ich machen, wenn ich es nicht organisiert bekomme?
Das Ding an der Notaufnahme sind glaube ich gar nicht mal die
unmöglichen Arbeitszeiten. Auf der Stroke Unit war ich auch immer lange und ich
hoffe, dass der Donnerstag und Freitag eine Ausnahme bleiben. Das Ding ist
einfach, dass ich es nicht ändern kann, dass ich meine dringend gebrauchte
Unterstützung her geben muss. Das erhöht meine Glaubwürdigkeit jetzt nicht so unbedingt. "Mondkind, ich weiß nicht, was da immer los ist bei Dir. Selbst Menschen, die das gelernt haben mit psychisch erkrankten Menschen umzugehen, kommen kaum zurecht mit Dir und erfassen das Problem und die Situation nur ganz schwer..." Ich befürchte mal dieses "wenn es irgendwie gehen muss, dann geht es", wird der Grund dafür sein. Stärke ist an den richtigen Stellen eine sehr wertvolle Ressource. Aber eben nicht immer.
Und dann gibt es noch so ein Gesprächsfetzen, der mir nicht mehr aus
dem Kopf geht.
„Ja aber Mondkind, Du darfst Dich nicht immer als Opfer der ganzen
Geschichte sehen. Du bist kein Opfer. Du hast Dich doch für dieses Studium
entschieden…“
„Nein habe ich nicht – das ist der Punkt…“, entgegne ich. Mein
Gegenüber schaut mich etwas irritiert an. „Meine Schwester und ich hatten am
Ende im Prinzip die Wahl zwischen Jura und Medizin. Da war Medizin einfach das
geringere Übel…“, sage ich und erzähle kurz die Geschichte vom Abi und der
Idee, die Noten absichtlich etwas herunter zu drücken, um die Medizin zu
umgehen. „Natürlich hätte ich im Prinzip auch damals die Wahl gehabt“, räume
ich ein. „Aber das war eine andere Zeit. Es bringt nichts mehr, sich jetzt
dafür zu verurteilen. Unsere Eltern hatten uns gut im Griff damals und ich
konnte mich einfach nicht auf die Hinterfüße stellen. Heute würde ich das
anders machen…“
Eine lange Pause.
„Ich meine… - ich verstehe schon den Punkt…“, setze ich irgendwann
wieder an. „Das bringt mich jetzt auch nicht weiter, dass ich mir jeden Morgen
denke „Scheiße Mondkind, warum tust Du Dir das an – das wolltest Du doch nie
und Du wusstest doch immer, dass Krankenhaus nicht Deins ist und das einfach
auch nicht Du bist“. Ich muss mich jetzt halt irgendwie versuchen darauf zu
konzentrieren, dass ich aus dem Weg, der vorgegeben war, immer noch das für
mich Beste raus geholt habe. Ich bin in der Neuro gelandet – was wirklich mein
Wunsch war. Und ich bin in dem Krankenhaus, an das ich selbst wollte. Es gibt
also schon Dinge, die ich selbst gestaltet habe, nachdem ich dann mal endlich
zu Hause raus war. Und vermutlich wäre es gesünder, sich darauf zu konzentrieren.
Ich kann nur das große Ganze nicht mehr so ganz ändern. Denn das
Medizinstudium war ja nicht völlig abgekoppelt vom restlichen Leben. Da ist ja
etwas gewachsen in der Zeit – notgedrungen auch die Idee von einer Zukunft. Und
die ist jetzt nun mal – weniger aus beruflichen, sondern mehr aus
zwischenmenschlichen Aspekten hier. Und ich bin nicht mehr bereit, das
aufzugeben.“
Aber ob ich jemals glücklich in diesem Job werde, das ist mal so die
Frage. Es hieß letztens, um das zu beurteilen, müsse ich mal mindestens zwei
Jahre bleiben und ein Mal über alle Abteilungen rotieren. Na schauen wir, wie
lange ich das durchhalte.
Auf jeden Fall versuche ich mich jetzt wirklich ein bisschen mehr
darauf zu konzentrieren, dass ich mir zumindest die Neuro ausgesucht habe und
doch zumindest eine gute Neurologin werden wollen könnte. Und dafür muss man
sich halt manchmal auch rein hängen und auch Dinge tun, die man nicht mag und
mutig über die eigenen Grenzen springen.
Ich hoffe nur, ich stelle nicht irgendwann fest, dass ich zu sehr
versucht habe etwas selbst zu wollen, das ich mir eigentlich nie ausgesucht
hätte.
So langsam macht die ganze zwischenmenschliche Situation mich aber
hier schon ein bisschen mürbe, muss ich sagen. Mittlerweile bin ich bald sechs
Monate hier. Für sehr viel mehr als arbeiten, hat die Energie seitdem nicht
gereicht. Und die Idee hier etwas wie ein zu Hause zu finden ist auch… -
schwierig. Insbesondere nach dem letzten Sonntag sollte ich mich glücklich
schätzen, dass es überhaupt noch irgendwie läuft.
Und irgendwie gibt es auch immer wieder Zeiten, in denen ich die
Studienstadt einfach unglaublich vermisse – was zu großen Teilen sicherlich ein
bisschen „sentimentaler Rückblick“ ist. Mir kommen da insbesondere die Samstage
nach dem ersten Klinikaufenthalt in den Sinn, an denen ich mit einem Freund oft
im Café war. Oder die wöchentlichen Fahrten durch die Uni in Richtung
Psychiatrie – Ambulanz, wenn man wusste, dass man es mal wieder geschafft hat,
jetzt erstmal eine Stunde Kopf sortieren darf und danach (hoffentlich) etwas
weniger Druck auf den Schultern liegt. Und schon damals spukte mir durch den
Kopf: Was machst Du eigentlich, wenn Du irgendwann ohne diese Unterstützung zurechtkommen
musst…?
Alles, womit am eine Mondkind hier schon mal zufrieden stellen könnte
wären regelmäßige Kontakte und
vielleicht ein bisschen weniger Einsamkeit. Mal mit irgendwem frühstücken zu
können – das wäre schon irgendwie ganz nett… Es sind echt diese kleinen (ganz
großen) Dinge, die den Tagen manchmal so viel Mehrwert geben.
Mondkind
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