Von Notfällen und Unsicherheiten
„Na Mondkind… - arbeitslos…?“, fragt der Kollege und steckt seinen
Kopf zur Tür herein. Wie ich diese Aussage hasse. Nur, weil wir die Notaufnahme
gerade mal leer geräumt haben, kann von einer Sekunde auf die andere wieder
alles anders werden. Arbeitslos oder entspannt, ist man an diesem Ort nie. Und
insbesondere in diesen Zeiten spielt sich über die Notaufnahme das
Hauptgeschäft des Krankenhauses ab.
„Es ist was angemeldet“, gebe ich zurück und deute auf das
Arrivalboard. „Schlaganfall“, steht in der Anmeldediagnose. Sonst nichts.
Meistens ergeben solche Anmeldungen im Endeffekt keine Schlaganfälle und warum
ein Stroke Angel angemeldet wurde, versteht dann im Nachhinein auch keiner.
Wenn wirklich schnelles Handeln gefragt ist, wird meist zumindest noch „Hemiparese“
rein geschrieben.
Wenige Minuten später öffnet sich die Tür und die Sanitäter schieben
eine ältere Dame in unsere Notaufnahme. Ich schnappe einen Zettel und einen
Kuli und gehe zum Sanitäter. „Hemiparese rechts und globale Aphasie seit einer
Stunde. Die Tochter hat es beobachtet – die Patientin war gerade auf dem Weg
zur Dialyse. Sie nimmt Marcumar wegen Vorhofflimmern…“
Oh scheiße… jetzt brennt es wirklich. Wir haben ein Zeitfenster –
theoretisch also alle Möglichkeiten für Lyse und Thrombektomie, aber wir wissen
nicht, wie die Gerinnung ausschaut und dass sie dialysepflichtig ist, macht die
Sache nicht besser.
Die nächsten Minuten verbringe ich eigentlich nur am Telefon.
Untersuchungen anmelden, mit der Dialyse telefonieren, versuchen, Angehörige für
eine Aufklärung zu erreichen. Der Oberarzt geht mit der Patientin ins CT und
veranlasst eine schnelle Analyse der Gerinnungssituation.
Am Ende wird es ein Mal alles. CT und CT – Angiographie, auf der man
den Verschluss eines Hauptgefäßes sieht. Dann überbrückend Lyse, weil die
Gerinnungssituation das zulässt und Thrombektomie durch die Neuroradiologen.
Danach geht die Patientin intubiert und beatmet auf die Intensivstation, wo sie
nach dem ganzen Kontrastmittel dringend eine Dialyse nötig hat.
So schnell ist es vorbei mit der Ruhe. So schnell ist der
Adrenalinspiegel wieder durch die Decke gegangen.
Und danach kommt die Müdigkeit. Die fast erschlägt. Seit Tagen schon. Die
Konzentration auf ein Minimum drückt. Erst zu Hause wird mir einfallen, dass
ich in die Aufnahme – Info geschrieben habe: „Schlaganfall zu klärender Genese“.
Dabei ist das sonnenklar. Vorhofflimmern und insuffiziente Antikoagulation.
Nur einer von vielen „Fehlern“, wenn man das so nennen will, in den
letzten Tagen. Ich merke, wie die Grenzen erreicht sind. Hier und da vergesse
ich Details aufzuschreiben, vor zwei Tagen habe ich beim falschen Patienten
dokumentiert und das Lyseprotokoll vergessen. Letztens habe ich vergessen, eine
Antibiose aufzuschreiben. Bloß gut hat man Kollegen, die auch noch ein Hirn
haben. Gestern habe ich den Oberarzt angerufen für eine – wie mir im Nachhinein
aufgefallen ist – völlig unnötige Frage zum Medikamentenplan.
Irgendwie ärgert mich das massiv, aber was erwartet man, wenn man seit
Monaten nur arbeitet oder schläft und die Anspannung eigentlich nie weg und der
Job nie aus dem Kopf ist? Wie oft wache ich nachts auf und dann fällt mir
irgendetwas ein… ?
![]() |
Man muss fotografieren, was am Wegesrand steht... Naja... - heute geht es in den Park. Alleine natürlich. |
Als ich zum Freitagabend auf dem Weg nach Hause bin, fühlt es sich
fast ein bisschen nach Frühling an. Man merkt, dass ein relativ warmer Tag sich
dem Ende neigt.
Und neben der Tatsache, dass Frühling auch immer weh tut, ist das
dieses Jahr neben dem vielen Arbeiten auch von der aktuellen Situation und dem
Umgang damit im Krankenhaus überschattet. Weniger durch das Virus an sich,
sondern viel mehr durch die Hysterie, die dadurch entsteht, wird viel
Unsicherheit geschaffen.
Die Frühbesprechung am Freitag hatte es in sich. Auch die, die dem
Szenario sonst eher fern bleiben (ich zum Beispiel, weil ich immer fürchte,
dass im Nachbargebäude der Stroke Alarm los geht), wurden angerufen, dass sie
doch bitte unbedingt kommen sollen. Neben den neuesten Updates zum Umgang mit
dem Virus im Krankenhaus, ging es auch um den Urlaub.
Die Prioritätensetzung dabei ist… - nun ja, sagen wir – interessant.
Den Meisten scheint es darum zu gehen, dass wir nicht nach Hause geschickt
werden und der Zeit nur noch 60 % unseres Gehaltes bekommen oder, dass der
potentiell geplante Urlaub am anderen Ende der Welt gegen Ende des Jahres nicht
ausfallen muss. Meine Prioritätensetzung sieht halt eigentlich eher vor, dass
ich von Zeit zu Zeit mal irgendwie relativ kurzfristig ein oder zwei Tage in
die Studienstadt komme, um dort der Psyche etwas auf die Sprünge zu helfen, damit ich möglichst nicht zusammen klappe.
Im Moment versucht man das mit
diesen AZV – Tagen abzufangen, weshalb wir exakt drei Stunden Zeit hatten, um
die zu verteilen und es da am Ende auch nicht viel Spielraum gab. Während es
Donnerstag noch hieß, dass ich die Tage im April nehmen muss, weil im Mai
eigentlich schon nichts mehr genehmigt wird, war die Info dann gestern, dass
ich im April die Tage nicht nehmen soll, um in der Notaufnahme noch genug zu
lernen. Im Endeffekt ist es dann spontan die zweite Maiwoche geworden und – wie
es kommen musste – hat sich ein paar Stunden später heraus gestellt, dass die
Therapeutin genau in dieser Woche mutmaßlich nicht im Haus sein wird. Also ist
das… - maximal schief gegangen. Was mit dem Kliniktherapeuten ist, weiß ich
nicht – das werden wir nächste Woche klären; im Moment hat er Urlaub. (Übrigens habe ich mich ja früher immer gescheut zuzugeben, für eine Therapiestunde durch halb Deutschland zu fahren, aber seitdem mir die Therapeutin mal erzählt hat, dass sie mal einen Patienten aus England hatte, der regelmäßig kam, fühle ich mich dabei nicht mehr ganz so doof. Entweder die Therapeuten sind halt so gut, oder wir ein bisschen bekloppt oder irgendetwas von Beidem...)
Aber abgesehen davon schwant den Chefs wohl auch langsam, dass es ein
Fehler sein könnte, jetzt alle in den Urlaub zu schicken. „Bei Bedarf rufen wir
Euch an und dann müsst Ihr doch auf die Arbeit kommen…“
Die Psyche rebelliert. Massiv. Die inneren Kiddies gehen auf die
Barrikaden. Weil sie diejenigen sind, die die Sicherheiten die sie brauchen,
nicht bekommen werden. Weil sie keine Pause von dem Wahnsinn bekommen werden.
Weil die Räume, in denen sie die Chance bekommen sich zu äußern, sicher gehört
und gesehen zu werden, zusammen fallen. Und man erwartet, dass sie einfach
weiter funktionieren. Sich vertrösten lassen. Auf irgendwann. Das so weit weg
ist, dass es vielleicht nie kommen wird.
Im Moment ist das eben alles arg grenzwertig. Ich habe so sehr
gehofft, hier sechs Monate nach dem Umzug nicht mehr so herum zu eiern. Klar
sind sechs Monate nicht viel Zeit, aber ich bin langsam einfach zu erschöpft.
Die private Situation findet sich einfach nicht und ob sie das je tun
wird wie ich mir das vorgestellt hatte, ist mal so die Frage. Die Suche, das
Bemühen und Hoffen und der Stillstand, zu dem wir jetzt gezwungen sind, kostet
enorm viel Kraft.
Und die Arbeit… - das war nicht mein Plan in den ersten acht Monaten
über alle Abteilungen gereicht zu werden. Letztens kam die Frage, wie es mir so
geht, auf der Notaufnahme. Und nachdem ich kurz in mich hinein gehorcht hatte…
- irgendwie gar nicht. Ich wusste, dass mich das zum jetzigen Zeitpunkt
überfordert, aber verhindern konnte ich das nicht. Und jetzt bin ich so
erschöpft davon, dass ich eigentlich nur noch müde bin. Auch zu müde, um Angst
zu haben. Wenn man da einen halb Sterbenden in der Notaufnahme hat, dann ist
das so. Und auch, als ich noch vor einer Woche 11 Patienten gleichzeitig hatte –
dann ist es eben so. Wahrscheinlich geht der Adrenalin – Spiegel durch die
Decke – sonst würde ich nicht so müde sein. Aber ich nehme es nicht mehr wahr.
Die Kollegen nehmen das – vermutlich zum Glück – scheinbar noch nicht
wahr.
Letztens ein Kommentar vom Oberarzt: „Mondkind, wenn Du dann nach vier
Jahren in die Psychiatrie gehst… - also, um dort Deine Weiterbildung zu machen –
vielleicht gehst Du ja auch schon in einem Monat in die Psychiatrie – dann aber
als Krisenintervention…“
Sehr lustig… - Ich sage dazu mal gar nichts. Sondern hoffe, dass es
nicht so kommt. Obwohl das vielleicht auch irgendwie eine Idee bleiben kann.
Ehrlich gesagt hoffe ich, dass ich es mit einem stabilen Helfersystem irgendwie
schaffe. Das war auch aktuell der Plan. Telefonate, von Zeit zu Zeit mal in die
Studienstadt für persönliche Gespräche. Solange, bis das stabiler wird, bis ich
hier meinen Platz finde, bis die Idee von einem „zu Hause“ sich vielleicht doch
verwirklicht.
Und wenn die Räume und Möglichkeiten so sehr zusammen schrumpfen, dass
es alles nicht genug trägt… - naja, dann muss vielleicht doch nochmal die
Klinik herhalten. Diesmal ohne, dass ich meinen Chef vorher informiere, damit
er damit planen kann. Solange, wie ich noch Kontakt zum Klinik – Therapeuten habe,
wird er das wohl schaffen, mich nochmal dort unter zu bringen und aus der
Probezeit bin ich ja mittlerweile auch raus. Es ist die letzte Möglichkeit und wäre mir persönlich sehr unangenehm, gleich im
ersten Berufsjahr gleich mal mehrere Wochen krank zu sein. Aber eben überhaupt
noch eine Möglichkeit.
Ich finde es eben nur ein bisschen schade, dass eine transparente
Kommunikation über solche Dinge einfach nicht machbar ist und man das
eigentlich – wenn man nur ein paar Dinge berücksichtigen würde – für alle
Seiten viel einfacher machen könnte.
Jetzt muss ich erstmal schauen, was ich aus diesem Wochenende mache.
Eigentlich muss ich Epilepsie lernen. „Mondkind, was machst Du da eigentlich?
Epilepsie kann man in sieben Tagen lernen?“, höre ich mir ständig vom Oberarzt
an, was mich immer glauben lässt, dass ich jetzt wirklich mal voran kommen
muss.
Vielleicht… - wenn das Gewissen dann nicht zu schlecht wird, könnte
ich aber auch mal die Seele baumeln lassen. Spazieren gehen (alleine natürlich –
mit wem auch…?), mit Freunden telefonieren, Mandalas ausmalen, ein bisschen
kochen.
![]() |
Bananenpfannkuchen mit Bananenquark und Erdbeeren - und Kaffee |
Wir fangen schon mal mit der „Mondkind – Selbstfürsorge“ an. Wie lange
habe ich schon keine Pfannkuchen mehr gemacht? Dabei ist das so einfach… - und
bis zum heutigen Tage ein bisschen Luxus, überhaupt die Möglichkeit zu haben –
weil man eine Küche hat und die Kochplatte nicht – wie im Studentenwohnheim
– einen Wackelkontakt hat.
Geputzt ist die Bude auch schon… - um fünf Uhr aufwachen, hat eben
nicht nur Nachteile… ;)
Mondkind
Kommentare
Kommentar veröffentlichen