Erlebnisse und Erkenntnisse
Die Ruhe in der Notaufnahme ist vorbei. Leider. Zwar ist es noch nicht
so schlimm wie in den ersten beiden Märzwochen, aber entspannt durch den Tag
kommt man eben auch nicht mehr.
Die Woche beginnt – wieder mal – mit einer Vertretungssituation.
Den ersten Patienten an diesem Morgen bekomme ich schon vor der
Frühbesprechung, weshalb die für mich mal wieder ausfällt. Stattdessen
beschäftige ich mich mit einem schon bekannten Bandscheibenvorfall, weshalb der
Patient eigentlich einen ambulanten Termin in der Neurochirurgie gehabt hätte,
nun aber lieber den Rettungsdienst gerufen hat.
Das Krankheitsbild an sich ist erstmal relativ klar – nur die Frage in
welche neurochirurgischen Hände der Patient jetzt geht – das ist etwas schwer
zu klären. Da die Notaufnahme sich schon wieder füllt, schlägt die Oberärztin
vor, dass ich die Stationsärzte informiere und die das Problem weiter an die
Neurochirurgen geben, damit die untereinander ihre Zuständigkeiten regeln.
Dass das nicht geklappt hat, wird mir dann irgendwann nachmittags
klar. Das Telefon klingelt. Der Chef der Neurochirurgie höchstpersönlich steht
auf dem Display. Ich atme einmal tief ein, ehe ich ans Telefon gehe. „Ich habe
gerade festgestellt, Sie haben mir da… - einen Patienten mehr oder weniger
untergejubelt…“, beginnt er. Ich entschuldige mich, erkläre wie es dazu
gekommen ist und dass ich es das nächste Mal direkt persönlich kläre, auch wenn
viel los ist in der Notaufnahme. „Sie wissen schon, dass Sie da in einem
politisch ganz heißen Feld agieren…?“, fragt er. „Naja deswegen wollte ich ja
nur, dass die Neurochirurgen informiert werden und das dann unter sich klären“,
entgegne ich. Er seufzt. „Also Frau Mondkind… - wenn ich das mit ihrem Chef
kläre – meinen Sie das reicht dann aus…?“, fragt er. Verdammte Hacke, ja… Es
tut mir ja leid, aber warum muss denn absolut jede Info immer beim Chef landen…
Spät am Nachmittag bekomme ich noch einen Patienten, auf dessen
Symptome ich mir im ersten Moment keinen Reim machen kann. Er soll am Morgen
plötzlich zu allen Qualitäten desorientiert gewesen sein und sitzt nun mit
einem parkinsonoiden Erscheinungsbild vor mir, driftet immer wieder ab, spricht
wenig und wirkt irgendwie wesensverändert, was vorher nirgendwo beschrieben
wurde.
Ein Blick auf den Medikamentenplan bringt mich bei Lithiumeinnahme auf
die Idee, den Lithiumspiegel zu bestimmen. Und tatdaa: Lithiumintoxikation und
akutes Nierenversagen.
Wir telefonieren mit der Giftnotrufzentrale, die uns zur Dialyse rät.
„Darüber werden die Patienten, die das Medikament bekommen in der
Psychiatrie tausendfach aufgeklärt Mondkind: Die müssen jeden Tag immer gleich
viel trinken. Sonst geht das ganz schnell“, erklärt ein Kollege. „Aber es ist
eben auch ein sehr wirksames Medikament; deshalb nimmt man es so gern.“
In dem Moment bin ich aber doch ganz froh, mich nicht auf die Lithium –
Idee des Oberarztes in der Psychiatrie eingelassen zu haben. Ich komme nicht
selten aus der Notaufnahme raus und stelle fest, dass ich weder etwas gegessen,
noch etwas getrunken habe… Alltagtauglich scheint das nicht so richtig zu sein.
Naja… - ich habe jetzt auf jeden Fall ein Thema für meine
Kurzfortbildung, die ich im Mai halten muss. Schnittstelle zwischen Psychiatrie
und Neuro. Ist doch perfekt.
Der Dienstag startet genauso arbeitsintensiv, wie der Montag aufgehört
hat. Ich habe noch nicht mal meine Schuhe zugebunden, als der Stroke Alarm
losgeht. Um diese Zeit hat man fast immer Wake up – Strokes. Der Patient war im
Januar erst da – ich kenne ihn noch.
So früh am Morgen… - ist auch das CT noch nicht startklar und muss
erstmal hochgefahren werden… In der Zeit erhebe ich schon die Anamnese und
untersuche. Nachdem es um die Uhrzeit immer schwierig ist einen Oberarzt zu
erreichen, hängt schon vor der Frühbesprechung die erste Lyse…
Und das ist nur der Anfang des Tages.
Beinahe 12 Stunden später endet er mit den letzten roten Streifen am
Horizont…
Die Corona – Krise ist bei uns am Standort noch nicht so richtig
angekommen. Dennoch bereiten wir uns – wie alle Krankenhäuser in Deutschland –
darauf vor. Die verschiedenen Fachabteilungen gehen damit völlig
unterschiedlich um.
Während bei den Internisten aktuell Urlaubssperre herrscht, sieht das
bei uns Neurologen leider völlig anders aus. Bereits eingetragener Urlaub muss
genommen werden – weiterhin werden ab Juni keine Arbeitszeitverkürzungstage
mehr genehmigt – wer die also nehmen will (das ist generell nicht gern gesehen
und wird nur kurzfristig und nach Bedarf genehmigt), muss die geballt bis Ende
Mai nehmen. Was für den Einzelnen irgendwie wenig Sinn hat – wir können uns
ohnehin nicht bewegen. Dafür müsste es aber davon ab auch erstmal Platz im
Urlaubsplan für alle geben.
(Im Prinzip decken diese AZV - Tage das Maß an Überstunden auch absolut nicht ab, aber das ist ein anderes Thema...)
(Im Prinzip decken diese AZV - Tage das Maß an Überstunden auch absolut nicht ab, aber das ist ein anderes Thema...)
Ich weiß, dass viele Menschen es in der aktuellen Situation sehr viel
schlechter haben und dennoch ist das – gerade nach der vor wenigen Wochen
abgeschlossenen Urlaubsplanung im Krankenhaus – ein riesen großes Problem für
mich. Die AZV – Tage eignen sich nämlich prima dazu, mal kurzfristig in die
Studienstadt zu fahren. „Freunde besuchen“ ist dann ein gern genannter Grund
und auch sicher richtig, wesentlich wichtiger ist es aber, der Psyche mal wieder
ein bisschen auf die Sprünge zu helfen. Mal bei Frau Therapeutin und Herrn
Therapeuten vorbei zu schauen, mal ein persönliches Gespräch anbahnen, die man
nochmal anders und ehrlicher führen kann, als über die weite Distanz. Das ginge
mit den AZV – Tagen theoretisch zumindest ein Mal im Quartal und war auch
irgendwie so eingeplant, weshalb ich den restlichen Urlaub nicht ganz so sehr
zerstückelt habe.
Jetzt funktioniert zumindest dieser Plan natürlich nicht mehr und ich
merke, wie es in mir schon wieder ganz arg unruhig wird. Die psychische
Situation ist meistens die, die zuletzt beachtet wird und zuerst unter allem
leidet. Es geht mir nicht darum, ein paar Urlaubstage mehr oder weniger zu
bekommen. Aber es geht mir darum, von Zeit zu Zeit mal in der Ambulanz sitzen
zu dürfen, zu fühlen, wie sich die Ruhe langsam über mich legt, weil die letzte
Etappe unglaublich lang war und man nicht weiß, wie lang die Nächste wird. Zu wissen,
dass man mal für einen Augenblick ganz sicher ist. Eine Pause von all dem
Wahnsinn, der morgens mit dem Aufschlagen der Augen da ist und abends endet, wenn
man einschläft.
Ich weiß nicht mal, ob das berechtigt ist, aber ich bin es langsam
einfach ein bisschen leid, wirklich sämtliche Sicherheiten hinten anstellen zu
müssen, damit alles so normal wie möglich aussieht. Das hat ja schon mit der
Rotation in die Notaufnahme angefangen, dass die Frau Therapeutin und der
Seelsorger einfach nicht mehr verfügbar waren, weil ich unmöglich klar machen
konnte, dass das essentiell wichtig ist, mittags mal eine Stunde Zeit zu
bekommen.
Und das ist die nächste Sache, in der ich einfach nicht verständlich
machen kann, warum das wahnsinnig wichtig ist, alle paar Monate mal die
Studienstadt zu sehen, obwohl das meist auch für mich eine sehr stressige
Aktion ist, wenn man bedenkt, dass es in eine Richtung mit öffentlichen
Verkehrsmitteln 12 Stunden dauert, aber das hat sich bisher für die Psyche
dennoch immer rentiert.
Naja… ändern werde ich es nicht
können. Der ein oder andere mag sich noch an meinem Versuch vor Weihnachten
erinnern…
Ansonsten habe ich letztens nochmal einen Artikel gelesen über Psychotherapie
in akuten Krisen und bei Suizidalität. Und so ganz am Ende stand dann als
Hinweis: Natürlich muss – wenn man der Suizidalität therapeutisch begegnen will
– das der Dreh- und Angelpunkt der Therapie sein. Irgendwie bin ich da ein
bisschen hängen geblieben. Ich kann mich erinnern, dass ich damals in der
Klinik gesagt habe, dass das eines der Hauptthemen ist, die ich bearbeiten
möchte, weil das einfach unfassbar belastend ist. Und dennoch gab es ganz
selten mal ein ehrliches und offenes Gespräch darüber und diese ganze Thematik
wurde – zumindest kam das bei mir so an – von den Meisten massiv verurteilt,
sodass man da – wenn überhaupt – nur in sprachlichen Bildern drüber reden
konnte.
Da erschließt sich mir natürlich, warum das nicht so ganz geklappt
hat. Und so generell denke ich, dass es im Gesamten sicher eine ganz gute Idee
ist, die gesunden Anteile zu stärken und – schematherapeutisch gesprochen –
einen starken, gesunden Erwachsenen zu schaffen. Und dennoch denke ich, dass
man manchmal vielleicht auch ein bisschen mehr auf das schauen sollte, was
gerade emotional für Chaos sorgt. Das ist mir gerade auch nochmal nach dem
Gespräch von Freitag klar geworden. Das ist mit Sicherheit nicht Sinn der
Sache, ständig eine 13 – jährige Mondkind sprechen zu lassen. Aber so von Zeit
zu Zeit ist das vielleicht mal eine gute Idee die inneren Kinder zu fragen, wie
es denen geht, wo der Schuh gerade drückt und sie einfach sein zu lassen.
Vielleicht muss ich manchmal einfach nur spüren mit diesen Anteilen nicht
alleine zu sein. Und gehört zu werden. Es war auf jeden Fall ein bisschen
ruhiger seit Freitag.
So… - ich muss ins Bett. Ein bisschen schlafen. Vor dem Chaos, das da
morgen wieder kommt.
Mondkind
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