Dienst am Sonntag

Es ist irgendwann noch sehr früh, als ich an diesem Sonntag aufwache. Weit vor dem Wecker. Mit dem Schlafen wird es dennoch nichts mehr und deshalb sitze ich um 7 Uhr mit einem Kaffee auf dem Sofa und versuche mich irgendwie fit zu bekommen.
Immerhin habe ich heute Visitendienst und da ich mit dem Oberarzt der Stroke Unit zusammen den Dienst mache, ist es klar, dass er seine Station schon am Sonntag aufräumen möchte, um vorbereitet in die Woche zu starten. Da wird das eine ganze Weile dauern. Dennoch hoffe ich, dass ich früh genug nach Hause kommen werde, um zumindest ein paar Sonnenstrahlen im Kurpark abzubekommen.

Das Krankenhaus wird allmählich zur Sperrzone. Es gibt nur noch einen Eingang (es sei denn man nutzt mit Hilfe seines Transponders irgendeinen Hintereingang) und kaum habe ich das Krankenhaus betreten, werde ich von Security – Mitarbeitern erstmal gefragt, was genau ich denn im Krankenhaus wolle. „Ich bin Mitarbeiterin“, entgegne ich müde und ziehe meinen Transponders aus der Hosentasche.

In der Umkleide treffe ich die Kollegin, die heute mit mir den ersten Dienst macht und zusammen gehen wir auf die Station, um den Nachtdienst abzulösen. Während der Oberarzt direkt ein dringendes Konsil machen muss, bekomme ich schonmal eine Übergabe für die Station aus dem Nachtdienst. Irgendwie hat seit gestern Abend keiner Nadeln gelegt – gefühlt die halbe Station brauche eine Neue. Dann gibt es außerdem zwei Patienten für die man ein kardiologisches Konsil brauchen wird, eine Patientin, die ich den Unfallchirurgen verkaufen soll und eine Patientin mit einer fraglichen Sepsis.

Nachdem der Oberarzt mit seinem Konsil fertig ist, machen wir die offizielle Übergabe und dann beginnen wir mit der Stroke Visite. Schon im ersten Zimmer stellt sich heraus: Das wird ein arbeitslastiger Tag. Die erste Patientin soll morgen früh entlassen werden und braucht demzufolge – um dem Chaos morgen früh vorzubeugen – einen Brief. Die zweite Patientin braucht eine CT – Anmeldung, eine Antibiose, ein Labor und eine Nadel.
Beinahe drei Stunden kämpfen wir uns durch die Station – zwischendurch kommt schon die Pflege von der Nachbarstation rüber und weist mich darauf hin, dass drüben auch noch eine lange To – Do – Liste auf mich wartet.

Es ist eine merkwürdige Visite. Ich bin so müde, dass ich im Stehen schlafen könnte und der Oberarzt scheint auch nicht sehr viel bessere Laune zu haben. Manchmal hoffe ich, dass ich mir das einbilde, aber irgendwie empfinde ich unseren Umgang seit diesem Vorfall vor zwei Wochen stark unterkühlt. Das ist so viel Distanz, dass es im Prinzip permanent weh tut.

An irgendeiner Stelle im Tagesverlauf.
„Mondkind, vielleicht sollte ich Dich nochmal eine Woche auf die Stroke Unit holen, damit Du eine Pause hast…“
Ich glaube nicht, dass er das macht. Obwohl es langsam Angst macht zu merken, wie nicht nur die Psyche, sondern auch der Körper einknickt. Wie lange geht das hier noch?

Es wäre auch nicht nur eine Entlastung von der Überarbeitung – ich hätte die Gelegenheit, die Therapeutin mal wieder an die Strippe zu bekommen. Mal wieder zum Seelsorger zu gehen. Kopf sortieren. Ordnung schaffen.

Im Prinzip ist meine kleine Welt, meine Idee von einer Zukunft, die Idee von dieser Bezugsperson, die einfach mitträgt und ganz, ganz langsam ein paar Schritte auf mich zugegangen ist, innerhalb von kürzester Zeit zusammen gefallen.
Und da es unmittelbar der Tag vor meinem Start in der Notaufnahme war, war da keine Zeit mehr das zu besprechen und zu verarbeiten.
Es war die essentiellste Idee, die ich hatte. Weil es die Idee war, die das Licht in meinem Leben war.
So immer mal wieder zwischen den Zeilen realisiere ich, was da verloren gegangen ist.
Und dann zerreißt es mir fast das Herz.

Als ich fertig bin, ist die Sonne im Inbegriff unter zu gehen. Um 14 Uhr hätte ich eigentlich Schluss gehabt, aber dass das nicht klappt, was vorher klar. Im Prinzip hatte auch mehr gehofft, dass sich heute irgendetwas klärt und der Sache deshalb gar nicht so kritisch entgegen geblickt.
Ein letztes Mal rufe ich den Oberarzt an, um ihm zu erklären, dass die Kardiologen einen Patienten vollantikoagulieren möchten, wir das aber eigentlich aufgrund eines frischen Schlaganfalls nicht machen können und jetzt muss ich mit ihm das weitere Vorgehen besprechen. „Bis Morgen Mondkind“, sagt er am Ende. „Bis morgen…“, entgegne ich. Okay, klären wir dann mal nichts mehr...



Auf dem Heimweg sehe ich, wie die die letzten Streifen von rotem Licht quer über dem Horizont leuchten. Für den Park hat es nicht mehr gereicht. Die Vögel zwitschern im Hintergrund; man kann mittlerweile wieder ohne Schal draußen laufen.
Ein neuer Frühling steht in den Startlöchern. Der erste Frühling, in dem alles anders sein sollte. In dem ich etwas wie ein zu Hause haben wollte. Angekommen sein wollte.
Stattdessen tut der Frühling weh. So wie jedes Jahr. Seit so langer Zeit. 
Manchmal erinnere ich mich an eine Mitpatientin aus der Klinik. Die - wenn es Ihr sehr schlecht ging öfter mal gefragt hat, ob man sie nicht einfach mal in den Arm nehmen kann. Ich wünschte manchmal, ich würde mich das auch trauen. Einfach mal physisch festgehalten werden. Für ein paar Sekunden nicht alleine sein mit all dem Schmerz. 

Und jetzt… - geht eine sehr, sehr erschöpfte Mondkind ins Bett.
Wie das alles eine weitere Woche gehen soll… - ich weiß es nicht. Langsam bin ich aber auch zu müde, um noch Angst zu haben. Wir werden es sehen. Mehr als Scheitern geht nicht. Und vielleicht bin ich schon längst gescheitert. Nicht am Job. Aber an dem, was viel, viel wichtiger ist. Vielleicht bin ich nur einfach zu blind, um das einzusehen.

Mondkind

P.S. Und sorry, falls das hier irgendwie so gar keinen Sinn ergibt. Ich bin zu müde, um mich auszudrücken. Und doch gibt es da so viel zu sagen. 

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