Über die Notaufnahme und die Zeit nach dem Ende


Samstagmorgen. Kurz nach 7 Uhr.
Nachdem ich mich noch drei Stunden im Bett herum gedreht habe beschließe ich, dass das so keinen Sinn mehr hat. Eigentlich war etwas länger schlafen angedacht. Nach der Woche. Aber die Gedanken lassen mich nicht los.
Also reflektieren wir mal ein wenig. Wo fängt man an in dem Chaos… ? Hätte mir Jemand letzten Sonntagfrüh erzählt, was in den nächsten sieben Tagen auf mich zu kommt – ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass man das schaffen kann, ohne zwischendurch zusammen zu brechen. So still und leise für sich – das ja. Aber nicht für alle sichtbar.

Notaufnahme… - was heißt das… ? Unzählige Stunden Diensttelefon hüten, das zu jeder Sekunde anfangen kann zu bimmeln wie verrückt. Stroke – Alarm. Und das wiederrum kann alles sein. Schwindel seit einem halben Jahr… - oder intubierter Patient, der mit dem Hubschrauber kommt. Alles gehabt diese Woche.
Und wenn es nicht bimmelt wie verrückt, dann sind es Kollegen aus dem Krankenhaus, die auf ihren Stationen ein neurologisches Problem haben, oder niedergelassene Ärzte aus der Umgebung, die Patienten vorstellen wollen, oder Patienten selbst, die sich für einen Notfall halten.
Notaufnahme bedeutet, dass jede Minute zählt, weil hinterher alles dokumentiert wird. Wehe der Patient war nicht schnell genug im CT, die Entscheidung für oder gegen die Lyse wurde nicht im Zeitfenster getroffen. Denn Zeit ist Hirn. Und Statistik. Und die muss stimmen. („Mondkind, wenn die jetzt einen Schlaganfall hat – ich bring Dich um…“ – das kam mehrfach diese Woche, wenn wir knapp im Zeitfenster waren).
Fünf Tage, unfassbar viel Chaos, viele Schicksale, viele Patienten und Fehler. Ich bin noch nicht geübt genug, auch wenn ich versuche, mein Konzept jeden Tag zu verbessern.

Die Unterstützung in der Notaufnahme war diese Woche… - schwierig. Die Oberarztsituation war aufgrund des Krankenstandes etwas dünn und der Notaufnahme – Oberarzt musste vertreten, sodass ich ihn meist erst ab 14 Uhr hatte. Die Kollegin, die unsere Ultraschall – Untersuchungen macht hatte Urlaub – folglich mussten wir die selbst machen. Zwar kann ich mit einem Ultraschallgerät umgehen und die extrakraniellen Gefäße kann ich auch einigermaßen schallen (wenn auch nicht nach dem 11 – Punkte – Plan, wie das in der Uni gelehrt wurde, aber das würde einfach viel zu lange dauern) – mittlerweile finde ich mit der Stiftsonde sogar das hintere Stromgebiet, aber es dauert eben mindestens doppelt so lange, wie bei den Kollegen.
Auch waren einige Assistenzärzte nicht da und von daher gab es keinen Spätdienst, der mich unterstützen konnte. Bisher habe ich das auf der Stroke Unit eigentlich durchgehend so erlebt, dass der Spätdienst in der Notaufnahme helfen musste und dann war man wenigstens ab 12:30 Uhr zu Zweit, aber das ging diese Woche auch nicht.

Im Lauf der Woche wurde es immer schlimmer. Hatte ich noch gedacht, dass es ein größeres Problem ist, dass ich die Worte „Pause“ und „Fortbildung“ für die nächsten zwei Monate wohl aus meinem Hirn streichen kann, wurde selbst das Donnerstag und Freitag eher zur Nebensache. Donnerstag war ich 15 Stunden da, Freitag 16 Stunden. Man kann sich also vorstellen, wie fertig ich gestern Abend war… Daneben noch blöde Kommentare der Kollegen und fast wäre es gestern nicht bei „gelegentlich Tränen in den Augenwinkeln geblieben“. 



Kleiner Einblick in den Freitag.
Bevor ich in der Früh in die Notaufnahme gehe, werfe ich einen Blick auf das Arrivalboard. Da ist schon ein Patient über das Alarm – System angekündigt. Akuter Drehschwindel. Der diensthabende Kollege steht in der Notaufnahme und schickt die Patientin gerade ins CT. Eine kurze Rücksprache mit dem diensthabenden Radiologen ergibt den Verdacht auf einen Kleinhirninfarkt. Eigentlich kommt eine Lyse nicht in Frage, aber wir müssen uns dafür das okay von den Oberärzten holen. Vor der Frühbesprechung ist allerdings immer eine ganz blöde Zeit. Einer von uns versucht einen Oberarzt zu erreichen, der andere rast durchs Haus, ehe wir das okay haben. Keine Lyse. Aufnahme auf Station.
Kaum ist das geklärt, geht der nächst Stroke Alarm los. Eine bewusstlose Patientin wird angekündigt. Also schnell CT anmelden und vorsichtshalber schonmal eine Gefäßdarstellung und als ich gerade los in die Triage rasen möchte, um die Patientin vorher noch zu sehen und kurz zu untersuchen, geht der nächste Alarm los. Noch ein bewusstloser Patient.
Die erste Patientin ist schon wieder ansprechbar, allerdings in ihrem Allgemeinzustand deutlich reduziert und das Ganze riecht irgendwie internistisch. Egal – erstmal haben wir sie trotzdem. Das CT sieht gut aus, eindeutig fokal – neurologische Defizite hat sie auch nicht, sodass ich sie erstmal in der Notaufnahme parke und mich um Patient Nummer drei an diesem Morgen innerhalb einer halben Stunde kümmere. Der ist zwar auch schon wieder ansprechbar, kommt allerdings unter 12 Litern Sauerstoff und mit einem unterirdischen Druck. Dass man damit bewusstlos wird, ist nicht so verwunderlich. Das CT sieht auch gut aus, die Angiographie bringt uns nicht so viel weiter, weil das Kontrastmittel aufgrund der Kreislaufsituation die Peripherie gar nicht erreicht. Da sich allerdings aus Vorbriefen schnell heraus stellt, dass er eine Herzinsuffizienz hat, die in den vergangenen Monaten mehrfach dekompensiert ist und nun offensichtlich auch Infiltrate und Pleuraergüsse vorhanden sind, lasse ich ihn direkt in der Inneren.
Wieder in der Notaufnahme sehe ich im Labor, dass bei der Patientin mit dem Kleinhirninfarkt die Herzenzyme erhöht sind. Also muss da noch der Kardiologe an die Front – die Patientin kann also doch noch nicht so schnell auf Station. Die zweite Patientin hat einen Diabetes und ist mit ihren Zuckerwerten absolut durcheinander – das müssen sich die Internisten anschauen. Die sträuben sich allerdings lange die Patientin zu übernehmen, da sie nicht akut entgleist ist. Allerdings kann ich die Patientin mit ihrer Allgemeinzustandsverschlechterung, dem Zucker und einem Harnwegsinfekt nicht nach Hause schicken. „Woher wissen Sie denn, dass die Patientin nicht doch einen kleinen Schlaganfall hat…?“, fragt der Internist. „Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, kann man das ja mit einem CT nicht mit letzter Sicherheit ausschließen. Nicht, dass wir bei ihr ein MRT machen und sie doch einen hat…“ Oh man… Da hat er grundsätzlich Recht, aber das ist doch akademisch. Wir machen doch bei einer fast 90 – jährigen erstmal kein MRT. Die sollen den Infekt therapieren, ihr Flüssigkeit geben und den Zucker einstellen und wenn das nicht hilft, kann man immer noch ein MRT machen. Aber wir können nicht jede exsikkierte Omi auf unsere Stroke Unit aufnehmen.
Während den Rest des Tages ein Stroke Alarm nach dem anderen rein kommt und ich mich zuerst um diese Patienten kümmern muss, stapeln sich draußen die Patienten, die zu Fuß in die Notaufnahme gekommen sind. Heute auch hoch im Kurs sind Bandscheibenvorfälle und Schwindel.
Und dann gibt es da noch einen Patientin in der Kardiologie. Er ist schwer herzkrank, das Herz pumpt extrem schlecht, er hat einen Schrittmacher und klagt gelegentlich über Schwindel. Wir sollen schauen, ob das nicht neurologisch ist. „Hat der Patient jetzt gerade Beschwerden…?“, frage ich den Kardiologen. „Nein, hat er nicht…“, erwidert er. Okay, also keine Katastrophe. Wir brauchen definitiv keine Lyse bei einem beschwerdefreien Patient – kann warten. Zwei Stunden später sammelt mich der Kollege persönlich in der Notaufnahme ein und begleitet mich zum Patienten. Dem geht es gut. Zwei Mal hat er beim Aufstehen für wenige Sekunden Schwindel gehabt. Trotzdem brauchen wir ein CT vom Kopf – zur Sicherheit. Und dann sehen die Radiologen eine „verdächtige, flächige Läsion“. Wenn das ein Schlaganfall wäre, würde der Patient Kopfschmerzen haben, dauerschwindelig sein und erbrechen. Dennoch… - jetzt muss ich ihn aufnehmen. Ein Triumph für die Kardiologen und ich darf mir anhören, wie das denn sein kann, dass ein Schlaganfall – Patient fünf Stunden in der Notaufnahme sitzt. Der Patient versteht die Welt nicht mehr. Ich auch nicht.
Später Nachmittag. Der Abfluss aus der Notaufnahme geht nicht schnell genug. Aber ich kann nicht zaubern. Und ich muss jeden Patienten ernst nehmen, mir Zeit nehmen, nichts übersehen. Und ich bin eben nicht geübt. Andere Kollegen könnten das schneller schaffen.

Die Kollegen machen es nicht besser. Irgendwann kommt der Dienstarzt. Schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Schaut auf die Informationszettel der Patienten, die noch draußen sitzen.
„Mondkind, das kann nicht sein, dass Patienten eine Stunde im Wartebereich sitzen müssen…“, legt er los. Bitte…? Schon mal eine Doku über das Thema Notaufnahme geschaut… ? Eine Stunde ist absolut nichts. Und weiter. „Mondkind, jeder andere Kollege, der in den Dienst kommen würde, der würde das nicht machen. Der würde diese Patienten nicht anschauen. Die kamen vor meinen Dienst. Das musst Du machen. Das ist nicht meine Aufgabe". „Na dann mache ich das eben noch“, gebe ich zurück. „Ich kann es nicht ändern – ich habe mir diesen Patientenansturm hier auch nicht ausgesucht. Es ist lieb, wenn Du mir hilfst, aber wenn Du sagst, dass es nicht Deine Aufgabe ist, dann mache ich es selbst…“, entgegne ich. Erstaunlich, wie unnötig manche Konversationen sind.
Wenig später habe ich eine aufgebrachte Kollegin am Telefon. „Mondkind, ich habe hier eine Patientin auf meiner Station, da fehlt die Aufnahme – Info“, legt sie los. „Ich weiß“, entgegne ich. „Zum Papierkram bin ich noch nicht gekommen – ich schreibe sie heute Abend noch.“ „Ja, aber das kannst Du doch nicht machen…“, entgegnet die Kollegin. Na was soll ich denn machen? Die Stroke Angel warten lassen? Am Ende regt sie sich darüber auf, dass ich sie nicht angerufen habe, dass die Patientin kommt und sie die Aufnahme jetzt quasi selbst machen musste. Das kann ich zwar verstehen, aber wenn ich die Patientin auf Station schicke, dann weiß ich nicht, welcher Assistenzarzt die Patientin bekommt. Und bisher war es – wenn ich auf der Station angerufen habe – immer so, dass sich keiner zuständig fühlt. Ich telefoniere sicher nicht alle Assistenzärzte durch und höre mir an „Ja aber Mondkind, ich bin nicht zuständig…“ Dann kann mich der anrufen, der sie hat – in der Notaufnahme arbeitet nur ein Mensch, da weiß man, wen man anrufen muss. So habe ich das doch auch gemacht, als ich noch auf der Stroke Unit war. Und dann mache ich auch gern eine Übergabe und dann muss niemand länger wegen mir bleiben und die Anamnese nochmal erheben. Wahrscheinlich muss ich das ab nächster Woche trotzdem wieder anders machen – sonst bleibt es am Ende eben an mir hängen und es heißt, ich würde die Patienten ohne Übergabe auf die Station schicken.
Wenig später der nächste Anruf von der nächsten Kollegin. „Mondkind, mir fehlt die Aufnahme – Info…“ „Ich weiß, schreibe ich noch“, entgegne ich. „Ja Mondkind, es ist so, dass die Patientin sich jetzt vielleicht entlassen lassen möchte. Also… - Mondkind, das ist kein Problem – wir zelten hier heute alle…“ „Stopp – was genau ist jetzt das Problem?“, unterbreche ich sie. Ich habe keine Lust mir zum zweiten Mal anzuhören, dass wegen mir alle Überstunden machen würden. „Naja wie soll ich jetzt einen Brief schreiben, wenn sie sich entlässt? Ich meine… - Du hast sie gesehen, mit ihr gesprochen, die untersucht…“ Aha, daher weht der Wind. „Dann soll sie ohne Brief gehen, Du schreibst mir eine Mail und ich schreibe den Brief am Montag. Ist das eine Idee…?“, schlage ich vor. Damit ist sie zufrieden.

Zum Glück hat heute der Stroke – Unit – Oberarzt Dienst. Bevor er den Job gemacht hat, hat er jahrelang die Notaufnahme geleitet. Ich bin so dankbar, dass er mir irgendwann einfach ohne blödes Kommentar hilft, die Notaufnahme zu leeren, während der Dienstarzt neben mir über mich flucht.

Um kurz nach 19 Uhr schicke ich meine letzte Patientin nach Hause. Sie hat einen Lagerungsschwindel. Ich habe in der Lagerungsprobe noch nie so eindeutig einen Nystagmus auslösen können. Das war schon sehr beeindruckend.
Und dann sitze ich bis kurz vor 23 Uhr im Büro und dokumentiere.
Wenn das so weiter geht… - Halleluja, dann erlebe ich das Ende der acht Wochen Notaufnahme vermutlich doch in der Psychiatrie. Dann allerdings hoffentlich in der Studienstadt. Aber dann habe ich es zumindest bis ganz zum Ende versucht. Dann hätte ich nicht mehr ein paar Zentimeter weiter gehen können, bis sich endlich die Ereignisse zum Guten wenden.
Diese Woche wurden selbst Dinge wie zu Hause noch schnell etwas zu essen, bevor ich ins Bett gehe, schwierig. Weil da einfach keine Zeit mehr war. Und die Psyche… - die muss sich hinten anstellen. Was ihr so gar nicht passt. Die Frau Therapeutin und den Seelsorger – das kann ich in den nächsten zwei Monaten absolut vergessen und selbst Herr Klinik – Therapeut wird mit den Arbeitszeiten schwierig. Wobei er halt auch einfach nicht so oft kann, weil er selbst viel zu tun hat. 

Als ich nach Hause komme, hat eine ehemalige Mitpatientin geschrieben. Sie ist wieder in der Klinik. Und hat für mich mal ein Katzen – Video gemacht. Weil ich sie so sehr gemocht habe. Die Katzen. Und es wenig gab, das beruhigender war, als morgens eingewickelt in eine Decke mit den Katzen neben sich auf der Dachterrasse zu sitzen. Ich vermisse die Klinik – Zeit schon manchmal. Ein bisschen Pause von dem Wahnsinn war das. 

Die beiden Lieblings - Klinik - Katzen


***
Und wie ging es zwischenmenschlich weiter… ? Nachdem letzten Sonntag so viel eskaliert ist…?

Nicht nur war die Notaufnahme ein großes Problem, sondern auch die Situation mit den Menschen um mich herum. Mit der Freundin habe ich noch ein Mal telefoniert. Ich wollte nochmal eruieren, was einen Menschen dazu bringt, so etwas zu tun. Die wichtigste zwischenmenschliche Beziehung in meinem Leben zu gefährden. Mir die Entscheidung abzunehmen in Kauf zu nehmen, dass die kaputt geht. Klinik – Freundschaften – das ist so eine Sache. Die wenigsten Menschen kennen die zwischenmenschliche Situation als Grund, dass ich hier bin. Und wenn ich diesen Menschen nicht mehr habe… - dann muss ich auch nicht mehr unbedingt hier sein. Die Freundin kannte den Grund. Und hatte damit eine Menge Macht. „Mondkind ich werde mich dafür nicht entschuldigen und ich finde es nach wie vor richtig. Ich habe das auch stundenlang mit meinen Eltern besprochen…“ Das sind eigentlich drei Aussagen, die einfach nicht gehen.
Es war eine kurze und sehr intensive Freundschaft. Es ist immer noch merkwürdig, morgens kein „guten Morgen“ mehr zu schreiben. Wenn ich abends nach Hause kam, hatte ich meistens eine Sprachnachricht von ihr auf dem Handy. Wir haben viel telefoniert und immer mal wieder angesprochen in den letzten Wochen, wann wir uns wohl mal wieder sehen. Ich hatte eigentlich geplant vor Ostern mal zwei Tage frei zu nehmen und sie zu besuchen – das fällt jetzt natürlich flach. Ich kann auch ihren Eltern nicht mehr unter die Augen treten (ich habe immer bei ihr geschlafen, wenn ich in der Studienstadt war), nachdem sie die ganze Story kennen, die man einfach unglaublich verurteilen kann, wenn man die Hintergründe nicht kennt."Am Ende hat es mich auch ein bisschen kaputt gemacht, diese Freundschaft", sagt sie. "Die Menschen sagen, ich hätte mich verändert, seitdem Du da bist..." Wow... - das hat sie vorher auch nie so gesagt.
Und auch mein Kritik – Punkt an Freundschaften wird jetzt wieder ganz deutlich. Während man in einer Familie noch mehr die Verpflichtung hat ein bisschen aufeinander aufzupassen, auch wenn man sich nicht so sehr mag, ist das in einer Freundschaft anders. Da hört man dann einfach nichts mehr voneinander. Zuletzt war der Hund der Freundin krank. Vermutlich wird er wieder gesund, aber erfahren werde ich das wohl nicht. Genauso, wie ich es nicht mitbekommen werde, ob sie ihren Medizinstudienplatz bekommt, ob sie ihr Examen besteht (wegen der Examensfeier hatte sie mich gebeten Urlaub zu nehmen, der da jetzt irgendwie auch mitten in der Woche liegt und eigentlich unnötig ist) und was sonst so los ist.
Und genau deshalb fehlt eine Familie so sehr. Menschen, die einfach bleiben.

Und ein bisschen wirft das auch die Frage auf, wie viel man nach zwischenmenschlichen Beziehungen ausrichten sollte. Wir haben immer wieder darüber gesprochen, ob ich nicht zurück in die Studienstadt komme. „Mondkind, Du hast doch dann mich…“, sagte sie immer wieder. Hätte ich das gemacht… - wäre ich mit dieser Entscheidung nicht glücklich geworden. Aber letzten Endes ist der Mensch ein soziales Wesen. Wir machen unsere Entscheidungen immer auch an anderen Menschen fest. Und können wohl immer nur hoffen, dass sie an den richtigen Menschen hängt.

Und wie sieht es jetzt aus mit der Bezugsperson und mir… ? Das erste Aufeinandertreffen nach der Aktion war ganz komisch. Wir haben uns nicht mal einen „guten Morgen“ gewünscht. Vermutlich wusste keiner von uns beiden, wie er jetzt damit umgehen sollte. Diese stillen Begegnungen – das sind meistens die, die am meisten wehtun.
Also half wohl nur: Initiative ergreifen. Die Sache von mir aus klären. Ich habe es schließlich auch verbockt. Also… - nicht ich persönlich, aber immerhin war es durch mich. Also Mail schreiben und fragen, ob er Zeit hat, um das zu klären. Da kam nichts. Normalerweise bin ich ja nicht so penetrant – aber dann musste ich wohl nochmal anrufen in den späteren Abendstunden. Dann muss er etwas dazu sagen. Ich soll kommen, sagte er. Lange nicht mehr mit so viel Herzklopfen zu einem Gespräch gegangen. Ich kann es halt auch echt verstehen, wenn er mir das jetzt nicht verzeihen kann. Es kommen schon Vorwürfe und indirekt macht er mich dafür verantwortlich, dass das alles so gelaufen ist. Aber ganz am Ende darf ich – und das ist wie ein kleines Wunder – meine Hand in seine legen. Es geht weiter. Irgendwie. Wenn auch nicht wie vorher. Es wird uns viele Monate zurück werfen. Befürchte ich mal so. Aber das ist trotzdem mehr, als ich erwartet hatte. Dann eben wieder von vorne. Ganz langsam. Und mit viel Geduld. Ein Fuß vor den anderen. Und hoffen, dass er irgendwann auch wieder einen Schritt auf mich zugeht. Und hoffen, dass mir bis dahin nicht die Kraft ausgeht.

Was ist der Plan fürs Wochenende… ? Eigentlich brauche ich neue Schuhe fürs Krankenhaus. Es wird nicht mehr lange dauern, bis die ein Loch haben. Aber dann müsste ich noch eine Fahrrad – Runde zusätzlich drehen. Eigentlich müsste ich auch Epilepsie lernen. Denn auch die Zeit rückt näher und der Oberarzt möchte, dass ich zumindest ein bisschen was kann bis dahin.
Mein Energielevel ist allerdings die Nacht über etwas unter die Erde gesunken. Schauen wir.

Mondkind

Kommentare

  1. Das mit den Freundschaften kann ich gut nachvollziehen.
    Da hatte ich doch letztes Jahr auch die unrealistische Hoffnung einen gewissen Freundeskreis Familie werden zu lassen, eine WG zu gründen, Abende gemeinsam zu verbringen und einfach füreinander da zu sein. Aber Menschen, die schon eine gute Familie haben, sind an so etwas wohl einfach nicht so interessiert und wollen da keine Arbeit reinstecken. Gute, andauernde zwischenmenschliche Beziehungen sind nämlich immer Arbeit, aber von Freunden erwartet man irgendwie, dass alles so reibungslos vor-sich-hin-funktioniert. Ich verstehe diese Enttäuschung gut.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Danke Dir für die liebe Nachricht. Und sorry, dass ich mich erst so spät melde.

      Ich glaube, das mit der "Ersatz - Familie" ist tatsächlich nicht so einfach, wie ich das mal irgendwann gedacht habe. Da muss es unglaublich viel Bereitschaft auch von der anderen Seite geben und Du hast schon Recht - warum sollte man da Jemanden in einen Kreis etablieren, wenn man selbst doch eine Familie hat?

      Die Idee mit der WG hatte ich übrigens auch. Über die Jahre hatte ich - allein, weil es finanziell sonst nicht hingehauen hätte, mehrere WG - Situationen und das hat nie funktioniert. Es gab Mitbewohner, mit denen nicht mal simpelste Absprachen funktioniert haben und mittlerweile möchte ich wirklich nie wieder in der Situation sein, in eine WG ziehen zu müssen. Ich bin schon sehr froh über meine eigenen vier Wände. Auch, wenn es die Einsamkeit nicht weniger werden lässt.

      Löschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen