Ein Jahresende... - wie?

Manchmal liege ich so nachts in meinem Bett. Und manchmal… - manchmal denke ich mir, dass wir alle, die den Freund kannten, jetzt lange genug gelitten haben und er jetzt einfach wieder kommen muss, weil ein Leben ohne ihn einfach nicht möglich sein kann. Weil das alles irgendein Alptraum sein muss, weil das nicht sein kann, dass die tiefste Bindung auf privater Ebene einfach verloren gegangen ist. Weil das nicht sein kann, dass es die Cafè - Dates nicht mehr gibt, dass es die Bahnhof - Momente nicht mehr gibt und wir niemals wussten, dass es der letzte Moment war, der für immer reichen muss. Weil Suizid doch immer graue Statistik war. Man weiß irgendwo, dass jeder zehnte depressiv Erkrankte daran stirbt, aber so schlimm war es doch nicht.

Und manchmal… - manchmal kommt es mir vor, als würde er hinter mir stehen. Nur wenige Meter hinter mir sein und sobald ich mich umdrehe, verschwindet sein Schatten.

Ehrlich gesagt habe ich nicht den Funken einer Ahnung, wie ich das Jahresende verleben soll.
Weihnachten war immer ein notwendiges Übel. Eine Zeit, die jeder bei der Familie verbringen sollte und wer das aus verschiedensten Gründen nicht kann, ist dazu verdammt, einsam zu sein. So ungefähr. Das habe ich ja mit der Arbeit letztes Jahr irgendwie überstanden und auch dieses Jahr ist das der Plan.

Aber der Jahreswechsel… ? Eigentlich war das immer die Zeit, in der ich die große Runde bei allen Freunden vorbei gedreht habe. Nun geht das dieses Jahr Corona – bedingt sowieso nicht, aber weil niemand abends die Wohnung verlassen darf und ich niemanden so gut kenne, dass ich es mir zutrauen würde, dort zu schlafen, bin ich auch da zur Einsamkeit verpflichtet.
Allein, wenn die Uhr die letzten Minuten des Jahres rückwärts zählt. Und ja, es ist auch nur ein Tag und eine blöde Zahl und eigentlich sagt das nichts. Aber irgendwie ist es doch ein Meilenstein. Dann kann man sagen: „Alles was passiert ist, ist letztes Jahr passiert…“ Und „letztes Jahr" ist irre lange her. Das schreit so sehr nach Normalität, die es einfach nicht ist. Wie soll sich das dieses Jahr anfühlen, wenn aus der 20 eine 21 wird, wenn die Uhren auf Null stehen, wenn alles, was heute noch so sehr weh tut, per Definition im Gestern liegt? Wirklich, das macht mir ganz große Angst, das aushalten zu müssen. Diesen Meilenstein der Zeit, wo doch die Zeit aktuell der größte Gegner ist und mein täglicher Kampf dem das Vergessen unserer Zeit gilt.


 

Ich habe schon mal angefangen, die ersten Zeilen des Jahresrückblicks zu verfassen. Das werden dieses Jahr ganz viele kleine Etappen werden müssen. Weil es so sehr weh tut.
„Vielleicht schaffst Du das irgendwann mal zu akzeptieren, dass Du die Person bist, die Du jetzt eben geworden bist in diesem Jahr.“ War letztens mal eine Aussage. Wobei es mein Umfeld, das mir vorrangig einen Stempel aufgedrückt und mich aus ihrem Leben geschmissen hat, nicht gerade einfach gemacht hat. Es hat Enden gegeben dieses Jahr, die hätte man nicht leben können. Es gibt aber auch Enden, die hätte man leben können. „Vielleicht darf ich noch ein letztes Mal in die Tasten hauen“ – so haben einige Nachrichten angefangen. Ich hätte mir zumindest ein „Danke für das Darlegen Deiner Sichtweise, ich habe es gelesen. Mach’s gut Mondkind“, gewünscht. Aber was zurückkam, war in allen Fällen nur ein Schweigen, was die deutlichste Form eines Beziehungsabbruchs ist, den es gibt.

Ich habe es mir alles irgendwie nicht ausgesucht. Diese Erfahrung machen zu müssen.

Die potentielle Bezugsperson telefoniert nochmal. Er kennt die Psychiatrie – Szene, aber selbst er hat mir mittlerweile den Kompromiss abgenommen sagen zu dürfen, dass ich die Therapiestunden selbst bezahle, weil es anders nicht geht. Wenn wir so überhaupt wen finden, mitten in der Pandemiezeit. Ehrlich, da ackert man täglich für die Gesundheit anderer und für einen selbst läuft einfach nichts. Aber er sagt, es sei wichtig. Das Schuldthema zu bearbeiten und auch sonstige Denkweisen, die sich langsam einschleichen. Wie, keine freie Zeit mehr ohne ihn verbringen zu dürfen. Die Angst, dass mir wichtige Menschen sterben, wenn sie sich nicht sofort melden. Ich habe so panische Angst, so etwas nochmal erleben zu müssen.
Ich will in dieses ganze Psychotherapiesystem ja eigentlich nicht mehr vertrauen müssen, aber was bleibt mir übrig?

Ich hoffe immer noch jeden Tag auf irgendeine schnelle Lösung. Auf ein Ende von diesem massiven Leiden.

Mondkind

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen