Ein dritter Advent...

Alles brennt
Alles geht in Flammen auf
Alles was bleibt
Sind Asche und Rauch
Doch zwischen schwarzen Wolken
Seh' ich ein kleines bisschen Blau
Ich halt' die Luft an, lauf' über die Glut
Alles wird gut

(Johannes Oerding – Alles brennt) 

 

„Ich sehe aus wie ein Schlamm – Männchen“, erkläre ich.
Eigentlich hatte ich gedacht, der Weg sei asphaltiert. Aber es war irgendein Treckerweg, der nach dem Schneeregen der letzten Tage komplett aufgeweicht war. Ich bin langsam mit dem Rad gefahren, aber trotzdem hat meine Hose ein bisschen etwas abbekommen.
„Es hätte einen trockeneren Weg gegeben. Aber Du hast die falsche Abfahrt genommen. Ich hatte Dir doch gesagt vor dem Supermarkt vorbei, nicht dahinter…“

Wohnzimmer.
Ich werde langsam warm mit einem Kaffee. Neben mir brennen drei Kerzen, das ganze Haus sieht ein bisschen aus, wie in den Weihnachts - Dekotopf gefallen. Aber irgendwie fühlt sich das gerade stimmig an; meistens nervt mich das sonst. Zwischen meinen Beinen streift ab und zu eine Katze hindurch.
„Mondkind Du brauchst eine Katze…“, ist irgendwann der Kommentar. Ich glaube, erstmal muss ich ein paar andere Dinge auf die Kette bekommen, ehe ich mich um eine Katze kümmere, aber grundsätzlich brauche ich schon ein bisschen Leben in meiner Wohnung.

Nach allem was im Sommer passiert ist, hätte ich nicht gedacht, dass ich irgendwann mal dazu komme, dort zu sitzen. Einen Nachmittag ganz unkompliziert über alles Mögliche rede, wobei wir die schwierigen Themen gekonnt umschiffen. Dankbar für dieses Ablenkungsmanöver bin, für einen Sonntagnachmittag, einen dritten Advent, der sich den Namen tatsächlich mal verdient hat. Dass ich mal nicht mit meinen Kopfhörern auf dem Boden liege und glaube, an diesem Schmerz zu zerbrechen. 

Das war die Schnee - Idylle... Vor dem Matsch... Hab gestern keine neuen Fotos gemacht. Hatte ich mal ausnahmsweise keinen Kopf für...

 

Als wir an diesem Abend zu Dritt am Tisch sitzen und gemeinsam essen, hat es fast einen Flair längst vergangener Zeiten. Manche Sehnsüchte einer Mondkind, die in Momenten von tiefster Einsamkeit entstehen, sind am Ende gar nichts Großes. Das ist so etwas wie das hier gerade. Fast wie ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk, wo doch die Wünsche einer Mondkind längst nichts Materielles mehr sind.
Momente, in denen ich mich selbst in irgendeiner Mitte erlebe, in denen ich so viel Wärme, so viel Nähe, so viel unkompliziertes Dazugehören fühle. Momente, in denen ich ich selbst sein darf, in denen ich mit meinem Erleben und meinem Sein einfach akzeptiert werde. Momente, in denen ich spüre, dass jeder in diesem Raum um diesen Sommer weiß, in dem jeder spürt, als wie fragil ich jede Beziehung jetzt empfinden muss. Momente, in denen ich meine Biographie leben kann. In denen ich, wenn es um Musik und Konzerte geht auch mal sagen kann: „Eigentlich wollte ich unbedingt mal auf ein Revolverheld – Konzert gehen, aber nachdem all das passiert ist, weiß ich gerade nicht, ob ich das kann, weil wir das zusammen machen wollten. Vielleicht wird es dann doch lieber Johannes Oerding. Wenn Corona das irgendwann wieder erlaubt…“

Rückweg. Mit dem Rad. Diesmal habe ich sogar den richtigen Weg getroffen. Es ist wahnsinnig dunkel und ich sehe kaum etwas. Zwischen den Dörfern gibt es nicht einen Funken Licht, der Kuhstall an dem ich zwischendurch vorbei fahre, ist das einzige Zeichen von Leben an diesem noch gar nicht so späten Abend, der sich anfühlt, wie die tiefste Nacht.
Das Herz ist noch ganz warm, fühlt sich noch so sehr getragen an, als mir der Gedanke kommt: „Mondkind, wenn Du den Sommer nicht überlebt hättest, dann hättest Du das hier nie erlebt…“ Und manchmal bin ich mir selbst so dankbar für dieses ganze Durchhalten, unabhängig davon wie viel Scheiße dieses Jahr passiert ist. Und manchmal glaube ich, dass diese Zipfelchen von Leben diejenigen sind, die so viel mehr werden können, wenn die Zeiten besser werden. In diesem Moment meine ich zu spüren, dass es irgendwann auch für eine Mondkind etwas wie ein Leben geben kann. Ein Leben, das lebenswert sein kann. Dass es noch nicht zu spät ist.

Als ich nach Hause komme, zünde ich die Kerze an, die neben dem Bild brennt. Wie jeden Abend, wenn ich nach Hause komme. „Heute hätte ich etwas zu erzählen…“, denke ich mir ganz still. Und irgendwie ist es eines der ersten Male, dass sich dieser Gedanke ein bisschen versöhnlich anfühlt.

Mondkind

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