Fünf Monate...

Hey,

Wie geht es Dir da oben? Hast Du den ersten Schnee gesehen?

Fünf Monate. Fünf Monate, seitdem das alte Leben aufgehört hat. Seitdem es diese unverrückbare Grenze gegeben hat. Der Frühling, der Letzte, den wir gemeinsam hatten, ist mittlerweile so weit weg.
Aus der Trauer um Dich ist langsam aber sicher, eine Trauer um uns geworden. Um all die Chancen, die wir hatten. Um die Zukunft, die wir so gern leben wollten. Die Trauer, um ein winziges bisschen Unbeschwertheit, Normalität am Horizont.
So oft sehe ich vor meinem geistigen Auge Dich – diesen Typen mit dem Rucksack über der Schulter, der mir auf dem Bahnhof entgegen kommt und ein kleines Mondkind – Herz schneller schlagen ließ. So oft frage ich mich, was aus uns geworden wäre, hätten wir die Chance gehabt es auszuprobieren. Würden wir sonntags gemeinsam frühstücken? Abends gemeinsam Abendessen? Wie würde die Wohnung mittlerweile aussehen? Wäre Dein kleines, blaues Auto mittlerweile hier unten?

Die Tage auf der Station sind lang geworden – unter 12 Stunden bin ich in der Regel nicht da, oft sogar noch länger. Die Besetzung ist eben eine Katastrophe. Ich glaube, Du würdest jeden Tag mit mir schimpfen wenn Du noch da wärst und mich fragen, was das denn soll, da jeden Tag so lange zu hocken.

Und weißt Du, was am meisten weh getan hat in den letzten Tagen? So allmählich kommt man nicht umhin den Blick in die Zukunft zu richten. Das hat allein das Ende des Jahres so an sich, dass man noch mal zurück schaut, nach vorne schaut, überlegt, was wohl werden wird.
Es ist das erste Mal, dass mir wirklich mit aller Brutalität bewusst geworden ist: Da ist nichts mehr. Und da wird auch in ein paar Wochen nichts sein. Diese Lücke, die Du hinterlässt, wird im Idealfall Monate, aber vermutlich viel eher Jahre präsent sein.

Ich habe das, was ich hier so treibe, auf das Existenz – Level geschalten. Ab und an sind da Spitzen von Schmerz, in denen ich das Gefühl habe, zu zerbrechen. Dazwischen tut es einfach nur noch weh. Aber diese alte Angst vor dem Scheitern ist fast vollständig verflogen. In drei Tagen ist der erste Dienst. Und man macht halt einfach so. Hätte mir wer im Sommer gesagt, dass man im Generellen so erschöpft sein kann, dass ich vor diesem Endgegner „erster Dienst“ gar keine Angst mehr haben kann… Lediglich ein bisschen mulmig ist mir bei dem Gedanken daran, am Sonntag 12 Stunden Vollgas geben zu müssen und der Herr Oberarzt mich immer mit einer Motivation erwartet, als käme ich gerade von einem dreiwöchigem Urlaub. Und naja… - auch wenn – was ihn und mich anbelangt wieder viel an diesem Dienst hängt – aber ehrlicherweise ist das ohnehin wie Roulette spielen. Du kennst es…

Ich frage mich so oft, ob Du damals noch denken konntest, während ich mit der potentiellen Beuzgsperson durch die Notaufnahme gehüpft bin, ein bisschen in Sorge um Dich, und meine Aufmerksamkeit aber den Soldaten geschenkt habe, die wir dort in einem Sammeltransport hatten. Und wenn Du noch denken konntest – was hast Du gedacht, wie ich damit zurecht komme, dass Du gehst?

Es tut mir leid, dass mir heute ein bisschen die Worte fehlen. Dass das heute alles ein bisschen chaotisch ist. Ich bin etwas erschöpft von dieser extremen Woche auf der Arbeit. Etwas gelähmt, wenn ich in die Zukunft schaue. Auf das Ende des Jahres. Das mich auch nochmal zwingen wird Dich und einige andere Menschen, deren Beziehung zu mir die Katastrophe nicht überlebt hat, zu beleuchten. Nochmal nachzufühlen und zu vergleichen, wie das Leben mit und ohne diese Beziehungen, mit und ohne Dir ist. Bezogen auf meine 27 Lebensjahre kannte ich Dich eine lange Zeit. Die Studienstadt ohne Dich, das gab es nicht. Das gibt es eigentlich immer noch nicht, weil ich selbst im Sommer nicht auf den alten Wegen war. 

Wie gern ich dort noch ein Mal mit Dir stehen würde...

Die Gespräche um Dich werden leise. Mit anderen Menschen.
Dafür wirst Du in mir um so lauter. Deine Kerze brennt hier. Jeden Abend.
Und wenn ich mir für Tage wie diese ein was wünschen dürfte, dann wäre es, dass mal Jemand fragt: Hey Mondkind, wie geht es Dir? Und vielleicht dann anfügt: „Meld Dich, wenn Du eine Schulter zum Anlehnen brauchst.“ Keine Forderungen, einfach mal sein und gehalten werden. Und vielleicht hoffe ich das ganz still, dass irgendwer sich erinnert, was diese Tage bedeuten...

Am 6. Dezember habe ich den ersten „ersten Dienst“. Schaust Du mir ein bisschen zu? Und können wir das in Gedanken hinterher bitte ein bisschen feiern?

Du fehlst hier. Jeden verdammten Tag. Aber Du bleibst. In meinem Herz. Und diesen Platz wirst Du nicht verlieren, okay? Ganz fest versprochen.

Ganz viel Liebe

Mondkind

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