Dienst - Debüt und Stationspläne
Anfang der Woche.
Mal wieder so ein „magic Mondy“. Ich bin gerade auf
meiner Visite, als das Telefon klingelt. Der dienstplanverantwortliche
Oberarzt. Das heißt selten etwas Gutes. „Mondkind, Du weißt, dass wir aufgrund
der Covid – Situation personaltechnisch sehr eng sind“, sagt er. „Ja“, antworte
ich. „Du nimmst Dir nichts vor für Freitag, Du übernimmst da den Dienst“,
erklärt er. „Mh, aber da habe ich schon zwei Termine“, entgegne ich. Einmal AGUS – Treffen und der ehemalige Herr
Kliniktherapeut hatte mir ja noch einen Telefontermin gegeben. Wenn ich den
nicht wahrnehmen kann, weil ich 24 – Stunden – Dienst schiebe, schießt er mich
auf den Mond. Außerdem ist es mir wichtig. „Mondkind, langsam kann ich auch
nicht mehr“, sagt er. Und dann schlägt er vor mit einer Kollegin zu tauschen,
die dann den Freitag macht und ich mache dafür ihren Dienstag. Das klappt dann
auch.
Also kurzfristiges Dienst – Debüt. Von gestern auf heute. Den ganzen restlichen Montag bin ich etwas unruhig und fahrig. Eigentlich sollte ich ja im Februar keine Dienste mehr machen (laut meinen Ärzten und Therapeutin in der Klinik hätte ich nicht mal arbeiten sollen).
Dienstag.
Ich erscheine um 10 Uhr auf der Arbeit
und habe für meine ganze Stationsarbeit zwei Stunden weniger Zeit, als üblich.
Um 16 Uhr trabe ich rüber in den Neubau. Komisches Gefühl. Als das letzte Mal
der Transponder an der Tür zum Hintereingang des Gebäudes geblinkt hat – das war
noch vor der Klinikzeit. Ich blicke über die langen Flure und es fühlt sich an,
als sei ich nie weg gewesen. Ich stelle meinen Rucksack kurz ins Dienstzimmer
und gehe weiter in die Notaufnahme. Auch dort gab es heute ein bisschen
Personalchaos und deswegen ist noch ziemlich viel liegen geblieben dort. Ich
verschaffe mir erstmal schnell einen Überblick, drucke meine eigenen Vordrucke
zur Aufnahme schnell aus und arbeite Einen nach dem Anderen zunächst im
Kurzprogramm ab, um zu wissen ob es Situationen gibt, in denen ich sofort
handeln muss.
Es dauert nicht lange, bis auch die Pflege merkt, dass ich wieder da bin. „Ach Hallo Mondkind, Dich hat man ja gefühlt zwei Winter nicht gesehen hier. Wir haben Dich vermisst. Warte mal, ich komme gleich nochmal, wenn ich kurz Zeit habe.“ Dieses Kommentar habe ich mehr als ein Mal gehört und es ist so wärmend zu spüren: Ich habe hier Spuren hinterlassen.
Es gibt zwar einiges zu tun in der Nacht, von den
Aufnahmen her ist es ein durchschnittlicher Dienst, aber es sind keine
Katastrophen dabei. Ich sage ja immer: Ich kann viel arbeiten, aber bitte keine
Lysen und Thombektomien mitten in der Nacht.
Und manchmal glaube ich immer noch, irgendwo da
oben im Universum sitzt mein Freund, schaut auf mich runter und lenkt das
Geschehen ein bisschen. Wiedereinstieg in die Dienste nach langer Pause und noch
dazu kurzfristig übernommen: Vielleicht habe ich da ein bisschen Ruhe verdient.
Und am frühen Morgen wird mich die Erkenntnis und
die Dankbarkeit dafür zu Tränen rühren. Er ist noch da, irgendwo. Eben nur
nicht mehr da, wo ich bin.
Irgendwann nachts gibt es nochmal kurz Unruhe wegen
einem jungen Patienten, der mit Kopfschmerzen, Schwindel und Kreislauflabilität
angemeldet wird; ein PCR – Schnelltest, den wir mittlerweile in 15 Minuten
haben, entlarvt als Ursache eine Corona – Infektion. Damit ist die Idee von der
Akutneurologie, die bei jungen Menschen immer mal zu Herzrasen führt, schnell
vom Tisch. Dann gibt es da noch die Patientin mit der allergischen Reaktion –
die Schwestern machen eigentlich mehr Drama, als die Patientin selbst – aber irgendwann
lasse ich mich auch etwas davon anstecken und hänge sie zusätzlich an den
Monitor, damit wir es merken, falls sie Atemnot bekommt und die Sättigung
abrauscht.
Meinen Oberarzt muss ich zwischen 22 Uhr und 7 Uhr
frühs nicht anrufen. Gelungener Dienst.
Das Bild, das sich hier tagelang bot... |
Ab morgen brechen meine letzten beiden Tage auf der
Normalstation an. Abgesehen davon, dass ich halt immer noch sehr müde bin,
waren die Wochen aber okay. Wahrscheinlich werde ich jetzt nochmal viel zu tun
haben, weil ich alles übergeben muss, aber sonst kann ich mich nicht
beschweren. Das Team ist toll dort drüben; es ist zumindest die Hälfte von dem,
das wir letzten Sommer im Neubau waren.
Ich verdränge noch, dass ich ab nächste Woche auf
die Intensivstation muss. Ich kenne niemanden dort, der soziale Rückhalt wird
automatisch verschwinden. Ich rücke auch noch weiter weg von der potentiellen
Bezugsperson; meistens kommt das Intensiv – Team nicht mal in die
Frühbesprechung. Aber wir haben sowieso seit Monaten nicht von Gesicht zu
Gesicht gesprochen, maximal Mails geschrieben; vielleicht wird es okay.
Ich habe wenig Lust auf einer neuen Station wieder
zu beweisen, dass ich teamfähig bin, dass ich etwas kann. Wenig Lust mir erneut
einen Platz in einem neuen sozialen System zu bauen. Vielleicht soll man das
auch irgendwann lassen und einfach mal durchschnittlich seinen Job machen. Ich
habe mir alle paar Monate so viel Mühe auf jeder Station gegeben und ich bin ja
auch überall gern gesehen, was mich sehr freut. Aber es ist so viel Aufwand,
dass das sicher mit ein Grund war, warum ich so müde geworden bin.
Und dann – es wird gestorben auf der
Intensivstation. Sogar viel. Und obwohl ich all meinen Mut zusammengefasst habe
und in der Klinik angesprochen hatte, dass es meine Existenzberechtigung in
Frage stellt, wenn mir ein Patient weg stirbt, gab es dafür keine gedanklichen
Ansätze.
Ich sehe den Frühling. Der jedes Jahr schwierig
ist. Weil ich mir jedes Jahr wünsche, ihn zu erleben. Aber nie weiß, ob das
möglich ist. Und dennoch – ich glaube ich war nie so „ruhig“ vor einem
Stationswechsel. Es kann sein, dass ich das nicht überlebe. Weil es zu viel
Verlust ist, zu schnell nachdem ich gerade wieder da bin, weil ich Tode auf
dieser Station nicht verkrafte, weil ich mich so sehr innerlich dagegen wehre,
invasiv arbeiten zu müssen.
Aber irgendwann hat man all das so oft durch, dass
man hofft, dass es gut geht. Die Goldmomente mitnimmt, ohne zu wissen, wie
viele es noch sein werden. Aktuell hoffe ich sehr, dass ich den
Therapeutenwechsel noch erlebe. Ich würde einfach gern wissen, wie es ist, ein
Mal die Woche bei meinem Kliniktherapeuten sitzen zu dürfen. Ob wir gemeinsam
Lösungen finden könnten. Ob das reichen würde, um mich über die Zeit zu ziehen.
Aber ich weiß es nicht, ob das klappt, ob ich es bis dahin schaffe, selbst wenn unsere Strukturprobleme sich lösen. Im Mai wären auch die Bäume grün.
Und da man das sonst nirgendwo erzählen kann – oder
es nimmt zumindest niemand ernst – ist das erstmal wieder die Realität, mit der
ich jetzt leben muss. Es war so viele Wochen an der Front Frieden. Und ich bin
dankbar, dass ich das nochmal erleben durfte unabhängig davon, was die Zukunft
bringt.
Mondkind
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