Psychosomatik #17 Von Familie und zu Hause
Hinter meinem Freund kommt lange nichts.
Und dann tobt ein Feuerwerk.
Es hat lange gedauert, bis ich irgendetwas sehen konnte. Etwas anderes als die Traurigkeit, Sehnsucht und die Schuldgefühle in Bezug auf meinen Freund.
Und irgendwo dahinter kommt dann die Arbeit. Die ja auch bald wieder
auf mich wartet.
Ich habe schon gehört, dass ich jetzt schneller, als es geplant war
auf die Intensivstation rotiere und man muss jetzt kein Fuchs sein um zu ahnen,
dass das für mich schwierig werden wird.
Die meisten Menschen hier an der Klinik finden den Plan, mich noch
zwei Tage krankschreiben zu lassen und dann wieder voll durchzustarten, erste
Dienste neben der Intensivzeit ab März, ziemlich wahnwitzig. Und wenn ich
ehrlich zu mir selbst bin, dann ist das Einzige, was mich davon abhält völlig
durchzudrehen vor Angst die Tatsache, dass ich gelernt habe, sie ziemlich gut
zu verdrängen. Manchmal zündet sie dann unvorbereitet und explodiert, aber in
den Diensten darf man primär keine Angst haben, da muss man einfach
funktionieren und das lässt sich auf sonstige Situationen auch recht gut
anwenden.
Ich habe hier nicht viel über die Familie geredet. Ganz am Anfang habe ich mal zu dem damaligen Therapeuten gesagt, dass das Thema durch ist. Ich bin alt genug, ich kann ohne meine Familie leben und ich werde von denen ohnehin nicht mehr das bekommen, das ich brauche. Wenn ich wieder meinen Vater höre, der sagte, dass ich der Gesellschaft seit Wochen nur auf der Tasche liege, dann wüsste ich nicht, was ich von den beiden wollen sollte. Das ist schon irgendwo richtig, es hilft mir nur absolut gar nicht.
Die Stadt hier im Sommer... |
Nur muss man am Ende mutmaßlich zu dem Schluss kommen, dass man das
nicht so trennen kann. Dass alles immer noch zusammen hängt. „Mondkind, wir
sind hier wie eine große Familie. Das gibt es selten im Krankenhaus, aber hier
ist es so.“ Das hat mir im praktischen Jahr mal eine Kollegin gesagt und wahrscheinlich war das einer der Schlüsselsätze meines Lebens. Und bevor
die Neuro zum Teil in den Neubau gezogen ist, war das auch noch so;
mittlerweile ist es etwas weniger so.
Familie und zu Hause sind für mich immer noch schwierige Begriffe.
Weil ein zu Hause eben auch kein fester Ort ist. Für mich ist das dort, wo man
willkommen ist, eingebettet in einer zwischenmenschlichen Mitte, wo Menschen
vielleicht mal auf einen warten, oder man selbst darauf, dass noch wer kommt,
wo Menschen nach einem fragen, wo man wichtig ist und es auffällt, wenn man
fehlt. Vielleicht gab es so einen Ort mal in meinem Leben, bevor das mit dem
Leistungsding anfing, bevor meine Eltern sich getrennt haben, bevor unser Haus
der Ort wurde, an dem die Menschen unter einem Dach gelebt haben, aber sich
nicht wichtig waren. Oder nur so wichtig, wie die Leistung, die sie erbracht
haben.
Und ich glaube, so sehr wie ich auch rational einen Haken hinter das
Thema Familie und zu Hause gemacht habe – emotional habe ich das wahrscheinlich
nie getan. Meine Wohnung, in der ich heute lebe, ist eher ein Schlafplatz als
alles andere.
Und dennoch hatte ich im Sommer eine recht ruhige und auch gute Zeit.
Das war die Zeit, als ich schon eine Weile in der Notaufnahme war, wusste, wie
der Hase dort läuft und mein Notaufnahme – Oberarzt und ich sich auch gut
verstanden haben. In der Zeit hat er mittags auch oft unsere „Gang“ zusammen
getrommelt und dann sind wir zu sechst essen gegangen. Da hat es auch eine Zeit
gegeben, in der wir uns abends ab und an mal mit ein paar Kollegen getroffen
haben.
Es war eine Zeit, in der es beinahe so lief, wie ich mir das
vorgestellt hatte. Ich war nicht Mittelpunkt von irgendetwas, ich habe einfach
ganz unkompliziert dazu gehört. Es ist aufgefallen, wenn ich gefehlt habe. Man
hat mich auch in meiner Notaufnahme bedacht. Selbst wenn unser Oberarzt mal
nicht da war und wir uns selbst koordiniert haben, haben die mich immer
angerufen und gewartet, bis mir den Spätdienst das Telefon abgenommen hat. Und
manchmal war ich echt ein bisschen traurig, wenn ich mittwochs zur Therapie
musste, weil mit der Therapeutin herum zu sitzen nicht halb so gut war, wie mit
den anderen, am Besten noch draußen auf der Terrasse. Manchmal sind unsere
Pausen schon ein bisschen ausgeartet.
Ich habe mich lange gefragt, warum es mit der Stimmung so schnell
bergab ging, als ich in den Altbau versetzt wurde zusammen mit einer anderen
Kollegin. Ich dachte lange, es liegt an dem Chaos auf der Station und zu Teilen
ist das sicher auch so. Allerdings war das Wegfallen von zwischenmenschlichen
Halt mutmaßlich schlimmer.
Zusammengefasst ist die Arbeit also so ziemlich die einzige Form von „zu
Hause“, die ich aktuell haben könnte und die es auf absehbare Zeit vielleicht
sein kann. Da ist natürlich die Idee von der Versetzung auf die Intensivstation
nicht nur unter fachlichen Gesichtspunkten schwierig.
Natürlich soll es nicht so sein. Die Arbeit soll kein zu Hause sein.
Und das ist ja auch die Form von zu Hause, die ich vielleicht irgendwie noch
kennen gelernt habe. Du bekommst einen Platz, wenn Du etwas leistest. Ich
musste schon erste Dienste machen, um dazu gehören zu dürfen, das war der Preis
dafür; dann wurde ich schnell in deren Mitte aufgenommen. Deshalb möchte ich
die Dienste auch schnell wieder machen.
Es ist wahrscheinlich keine gesunde Form von zu Hause. Zum Einen weil
das natürlich überhaupt nicht der Plan ist, zum anderen, weil man natürlich
nicht dahin kommt, gemocht zu werden, einfach weil ich ich selbst bin.
Das erklärt aber auch, warum es mir so schwer fällt diese Idee vom Ort in der Ferne loszulassen. Eine andere Idee habe ich nämlich nicht. Nachdem mein Freund gestorben ist, ist die Idee von irgendetwas das im Privaten trägt in so weite Ferne gerückt, dass ein Licht nicht mehr sichtbar ist. Es ist also das Einzige, das ich haben kann. Entweder das, oder nichts.
Und ich kenne mich. Ich weiß was passiert, wenn ich zurückkomme. Wieder ein Stück weg von meinen Kollegen rücken muss. Wieder einem neuen Überforderungserleben auf der Intensivstation ausgesetzt bin. Die Trauer immer noch präsent ist.
Es gab hier in den letzten Tagen Momente von Licht. Ich habe dem
Therapeuten gegenüber von einem Schwellenerleben gesprochen. Momente, in denen
ich ein gewisses Grundvertrauen gespürt habe. Eine Idee von: Ich kann meinen
Freund tragen und ich kann das Leben tragen und ich weiß, dass ich es immer
ändern kann solange, bis es besser wird. Und dennoch sind das Momente. Die
wahrscheinlich aus einem Grundgefühl des Aufgehobenseins entstehen.
Ich glaube, so weit war ich beim letzten Klinikaufenthalt auch schon
mal. Und ganz schnell schaltet der Kopf dann nach der Entlassung, nach den
ersten Tagen im Job, zurück in den Überlebensmodus. Weil ich eigentlich nur
Dinge tue, die mir Angst machen, dazwischen auf kleine Lichtmomente hoffe, die
eben nicht steuerbar sind. Die Beziehungen auf der Arbeit werden nicht durch
mich gestaltet, sondern dadurch, wer wo arbeitet. Und so wird aus der
Selbstbestimmung ein Aushalten und ein Warten, in dem man vergisst, dass man
Dinge ändern kann. Denn – und das sagte mal eine Pflegerin in der Psychiatrie –
Änderungen brauchen einen alternativen Boden, der erstmal trägt. Das kann
vielleicht nochmal – auch im Erwachsenenleben – die Familie sein, ein Freund,
sonstige Freunde. Aber ich habe keinen alternativen Boden mehr, wenn ich hier
gehe.
Ich habe Angst.
Mal sehen, was so wird. Wie lange ich das kann. Es ist so ein
Feuerwerk von Erkenntnissen, kurz bevor ich gehe. Was sehr ungünstig ist und
ich werfe mir schon wieder vor, zu lange gebraucht zu haben. Ich habe mir Mühe
gegeben, mich zu beeilen. Aber irgendwie… - wie wollen wir in drei Tagen
irgendwelche Lösungsansätze für ein existentielles Problem finden?
Und wenn ich ein Mal zurück im Job bin… - dann werde ich froh sein,
dass ich zumindest hoffen kann, mich irgendwo minimal anlehnen zu können. Weil
ich eben ein Beziehungsmensch bin. Und wohl schon immer einer war.
Mondkind
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