Vom Neustart im Job und Gefühlen unter dem Deckmantel
Back in the game.
Nachdem ich so lange raus war. Seit dem 8. Dezember.
Als ich das letzte Mal so lange weg war, fiel mir das sehr schwer nach
der Psychiatrie zurück in den Job zu gehen. Ich hatte meine Aufstehzeit
vergessen und musste eine neue Morgenroutine finden, weil ich mich an die Alte
nicht mehr erinnern konnte. Ich brauchte mehrere Anläufe, bis ich auf der
Arbeit die richtigen Passwörter eingegeben hatte, für ein Programm musste ich
die EDV damals bitten, das Passwort zurück zu setzen. Ich konnte mich nicht
mehr erinnern, wie ich die Patienten untersucht hatte und brauchte eine neue
Reihenfolge für meine neurologische Untersuchung.
Ich hatte Angst, dass es mir diesmal genauso gehen würde. Aber
irgendwie war es alles ganz automatisiert. Ich wusste gestern, wann ich den
Wecker stellen muss, ich hatte meine Zeitmarken im Kopf, zu welcher Uhrzeit ich
morgens wo in meiner Routine sein muss, um pünktlich das Haus zu verlassen. Ich
konnte mich an die Passworte erinnern, es gab keine Probleme dabei bei den mir
zugeteilten Patienten die Anamnesen zu erheben, sie zu untersuchen, die
Diagnostik anzumelden und im EEG die ersten ETPs seit langer Zeit heraus zu
fischen.
Ich habe mich schon sehr über mich selbst gewundert.
Und gleichzeitig schmilzt die Zeit gefühlt zusammen. Eben war doch noch Dezember. Adventszeit. Kurz vor Weihnachten. Und plötzlich ist fast Frühling. Ist dazwischen etwas passiert?
Obwohl ich früh nach Hause gehe, fühle ich mich sehr erschöpft. Aber immerhin etwas besser, als damals im Dezember. Und irgendwie habe ich ja auch eine Menge gelernt in der Zeit dazwischen.
Sieben Wochen Klinik haben bewirkt, dass die Akkus zumindest… - sagen
wir mal 30 % aufgeladen sind. Sie haben das Deckmäntelchen der Depression, die
auch ein bisschen ein Schutz war, als alles zu viel wurde, von mir herunter
genommen.
Und darunter spüre ich mein Herzchen. Das schlägt. Das wieder mehr
Emotionen kennt, als die Leere oder allenfalls noch die Traurigkeit.
Es gibt Menschen, die bewegen das Herz. Die einen mehr. Die anderen weniger. Es gibt Menschen, bei denen huscht mir ein Lächeln über das Gesicht, wenn ich an sie denke, in deren Gegenwart spüre ich eine Wärme im Herzen, wenn ich sie sehe.
Diese neuen, alten Emotionen führen zu vielen Erinnerungen. Eine Szene ist ganz präsent. Es muss eines unserer letzten Treffen gewesen sein. Zwischen dem Freund und mir. Ich habe auf ihn auf dem Bahnhof gewartet. Mit klopfenden Herzen. Wir hatten uns eine Weile nicht gesehen. Als der Zug gehalten hatte und die Türen sich öffneten, habe ich versucht mit den Augen überall gleichzeitig zu sein. Und irgendwann haben meine Blicke ihn gefunden. Diesen Typen mit dem Rucksack auf dem Rücken, der da aus dem Zug fiel und mich auch schon erspäht hatte. Wir sind aufeinander zugelaufen, haben uns in den Arm genommen – eine dieser Umarmungen, bei denen ich Angst hatte, dass wir zusammen umkippen – und ich hatte Tränen in den Augen.
Es ist nicht nur die Tatsache, dass mein Freund nicht mehr lebt. Dass
dieser Mensch nicht mehr da ist. Dass ich jetzt alleine bin. Es ist auch die
Tatsache, dass ich solche Momente in der Intensität seit über anderthalb Jahren
nicht mehr erlebt habe. Als er gestorben ist, hat er diese Momente mitgenommen.
Und ich spüre ein bisschen Wut. Ein bisschen. Darüber, dass ich so Vieles, das
zwischen uns stand, nicht mehr leben kann. Dass das so schrecklich war, dass
ich lieber nichts gefühlt habe, als diesen Verlust.
Und jetzt, wo mein Herzchen wieder ein bisschen fühlen kann, spüre ich
wie viel Sehnsucht ich habe. Wie sehr ich mir wünschen würde, dieses Gefühl
nochmal erleben zu dürfen. Wie präsent die Frage ist, ob das noch möglich sein
darf. Denn leider ist es so: Die Welt dreht sich weiter, es kommen und gehen
neue Menschen in meinem Leben und ich kann doch nicht bis zum Ende meines
Lebens ein gefühlskalter Eisklotz sein.
Mal sehen, was heute so passiert. Ich versuche die letzten beiden
Wochen auf meiner alten Station zu genießen – ab März geht es auf die
Intensivstation. Bis mindestens Ende des Jahres. Also ist das Jahr bald gefühlt
schon wieder gelaufen, denn wenn ich an einem Ort keinen Tag länger als sechs
Monate bleiben wollen würde, dann wäre es die Intensivstation.
Nebenbei warte ich auf einen Anruf von dem ersten Therapeuten in der
Klinik. Eine Mitpatientin hat mir gesteckt, dass er mich noch anrufen wollen
würde. Er hat es ihr gesagt, nachdem er sie angerufen hat, um sich für die
Karte zu bedanken. Das würde meinen Tag wirklich erhellen, also warten wir
gespannt.
Mondkind
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