Resümee der Klinikzeit

Klinikrückblick.
Wo fängt man eigentlich an?
Wenn ich wieder im Wohnzimmer an meinem Tisch sitze, dann kommt es mir so vor, als sei ich nie weg gewesen. Obwohl ich vor Weihnachten zuletzt in dieser Wohnung saß. Und dennoch verschwindet die Klinikzeit in einer Art Nebel und Zwischenwelt und es ist, als würde die Zeit zusammen schmelzen. Habe ich das alles wirklich erlebt? War ich wirklich da?

Ich glaube – um die Zusammenfassung für die eiligen Leser mal vorweg zu schieben – es ist eine gute Klinik und es ist auch nicht so, dass ich nichts erreicht hätte. Und dennoch ist es so eine Sache, wenn man wartet, bis absolut gar nichts mehr geht. Das Konzept einer Psychosomatik ist ja auch nicht die Therapie von akuten Krisen. Hätte meine Therapeutin keinen Draht in die Klinik gehabt, hätte ich so schnell gar keinen Platz bekommen und vermutlich hätte es – wenn ich es hätte überleben wollen – zwangsläufig in der Psychiatrie geendet.
Und obwohl meine Einzeltherapeuten und ich den Rahmen weit jenseits dessen ausgedehnt haben, was eigentlich an Betreuung vorgesehen war, war das häufig nur ein Durchhalten und überleben; ein Hangeln von Termin zu Termin.
Was mich jetzt vor die Frage stellt: Wie geht es weiter? Ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung.

Es ging eigentlich schon mit dem letzten Dienst los, den ich gemacht habe. Das Ende eines Dienstmarathons, drei Dienste in sechs Tagen. Und als ich danach das Krankenhaus verlassen habe, wusste ich: Die Chancen stehen jetzt ziemlich gut, es zumindest bis zur Klinik zu überleben.
Kurz vor Weihnachten. Meine Schwester war noch da gewesen und hier für sie da zu sein und etwas mit ihr zu unternehmen, lag auch eigentlich weit jenseits dessen, was ich noch leisten konnte. Und obwohl meine Schwester eher so ein „spring – ins – Feld“ ist und viel unternehmen wollte, konnten wir nur wenig machen.
Nachdem sie wieder gefahren war, musste ich die Klinik vorbereiten. Die Wohnung startklar machen, den Schlüssel den Nachbarn übergeben, alle offenen Rechnungen noch überweisen, in der Neuro die restlichen Briefe fertig schreiben und die EEGs auswerten. Kurz vor Weihnachten ein Ortswechsel in unbekannte Gefilde hat mir viel Angst gemacht. Mir war klar, dass man da wahrscheinlich viel abfangen muss und mich da auf eine Institution zu verlassen, die ich noch nicht kannte, fiel mir schwer. Überhaupt – nach den letzten Psychiatrie – Erfahrungen wieder in ein stationäres System vertrauen zu müssen, war eigentlich nichts, was ich wirklich wollte. Was, wenn man mich nochmal so überfahren würde, nicht ernst nehmen würde? 


 

21. Dezember. Aufnahmetag. Der Wecker hat schon sehr früh geklingelt, ich habe es kaum geschafft aufzustehen. Mit letzter Kraft habe ich noch versucht ein bisschen Ordnung in der Wohnung zu machen, die ich nun den Nachbarn überlassen würde. Da musste es ja schon einigermaßen vernünftig aussehen. Es war ein sehr kalter Tag, aber geschneit hatte es nicht. Das ganze Gepäck zum Bahnhof zu schleppen war eine Herausforderung für sich und dort habe ich ausgerechnet noch einen Kollegen aus der inneren Medizin getroffen, für den ich mir schnell eine Ausrede einfallen lassen musste, wo genau ich eigentlich hin wollte. Allerdings konnte er mir mit dem Gepäck zumindest bis zum Umsteigen helfen. Auf dem Bahnhof dort habe ich gezittert wie Espenlaub. Ob vor Kälte oder vor Aufregung – ich weiß es nicht.
Kurz nach 10 Uhr habe ich das Gepäck die Einfahrt zur Klinik hinauf geschleppt. Dort wurden die Neuankömmlinge erstmal in einem Zelt geparkt, in den man netterweise einen Heizpilz gestellt hatte. Ohne Corona – Schnelltest ging hier gar nichts, aber während wir noch auf die PCR – Ergebnisse warten würden, durften wir uns zumindest frei im Haus bewegen. Gewagtes Konzept, aber 24 Stunden Isolation hätte ich kaum überstanden.
Nachdem ich zumindest schon mal von der Pflege und dem Patientenmanagement im System aufgenommen wurde, hat die Pflege mich erstmal zu meinem Zimmer für die nächsten Wochen gebracht. Und dann der erste Schock: Doppelzimmer. Und das in meinem Zustand, wo ich doch einfach nur meine Ruhe haben wollte. Und dort brach es dann erstmal über mich hinein und es liefen die ersten Tränen des Tages.
Zum Mittag konnte ich eigentlich nichts essen und kurz danach hat mich schon mein damaliger Bezugstherapeut abgeholt. Sein Zimmer war bei uns um die Ecke, wir mussten nur ein Mal die Treppen hoch laufen und über den Flur, unter dem immer der Boden geknarrt hat, wenn man drüber gelaufen ist. Und dann saßen wir in einem kleinen Büro ganz am Ende des Geländes unter der Dachschräge. Die erste Frage war, wie es mir geht und auf meine Antwort hin, dass ich sehr überfordert sei, merkte er an, dass ich ja schon mehrfach in Kliniken gewesen sei und das Aufnahmeprocedere ja überall gleich sei und er das somit nicht ganz nachvollziehen könne. „Was für ein Vogel“, dachte ich mir nur. Und ob mein Unterbewusstsein dennoch bereits eine Sympathie hergestellt hatte, oder ob ich so am Ende meine Kräfte war – ich weiß es nicht. Jedenfalls habe ich in meiner Erzählung warum ich überhaupt da bin bemerkt, dass ich am Besten ganz weit vorne anfange, damit ich Zeit habe, mich zu sammeln. Und während ich in meiner Geschichte mit meinem Freund noch irgendwo bei 2018 war, grätschte der Therapeut dazwischen: "Aber Ihr Freund von dem Sie gerade erzählen lebt nicht mehr, oder?“ Und dann war es vorbei. Mir ist das noch nie passiert, dass ich im Erstgespräch angefangen habe zu weinen und mich gar nicht mehr beruhigen konnte. „Das passiert mir normalerweise nicht; ich bin sonst nicht so“, habe ich gesagt. Ich glaube aber, ihn hat es gar nicht so gestört. Kennen sie vielleicht dort.
Die Ärztin hat mich – nachdem der Therapeut und ich überzogen hatten und er dort angerufen hatte und meine Verspätung angekündigt hatte – mit den Worten „Ihr Therapeut hat mich vor sieben Minuten angerufen“ begrüßt und dann liefen die nächsten Tränen. Was zum Geier wollten die denn von mir? Ich war froh, dass ich noch stehen konnte. Das hat die Ärztin dann allerdings auch bemerkt und mich für den Rest des Tages ins Bett gesteckt. Alle anderen Aufnahmeuntersuchungen und Gespräche würden am Tag darauf stattfinden.
Nur die Hausführung von meiner Patin aus der Kerngruppe hatte ich abends noch. Was ich damals noch nicht wusste war, dass sie alle Regeln noch etwas strenger ausgelegt hat, als das Haus. Die achten sehr auf das Einhalten von Regeln, das stimmt schon, aber wofür man alles eine gelbe Karte kriegen könnte – das konnte ich mir nicht mal merken. Abgesehen davon hat mein Terminplan für den nächsten Tag bis 10 Uhr vier Termine vorgesehen. Ich wusste nicht, wie ich das schaffen sollte. Und irgendwie ist mir langsam klar geworden, dass mein Zustand eigentlich viel zu schlecht für eine Psychosomatik ist.
Es war eine unruhige erste Nacht. 


 

Am nächsten Morgen musste ich schon um kurz nach sieben bei der leitenden Psychologin antanzen für ein 10 – minütiges Aufnahmegespräch. Und dort konnte ich auch nichts anderes tun, als weinen. „Es ist gut, dass Sie hier sind. Und auch, dass Sie vor Weihnachten noch gekommen sind“, waren damals ihre Worte. Eigentlich kann die Dame sehr ruppig sein, wie mir vorher gesagt wurde. Aber davon hatte ich bei diesem Gespräch nichts gemerkt. Ich war in dem Moment einfach nur dankbar, sicher sein zu können.
In der Therapieplanbesprechung saß ich an diesem Tag wieder meinem Bezugstherapeuten gegenüber. Wir haben darüber geredet, wie ich meinen Eltern über Weihnachten erklären soll, wo ich eigentlich bin – die wussten nämlich von nichts. „Sie können mir auch deren Nummer geben, dann kläre ich das mit denen.“ Dasselbe hatte er mir auch für meinen Arbeitgeber angeboten. Ich habe beschlossen, dass ich es selbst versuche, aber sonst dankbar auf ihn zurückkomme. Und gleichzeitig – das habe ich bei der Mitpatientin bemerkt – hat er eine eindeutige Entscheidung für die Therapie erwartet, ansonsten durfte man gehen. Und irgendwie fand ich das sehr sympathisch. Diese Strenge, die ich auch oft brauche. Und gleichzeitig eine bedingungslose Unterstützung wenn man sich auf den Weg in die Therapie macht.
Ich musste dann erstmal allerhand Fragebögen ausfüllen und weil ich so überfordert mit allem war, hat Herr Therapeut mir für die ersten vier Tage für jeden Tag einen Bogen mitgegeben und genau aufgeschrieben an welchem Tag der wo abzugeben war.

In der ersten Kerngruppe noch vor Weihnachten habe ich schon bemerkt, dass das schwierig werden würde, dort meinen Platz zu finden. Zunächst stand der Freund im Mittelpunkt und dann kam ganz lange nichts. Ich konnte nichts anfangen mit Menschen, die sich darüber aufgeregt haben, dass der Partner die Spülmaschine nicht ausräumt. Ich wäre doch so froh, wenn ich jemanden hätte, über den ich mich aufregen könnte, weil er nicht im Haushalt hilft.

Weihnachten. Unsere Cotherapeutin hat erklärt, dass sie gern über Weihnachten arbeitet. Jeder von uns habe einen Grund über Weihnachten in der Klinik zu sein und das möchte sie gern würdigen und für uns da sein. Wow, das war mal ein Statement. Über Weihnachten hatte es ein bisschen geschneit und so haben wir einfach einen Weihnachtsspaziergang durch die verschneite Landschaft gemacht. Ich konnte ein bisschen die Menschen in meiner Kerngruppe kennen lernen und meiner Cotherapeutin zuhören, die über ihre Familie berichtete, was mich irgendwie sehr bewegt hat. Zu hören, wie Weihnachten woanders gefeiert wird und wie es sein kann.
Und natürlich ließ auch die Weihnachtskrise nicht lange auf sich warten. Aber die Cotherapeutin hat wachsame Antennen dafür gehabt und so kam es, dass ich kurz in ihrem Büro sitzen durfte ohne dass ich überhaupt danach fragen musste. Und allein das hat viel Ruhe ausgelöst. Gesehen werden, getragen werden, nicht alleine sein über diese schwierigen Tage des Jahres. 

Einer dieser ganz, ganz wertvollen Zettel

Weihnachtsschmuck im Kurpark


 

Nach Weihnachten haben die Cotherapeutin und Herr Therapeut getauscht und mein damaliger Therapeut hat die Gruppe und Verantwortlichkeit für uns wieder übernommen. Es war noch meine erste Woche, in der ich den ersten Text zu seinem Briefkasten getragen habe. Ich fand dieses System mit den Briefkästen bei jedem Therapeuten sehr nützlich; es kam mir mit meiner Schreiberei sehr entgegen und es hat auch dafür gesorgt, dass ich die Grenzen des Systems ein bisschen schieben konnte. Wenn ich mich mitteilen musste, konnte ich das tun.
Dass allerdings alles in der Kerngruppe landet, habe ich dann auch schnell mitbekommen: „Frau Mondkind, ich habe da einen Zettel von Ihnen in meinem Briefkasten gefunden – sollen wir darüber heute noch reden?“ Es war mir unangenehm vor der ganzen Gruppe einen Sondertermin bei Herrn Therapeuten zu bekommen, aber ja – wir mussten darüber reden.

„Ich habe mal gehört, man muss die Geschichte so oft im Kreis erzählt haben, bis man subjektiv das Gefühl hat, ein Mal gehört worden zu sein“, habe ich Herrn Therapeuten erklärt und er hat dem sogar eine gewisse Verarbeitung der Geschehnisse zugeschrieben. Also ging es bei ihm schon in der ersten Woche in den späten Abendstunden um Verlust, Schuldfrage und freien Willen. Und schon da kamen immer mal hilfreiche Anstöße. So zum Beispiel, dass es so viele „was – wäre – wenns“ gibt, dass das eigentlich gar keinen Sinn macht, die zu hinterfragen.Und er hat es mir - das fand ich so bemerkenswert - überhaupt nicht übel genommen. Irgendwann habe ich mal gesagt, dass ich wirklich ein schlechtes Gewissen habe, ihn so zu beanspruchen, aber dass es mir gut tut und es danach ein bisschen leichter in mir ist. "Und in mir ist es gar kein Bisschen schwerer", hat er geantwortet. Dieser Mensch war wirklich Gold wert.

Jahreswechsel. Den haben wir dann mit meinem alten Therapeuten verbracht. Wir haben uns abends um 22 Uhr getroffen, sollten aufschreiben, was wir vom letzten Jahr alles gern loslassen würden und haben diese Zettel dann im Park neben dem Fluss verbrannt. Pünktlich um Mitternacht waren wir dann wieder zurück und standen oberhalb der Klinik, um uns ein besseres neues Jahr zu wünschen und ein paar Raketen beim Weg in den Himmel zuzuschauen.
Es war ein wunderschöner Jahreswechsel – auch wenn ich etwas gestresst war, weil die Kollegen Stress mit ihrem Dienstplan hatten und meinten mich am Silvesterabend um 21 Uhr damit behelligen zu müssen, aber wir konnten das in der Gruppe mit dem Therapeuten sofort klären. Und irgendwie hat es den Vertrauensaufbau zu dem Herrn Therapeuten noch ein bisschen beschleunigt, da wir eine so spezielle Zeit des Jahres mit ihm verbracht haben.


 

Beginn des neuen Jahres.
Ich hatte ein bisschen Vertrauen in dieses stationäre System gefasst und damit begann des Fallen. So schnell und so sehr, dass ich gar nicht mehr wusste, wohin eigentlich mit mir. Nachdem als Therapieziel „Reflexion emotionaler Prozesse im Zusammenhang mit dem Suizid des Freundes“ auf meinem Therapieziele – Zettel stand, wurde mir nochmal brutal klar, dass da etwas passiert war, dass ich bisher scheinbar nicht oder zumindest nicht ausreichend reflektiert hatte. Mir wurde irgendwann klar, dass mein soziales System im Prinzip im Inbegriff eines kompletten Resets ist, ohne dass ich es da aktiv hingeführt habe. Ich habe einfach viele soziale Kontakte verloren nach dem Tod meines Freundes und hatte auch selbst keine Kraft mehr diejenigen, die vielleicht geblieben wären, bei der Stange zu halten.
Ich hatte mir vorgenommen, mir diesmal eher und gezielter Hilfe zu holen, aber scheinbar hatte ich doch so lange gewartet, bis ich ziemlich angeschlagen vor der Pflege saß und deshalb endete das dann an einem Samstagabend mit der Dienstärztin, die mir dann erstmal erklärte, wer aus ihrer Familie schon alles gestorben war und wie schwer sie es gehabt hat. Irgendwie hat mich die Pflege mit regelmäßigen Kontakten dann über das Wochenende gezogen und dann begann die neue Woche.

Es war das Ende der zweiten und die dritte Woche, in der mir die Situation um die Ohren geflogen ist. Die leitende Psychologin kannte ich eigentlich nicht, deshalb hatte ich am Montagmorgen nach diesem Wochenende nicht das Bedürfnis mit ihr das Wochenende zu besprechen. Am Nachmittag im Einzel kamen die Themen dann aber doch auf den Tisch und auch, dass es da viel um das Thema Suizidalität gegangen war. Aus einem „gewissen Ärgernis“, das dadurch bei der leitenden Psychologin entstanden war, musste ich erstmal beweisen, dass ich keine Borderline – Störung habe und das Klinikpersonal systematisch manipuliere, aber das haben wir dann mittels Fragebogendiagnostik (der Fragebogen funktionierte ungefähr wie das IMPP und ich habe mich in alte Zeiten zurück versetzt gefühlt) geklärt.
Es war dann auch klar, dass der alte Therapeut uns nicht bis zum Ende meiner Klinikzeit erhalten bleiben wird, sondern nach dreieinhalb Wochen meiner Klinikzeit die Gruppe an einen neuen Therapeuten abgibt.

Die zweite und dritte Woche ging es viel um Suizidalität. „Ich habe Sie Ihnen angesehen, diese Lebensmüdigkeit“, waren die Worte des alten Therapeuten, der mich wohl morgens schon durch Haus hatte tapsen sehen.
Es war schön, dass dieses Thema einfach da sein durfte. Dass er es – natürlich dann doch mit Unterstützung der leitenden Psychologin – mitgetragen hat. Es war gut zu hören, dass es keinen Sinn macht, dieses Thema in sich einzusperren, wenn es eben da ist. Weil es dann nur noch mehr Druck mache und das dann wirklich unkonrollierbar sei. Dass ich in seinem Büro darüber reden konnte, dass er vor meinem Hintergrund als nachvollziehbar aufgefasst hat, hat gefühlt Tonnen von Last von meinen Schultern genommen.
Irgendwann in dieser Zeit muss ich auch mit viel Unterstützung des Herrn Therapeuten meine Geschichte mit meinem Freund in der Gruppe erzählt haben. Ich habe relativ wenige Erinnerungen an diese anderthalb Wochen. Ich weiß nur, dass ich ständig über den knarrenden Boden auf dem Flur vor Herrn Therapeutens Büro gelaufen bin, mehr als ein Mal das Abendessen verpasst habe, weil wir dort oben gesessen und geredet haben. Während einer dieser Gespräche ist irgendwann dieser unglaublich wertvolle Satz entstanden, dass die Antwort auf die Starre im Herzen die Liebe sein kann.
Und trotz eines wahnsinnig hohen Betreuungsaufwandes war es schwierig. Am Freitag, bevor der damalige Therapeut unsere Gruppe abgegeben hat, saß ich noch nachmittags mit der leitenden Psychologin und dem Therapeuten im Büro und wir haben über eine Verlegung in die Psychiatrie gesprochen. Ich hatte Herzrasen ohne Ende und irgendwie haben wir es doch geschafft, dass ich dort bleiben durfte. 


 

Die Woche danach war schwierig. Therapeutenwechsel. Und der neue Therapeut und ich… - ich weiß nicht, was da los war. Er hat mich mit „Sie müssen Entscheidungen treffen“ und „eigentlich interessiert uns die Vergangenheit gar nicht so sehr, interessant sind nur maximal die Zukunft und vor allen Dingen die Gegenwart“, überfahren. Da hat er zwar grundsätzlich nicht Unrecht und doch sitzen wir alle in der Klinik, weil in der Vergangenheit etwas passiert ist, das so schlimm war, dass wir damit in der Gegenwart nicht leben können.
Von insgesamt fünf oder sechs Stunden Betreuung auf 20 Minuten in der Woche danach – das war schon hart. Mit dem alten Therapeuten konnte ich im Einzel immer gut besprechen, wie ich mein Thema in die Gruppe bringen konnte – das war mit dem neuen Therapeuten so nicht mehr möglich.
Der Therapieprozess geriet ziemlich ins Stocken; ich habe versucht mir über das Briefkastensystem der Klinik Gehör zu verschaffen. Und irgendwann ist mir dann auch aufgefallen, dass ich mich jetzt lange fast ausschließlich mit meinem Freund beschäftigt habe und dahinter einen Menschen vergessen habe anzuschauen: Mich selbst. Mir ging es ja schon vor seinem Tod nicht gut. Und so kam es dann, dass ich fast zwei Wochen nach dem Therapeutenwechsel bei der Cotherapeutin im Büro saß und mit ihr über meine Arbeitssituation gesprochen habe. „Dann haben wir hier also eine Patt – Situation“, war ihr Kommentar, nachdem ich ausgeführt hatte, dass ich meine eigene Existenzberechtigung in Frage stelle, wenn ich einen Patienten verloren habe und gleichzeitig nicht aus diesem Job kann, weil das zu viel Versagen wäre. Ich dachte damals, dass wir jetzt mal an einem entscheidenden Punkt meines Denkens sind und – nachdem ich das einmal ausgesprochen hatte – vielleicht Lösungsansätze erarbeitet werden können, wie man da doch raus kommt. Ich hatte sie nochmal um einen Termin gebeten, aber natürlich läuft alles was bei der Cotherapeutin passiert bei dem eigentlich zuständigen Bezugstherapeuten zusammen und er hat das wohl als nicht so nötig erachtet. Es hätte eigentlich noch ein Gespräch mit ihm und der Cotherapeutin zusammen geben sollen, aber daraus wurde dann nichts, weil die Cotherapeutin leider an diesem Tag krank war. Also hatte ich ihn alleine vor mir sitzen und nach einem unendlich langen Monolog sind wir bei der Frage raus gekommen: „Was sollen wir hier eigentlich noch therapieren?“ Tja, wenn ich das alles so gut wüsste und könnte, wäre ich wohl nicht da. 

 

 

Bis zur letzten Woche war es nach dem Therapeutenwechsel schwierig. Ich war immer noch sicher aufgehoben und auch dafür war ich dankbar, weil ich auch wusste, dass das in wenigen Wochen, wenn ich wieder mit dem Funk über die Flure rennen werde, verantwortlich für hunderte von Patienten in der Nacht, allein eine große Entlastung wäre. Aber therapeutisch haben wir uns nicht von der Stelle bewegt. Auch dann, als ich mir schriftlich versucht habe Gehör zu verschaffen bei der leitenden Psychologin, bei der Cotherapeutin und bei Herrn Therapeuten. Das Einzige, das es zur Folge hatte war, dass Herr Therapeut mich irgendwann mal nachmittags angerufen und erklärt hat: „Es ist mir wichtig Ihnen zu sagen, dass wir Sie sehen und registrieren, dass Sie Ihre Fühlerchen überall hin ausstrecken, um Hilfe zu bekommen.“
Hinsichtlich meines Freundes bin ich noch ein bisschen weiter gekommen, in dem ich meine Bücher gelesen habe, darüber nochmal auf die Geschichte von Kevin Hines gestoßen bin und die Zeit hatte mich in aller Ruhe zu fragen, wie das auch die Sicht, die wir beide aufeinander haben könnten, verändern kann.

Die letzte Woche hat nochmal ein bisschen etwas bewegt. Am Ende der Woche davor waren es 19 Monate seitdem mein Freund gestorben war und ich durfte diesen Brief in der Gruppe vorlesen. Es war ein sehr starker Brief, den ich glaube ich nur in der Lage war zu schreiben, weil ich einen Boden unter mir hatte, der mich ein bisschen getragen hatte. Es ist schön, dass die Worte schwarz auf weiß da sind und mich daran erinnern, wie ich diesen Tod eines Tages sehen und verarbeitet wissen möchte, aber jetzt – wo ich wieder zu Hause sitze – erscheinen die Worte ein bisschen gewagt, weil sie viel von der Sicherheit, die das Schuldprinzip auch ist, mitnehmen.
Danach ging es um das Thema Wut. Die ganze Gruppe schien zu wissen, worauf ich wütend sein sollte – abgesehen von mir. Irgendwann habe ich diese Gruppensituation nicht mehr verstanden und war wirklich froh, als die Stunde vorbei war. Aber ich habe den Herrn Therapeuten dann nochmal gebeten mir das zu erklären, was er auch getan hat. Ich glaube, das hat nochmal viel in mir bewegt, ich konnte das nur nicht gut zulassen. Wohin sollte ich mit der Wut am Abend vor der Entlassung? Eine wütende Mondkind – weiß ich, wie ich mit mir selbst umgehen soll?


 

Der Entlasstag war schlimm. Ich wusste, dass ich eigentlich längst noch nicht bereit bin, meine Flügelchen wieder aufzuspannen und draußen in der Welt zu bestehen. Es hatte mal wieder gereicht um mich – hoffentlich – wieder arbeitsfähig zu machen, aber mehr… ? Es gab viele Ideen auch hinsichtlich der Jobsituation, aber um die umzusetzen brauche ich sicherheitsliebender Mensch einen Boden unter mir, der trägt. Und ich wusste, dass ich den verlieren werde.
Es war auch wieder Zeit, Menschen gehen zu lassen, die mir doch ans Herzchen gewachsen waren. Eben weil sie einfach mitgetragen haben. Den ersten Therapeuten, den ich dort hatte. Ich wollte eigentlich nochmal einen Termin haben, aber das hatte nicht geklappt. Also ist meine vorerst letzte Erinnerung an ihn eine Begegnung auf dem Flur, bei der er als Begrüßung die Augenbraue nach oben gezogen hat und ich ein seltsames Stechen im Herzen verspürt habe. Die Cotherapeutin, die glaube ich wirklich toll war, ich habe nur leider viel zu wenig von ihr mitbekommen. Sie konnte Beides: Einen herausfordern und gleichzeitig halten. Ich durfte nur zwei Mal in diesen sieben Wochen in ihrem Büro sitzen, ein Mal zum Erklären der Dienstsituation, was sie erstaunlich ruhig aufgefasst hat und was mich sehr bewegt hat. Und den Bezugstherapeuten, zu dem sich die Bindung in der letzten Woche bei dem Gespräch über die Wut auch noch gebessert hat. Meine liebste Mitpatientin, die meine Tischnachbarin war. Als meine Kraft ganz am Ende des Aufenthaltes doch mal gereicht hat, haben wir uns ab und an im Speisesaal getroffen und gequatscht, mittlerweile telefonieren wir.

Zusammenfassend glaube ich, dass diese Klinik wahrscheinlich wirklich etwas bewegen kann. Die haben tolle und engagierte Therapeuten. Aber man sollte stabiler sein. Und nicht zwei Wochen damit verbringen, dass es einem so schlecht geht, dass man zwei Stunden nach der Therapiestunde alles vergessen hat und es eigentlich nur um mittragen, gehalten werden, gestützt werden, geht. Auch war dieser Therapeutenwechsel natürlich sehr ungünstig für mich. Und insgesamt war mein Zustand vermutlich etwas zu schlecht für das Konzept einer Psychosomatik, die eigentlich mit einigermaßen stabilen Menschen arbeitet – für alles andere gibt es die Psychiatrie. Hätte der erste Therapeut das wirklich eingehalten mit den 20 Minuten Einzel pro Woche, hätte ich es dort nicht durchgehalten.
Ich denke, wenn ich jetzt nochmal vier Wochen Zeit gehabt hätte, hätte sich vielleicht auch eine Änderung mit der Jobsituation ergeben. Die man hätte für sich festlegen und dann im therapeutischen Rahmen festzurren müssen, um mit einem festen Plan im Hinterkopf die Neuro wieder zu betreten. Damit das nicht so ist, wie die Ankunft zu Hause. Sobald man einen Fuß in alte Gefilde setzt, fangen sie mich automatisch ein, weil ich mich so sehr nach Zugehörigkeit, einem zu Hause und einem Ort, an dem ich sein kann sehne, dass ich alles nehme, was von der Ferne auch nur minimal so aussieht.

Und irgendwie kann man halt bei mir schon den Wecker danach stellen. Wie sagte Herr Therapeut irgendwann mal so schön: Wir helfen Ihnen dabei, dass Sie Ihre destruktiven Verhaltensmuster in ein paar Wochen wieder aufrecht erhalten können.
Es sträubt sich alles in mir, am Montag wieder arbeiten zu gehen. Vom Dienstplan gehört zu haben, in dem für mich Samstag Tagdienst und Sonntag Nachtdient vorgesehen sind – also die Dienste, die ich am meisten liebe. Und Dienstag, damit ich am Mittwoch nach 24 Stunden Dienst bei der Therapeutin aufschlagen kann und auf ihrem Sessel gedanklich eher schlafe, als irgendetwas anderes.

Aktuell gibt mir dieser geplante Therapeutenwechsel Halt. Das würde heißen: Durchhalten bis Sommer, bis meine alte Therapeutin in Rente geht. Und bis dahin die Therapiestunden auf das Nötigste reduzieren, damit nicht so viel Kontingent verloren geht. Und dann zu dem ersten Kliniktherapeuten, den ich hier hatte. Vielleicht gibt das etwas. Vielleicht können wir beide den Boden generieren, den ich brauche, um doch mal etwas zu ändern. Und dann hätte die Klinik doch auch noch Sinn gehabt – weil sie unabdingbar war, um den Therapeuten überhaupt erstmal kennen zu lernen.
Nur ein Auto brauche ich bis dahin noch – mal sehen, ob ich das hinkriege. 



 

 

Mondkind

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