Ein Freitag und ein Therapie - Telefonat

Freitag.

Frühbesprechung. Nachdem die Notaufnahme in den letzten Tagen aus allen Nähten geplatzt ist, ist unsere Station doppelt so voll, wie sie eigentlich sein darf. Mit der Patientenanzahl für jeden Assistenten ist es fast, wie in alten Zeiten.

Ob heute der letzte Tag auf der Normalstation ist? Ich weiß es nicht. Eine Stationsverteilung für nächste Woche wird bis zum späten Freitagnachmittag nicht verschickt werden und offiziell hat niemand gesagt, dass ich ab Montag auf die Intensivstation soll. Es steht halt im Rotationsplan.

Eine Kollegin, die am Morgen nach dem Dienst nach Hause geht, kommt auf mich zu. „Mondkind, der Oberarzt hat gesagt, Du nimmst nächste Woche die Epilepsiepatienten.“ „Wie soll denn das gehen, wenn ich auf der Intensiv sein soll?“, frage ich. „Das weiß ich nicht Mondkind. Und übrigens – heute übernimmst Du meine Patienten auch; eine ist noch im Video – EEG unten auf der Intensiv, die musst Du noch punktieren. Und Du kannst den Brief schreiben, denn morgen nach dem Video – EEG geht sie heim.“

Nein, mit so etwas fangen wir bestimmt nicht mehr an. Ich schreibe sicher keine Briefe für Kollegen, weil ich mal für einen Tag deren Patienten übernommen habe. Und ich komme sicher nicht am Samstag, um das zu tun.
Am Nachmittag schnappe ich mir eine erfahrene Kollegin und laufe auf die Intensivstation, um die Patientin zu punktieren. Allein das Gebimmel, die intubierten und regungslos im Bett liegenden Patienten lassen meinen Puls nach oben schnellen. Ich möchte hier nicht ab Montag arbeiten müssen. Und ich glaube, ich verdränge es einfach so lange, bis jemand wirklich sagt, dass ich jetzt runter auf die Station gehen muss und dass das mein Platz bis mindestens Ende des Jahres wird.

Es ist kurz vor 16 Uhr. Die Arzthelferin ist schon auf dem Weg nach Hause, die Kollegin die bei mir sitzt, bricht auf zum Dienst. Zwei Minuten vor 16 Uhr bin ich allein dort und schließe die Tür hinter mir.
16 Uhr. Auf die Minute genau ruft der zweite Kliniktherapeut an, der mir am letzten Tag im Abschlussgespräch noch einen Termin gegeben hatte.

Residuen des Hochwassers

Irgendwie bringt das gar nicht so viel. Obwohl mein Kopf so voll ist.
Aber wie immer reden wir auf verschiedenen Ebenen.

„Es interessiert mich brennend, was Sie aktuell machen“, legt er los. „Aktuell sitze ich auf der Arbeit“, erkläre ich. Erzähle, dass ich schon seit zwei Wochen wieder dabei bin, den ersten Dienst hinter mich gebracht habe, demnächst auf die Intensiv soll – was niemand so ganz offiziell gesagt hat und ob es wirklich Montag so weit ist, weiß ich auch nicht, aber ich werde wohl nicht umhin kommen. Ich erzähle, dass das Privatleben immer noch – oder schon wieder – ziemlich brach liegt, Telefonate mit Bekannten, oder Freunden, wenn man sie so nennen will, schiebe ich aufs Wochenende und von da aus auf die nächste Woche. Ich bin müde, erkläre ich, schaffe kaum etwas neben dem Job, aber die Arbeit gibt mir Halt. Die letzten zwei Wochen war ich in einem tollen Team, das ich gut kenne und obwohl ich sehr müde war, war es trotzdem tendenziell okay. Es ist gut, wieder etwas Sinnvolles zu tun zu haben. Ich wurde teilweise sehr lieb wieder empfangen – insbesondere von den Kollegen auf meiner Station und irgendwie auch auf SU und in der ZNA, die Pflege war wirklich toll – und es zeigt, dass ich irgendwo doch auch meine Spuren hinterlassen habe.

„Wie kommt es, dass Sie so schnell wieder arbeiten waren?“, fragt er. „Naja, ich habe den Chef getroffen am Donnerstag nach der Entlassung. Und wie hätte ich zu Hause herum sitzen sollen? Wahrscheinlich wäre ich auch arbeiten gegangen, hätte ich ihn nicht getroffen.“ „Wann fangen Sie eigentlich an, sich ernst zu nehmen?“, fragt er.

Ich weiß nicht, warum er arbeiten bei mir immer mit mangelnder Selbstfürsorge gleich setzt. Er mahnt, mich wieder krank schreiben zu lassen, aber ich sehe den Sinn nicht. Klar, auch auf der Arbeit läuft Vieles nicht so, wie ich mir das gewünscht hätte. Aber nicht arbeiten zu gehen, ist auch keine Lösung.
Wir reden kurz über die Intensiv. „Ich kann mich nicht für jeden Sterbenden dort verantwortlich fühlen. Dann komme ich in Teufels Küche. Oder bei jedem der stirbt, wieder meine eigenen Emotionen erleben. Aber das wird passieren. Ich fühle mich schon immer ein bisschen betroffen, wenn ich nur in der Übergabe frühs höre „Patient xy ist geplant verstorben.“ Geplant verstorben, ist glaube solche Termini verwenden auch nur Mediziner.“ „Nein, Sie können sich nicht für jeden Sterbenden verantwortlich fühlen. Sie sollten lernen, das nicht zu tun. Aber ich kann mich auch nicht für Sie verantwortlich fühlen. Es ist Ihre Verantwortung, was Sie aus Ihrem Leben machen – und ob Sie es überleben.“

Ich weiß nicht, ob es der Job ist. Für ihn ist das so. Das war immer so und deswegen haben wir so selten auf einer Ebene geredet. „Schaffen Sie sich einen Hund an. Fahren Sie ans Meer. Fahren Sie zu irgendwelchen Ruinen; Sie sollen doch nicht zu Hause sitzen, Sie sollen etwas tun.“ Naja, das Leben ist kein Ponyhof. So läuft es doch alles nicht. Und ob es mich glücklich machen würde, weiß ich auch nicht. Ich bezweifle es.

„Ich hätte nicht gedacht, dass man so schnell wieder drin hängt“, sage ich nach einer Weile Stille. „Sonst hat es meistens wenigstens ein paar Wochen gedauert“, füge ich hinzu. „Sie vergewaltigen Ihre Seele“, sagt er. „Naja, so schlimm ist es auch nicht“, entgegne ich leise. „Doch“, antwortet er. „Es fühlt sich an, als würde man emotional und mental sterben“, wiederhole ich den Satz, den ich irgendwann mal geschrieben habe. „Ich weiß“, sagt er. „Und ich glaube, deswegen habe ich am Ende in Ihrem Büro so geweint. Ich wusste einfach was passiert. Das ist erstmal so nicht änderbar. Ich wünschte, das wäre es, aber das ist es nicht.“

Und manchmal glaube ich, am Ende braucht es vielleicht einfach Zeit. Und bis dahin muss ich es durchhalten. Ja, in Teilen ist es vielleicht der Job. Ich sehe den Punkt. Aktuell ist es noch nicht so, aber im März wird es wieder Dienste geben, bei denen klar ist, dass ich nicht nur durchgängig Herzrasen habe, sondern auch einfach zu der ohnehin vorhandenen Müdigkeit übermüdet sein werde. Es ist die Angst vor der Verantwortung, wo ich kaum für mich selbst Verantwortung übernehmen kann. Es ist das Hangeln von einem Dienst zum Nächsten, vom Atmen dazwischen, vom Stillstand vor dem Nächsten. Aber das ist nur ein Teil. Der vielleicht noch eher händelbar wird, als der Rest.
Denn der Rest, das ist etwas anderes. Das ist das tiefe Vertrauen, sein zu dürfen. Irgendwo aufgehoben zu sein. Einen Platz zu haben, den man sich nicht nur mit viel Leistung und Aushalten vieler Ängste erkämpft hat und doch immer wieder hergeben muss. Es ist die Idee, ehrliche Spuren irgendwo zu hinterlassen. Und nicht wer anders sein zu müssen, um akzeptiert zu werden. An den meisten Orten außerhalb der Arbeit werde ich lediglich geduldet. Es ist okay, wenn ich da bin. Vielleicht. Und mindestens genauso okay, wenn ich nicht da bin. Zugehörigkeit, das ist das Stichwort. Und es gibt so Situationen, die haben das Herz berührt. Als Die Cotherapeutin mich in der letzten Gruppe nochmal in die Mitte gestellt hat und alle anderen drum herum. Was schon wieder so viel Zugehörigkeit war, dass ich fast Angst hatte, fliehen zu müssen. Denn nach all den Jahren, ist es immer auch die Frage, ob das ernst gemeint sein kann. Es ist so eine Sehnsucht und ein Wegrennen gleichzeitig. Ich wünsche es mir so sehr, aber ich kann es nicht aushalten. Oder der erste Therapeut mit seinem „Ich mag Sie.“ Es war ein Herzrasenmoment. So wundervoll und schmerzhaft und beängstigend gleichzeitig. Oder mein Freund. Die Vorstellung, dass er auch im selben Krankenhaus arbeiten möchte, hat mich manchmal auch wahnsinnig gemacht.

Mit dem zweiten Therapeuten in der Klinik, den ich gerade in der Leitung habe, komme ich soweit nicht. Diese Ebene habe ich mit ihm nie erreichen können. Vorher hat er mich auf den Job festgenagelt.

„Passen Sie gut auf sich auf“, sagt er am Ende. „Ich gebe mir Mühe“, entgegne ich.
Und damit ist mal wieder ein Therapeut Geschichte.

Wie gut ich auf mich aufpassen kann, wird sich in den nächsten Wochen zeigen.
Ehrlich gesagt habe ich viel Angst. Einen Rettungsanker, so wie die Klinik wochenlang einer gewesen ist am Ende, gibt es jetzt erstmal nicht. Entweder es läuft – oder eben auch nicht.
Und so manchmal glaube ich eben, therapeutisch gibt es nach all den Jahren gar nicht mehr so unglaublich viel zu bewegen. Es geht nur darum nicht alleine zu sein, bis die zwischenmenschlichen Wogen sich etwas glätten.
Mal sehen, wo ich ab morgen bin... - vielleicht auf der Intensiv...

 Mondkind

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