Neuer ambulanter Therapeut?
Es ist Freitag. Irgendwann gegen kurz nach acht am Abend. Ich habe mich
mittlerweile getraut, eine ehemalige Mitpatientin anzurufen – eigentlich ist
sie schon quasi eine Freundin. „Sollte [der ehemalige Herr Therapeut] anrufen,
hänge ich Dich in die Warteschleife“, erkläre ich ihr, auch wenn ich daran
nicht mehr glaube. Einer anderen Mitpatientin hatte er gesagt, dass er sich
melden möchte, aber das ist schon über eine Woche her. Ich hatte ihm am Morgen
nochmal eine Mail geschrieben wegen der ambulanten Therapie. Dass ich in zwei
Monaten keine Therapeutin mehr habe, nimmt mich doch etwas mit und so langsam
bräuchte ich mal eine Aussage, ob er meint, dass das etwas gibt, oder nicht. Wir hatten darüber im Januar ja schonmal gesprochen.
Plötzlich klingelt das Telefon. Eigentlich hatte ich mir seine Nummer aus der Klinik notiert, das ist offensichtlich eine Handy – Nummer, die ich nicht kenne. Aber wer soll denn um die Uhrzeit anrufen? Kurz frage ich mich, ob es nicht vielleicht ein Kollege ist, der möchte, dass ich irgendeinen Dienst übernehme. Aber ich gehe das Risiko ein, hänge mein Gespräch in die Warteschleife und gehe dran. Und dann… - habe ich tatsächlich meinen damaligen Therapeuten in der Leitung.
Noch ein Bildchen aus Klinikzeiten... |
Zuerst mal reden wir darüber, wie es mir geht. Ich berichte, dass ich
schon wieder arbeiten gehe. Dass das eigentlich nicht mehr anders machbar war,
nachdem ich am Tag nach meiner Entlassung dem Chef in die Arme gelaufen bin.
Wir reden über die Arbeitsbelastung, der ich mich eigentlich noch nicht
gewachsen fühle. Über die unsichere Dienstsituation. Überhaupt über die
Dienstsituation. „Aber Sie können in den 24 Stunden schon mal irgendwann
schlafen“, sagt er irgendwann. „Nicht unbedingt“, gebe ich zurück. „Wenn nichts
los ist schon, aber bei der Notaufnahme, der Stroke Unit und konsiliarisch dem
ganzen Bettenhaus – irgendetwas ist immer.“
„Meinen Sie, das ist grundsätzlich der falsche Job für Sie?“, fragt er
irgendwann. „Das ist eine Frage, die ich mir auch immer stelle. Ich glaube es
gar nicht mal. Denn wenn es mir gut geht – was selten vorkommt – macht es mir
schon Spaß. Nur, wenn ich so erschöpft bin, dass alles zum Spießrutenlauf wird;
auch die guten Dinge. Dann nicht.“ Es geht um die Versetzung auf die
Intensivstation und dass mir das Angst macht, weil dort ja schließlich nicht so
selten gestorben wird. Und wir kommen darauf, dass es mir vor dem Tod meines
Freundes da immer um die Patienten selbst ging, die gestorben sind. Heute sind
es eher die Angehörigen. Die man mit einem Anruf in die Situation schmeißt, in
der ich damals war. Und dann erkenne ich: Ja, bei manchen Menschen – gerade bei
den jungen, schwer betroffenen Schlaganfallpatienten – kann das sein. Aber es
gibt auch die Menschen, die schon lange schwer krank waren und bei denen das
vielleicht etwas erwartbarer war. Wie Menschen auf einen Todesfall reagieren,
ist individuell unterschiedlich. Nicht jeder durchleidet ab diesem Tag eine Odyssee,
so wie ich das erlebt habe. Und letzten Endes: Ich bin nicht diejenige, die die
Leben zerstört. Das lag nicht in meiner Hand. Ich habe nur versucht,
irgendetwas zu retten und leider gelingt das manchmal nicht.
Wir reden darüber, dass das mit der Erschöpfung ja schon länger Thema
war. Dass ich – im Nachhinen betrachtet – es viel zu selten geschafft habe, meinen Freund
in der Studienstadt zu besuchen, obwohl ich versucht habe, alles zu geben, was
ich konnte. Aber manchmal ging es einfach nicht. Allein die Vorstellung, die
ganze Nacht im Bus zu sitzen, wenige Tage Zeit in der Studienstadt zu haben und
dann den ganzen Weg zurück zu gurken, um wieder auf der Arbeit zu stehen.
Auch er sagt, dass es wenig Sinn hat, wenn man sich zwingen muss. Dann
lieber etwas ruhiger angehen lassen.
Und dann kommen wir auch mal darauf zu sprechen, ob er sich das
vorstellen kann, mit der ambulanten Therapie. Teils gibt es gute Nachrichten:
Ja, kann er. Er habe auch grundsätzlich Kapazitäten und könne mich im Prinzip
nahtlos im Mai übernehmen.
Und doch gibt es Hürden, warum gerade eigentlich keine neuen Patienten
annehmen darf – allerdings hat er mir das angeboten, bevor das mit ihm
beschlossen wurde und deshalb gilt das für mich mal grundsätzlich nicht.
Dennoch gibt es Hürden, die eine Lösung erfordern, bevor das klappt – bisher ist
es leider noch gar nicht sicher; es kann sein, dass es aus strukturellen
Gründen seinerseits einfach nichts wird.
Mein Job ist es jetzt zunächst, mich bei der Krankenkasse zu
erkundigen, wie das läuft, wenn es zu einem Verfahrenswechsel aufgrund von
Renteneintritt der alten Therapeutin kommt und da noch über 100 Stunden offen
sind, die man wahrscheinlich nicht mitnehmen kann. Dann soll ich ihn wieder
anrufen. (Er hat gesagt, er würde sich auch in den nächsten Wochen kümmern,
aber ich habe – aus nicht ganz uneigennützigen Gründen – beschlossen, das
selbst zu tun. Sollte nämlich irgendetwas unter den Nägeln brennen, kann ich es
dann beim nächsten Telefonat gleich mit ihm besprechen… - nachdem wir da eine
(längst überflüssige) telefonische Therapiestunde hingelegt haben).
Drückt mir die Daumen. Es wäre schon toll, wenn ich ihn als ambulanten
Therapeuten bekommen könnte. Bei ihm habe ich das Gefühl, dass ich wirklich
ehrlich reden kann, ich muss mich für die wenigsten Dinge schämen, er weiß
schon viel von mir, wir fangen nicht wieder von vorne an. Er akzeptiert Vieles
erstmal, sieht es auch als erste Aufgabe an die Dinge erstmal zu akzeptieren,
bevor man etwas ändern kann. Ich habe mich selten so gesehen, gehört,
verstanden, unterstützt gefühlt, wie bei ihm. Es ist ja allein schon sehr beeindruckend, wie viel Zeit er sich wieder an einem Freitagabend für mich genommen hat und dass ich wieder diejenige war, die dann irgendwann halb 10 am Abend vorgeschlagen hat, dass wir beide uns jetzt mal besser ins Wochenende entlassen sollten.
Und dann wäre es so, dass dieser Klinikaufenthalt nicht nur die
Rettung in letzter Sekunde gewesen wäre, sondern vielleicht wirklich
nachhaltige Konsequenzen hat. Ich wäre ja sonst im Leben nicht auf diesen
Therapeuten gekommen.
Aufgaben für nächste Woche sind also erstmal die Krankenkasse anzurufen und bei der Fahrschule, um zu fragen, wie lang die Wartezeiten so sind, wenn man nach sechs Jahren Fahrpause mal eine Übungsstunde haben will. Ein Auto werde ich vielleicht erst organisieren, wenn das wirklich sicher ist, dass es klappt.
Mondkind
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