Von der Angst vor dem Vergessen

Ein Gespräch mit einer Freundin am Wochenende.
Ich erzähle, dass ich die Wohnung ein bisschen umgeräumt habe. Also minimal. Dezent. Nicht, dass noch jemand meint, ich hätte nicht existente Möbel verrückt. Aber Herbstdeko ist… - eventuell nicht mehr so passend.

Und irgendwann im Gespräch: „Wo hast Du das Bild vom [verstorbenen Freund] hingestellt bei Deiner Umräumaktion?“
„Er musste jetzt mal vom Wohnzimmer ins Schlafzimmer umziehen. Mitsamt der Erinnerungsecke.“
„Du Mondkind… - meinst Du eigentlich nicht, er sollte wenn [dein lebender Freund] kommt, mal in einer Kiste übernachten?“
„Puh“, sage ich und lasse mich nach hinten gegen die Sofalehne fallen. Das hätten nicht viele sagen dürfen, aber sie darf das. „Ehrlich gesagt habe ich darüber auch schon nachgedacht. Das kommt schon etwas komisch, nicht? Ich meine, ich denke er würde es akzeptieren, aber cool finden würde er es sicher nicht.“
„Du kannst ihm ja am nächsten Morgen eine Praline rein stellen und Dich entschuldigen.“
„Naja, aber das ist nicht der Punkt“, entgegne ich.
„Ich weiß.“

Ich denke noch eine Weile über das Ende des Gesprächs nach. Und jetzt passiert genau das, wovor ich sehr lange Angst hatte und uns beide vielleicht beschützen wollte. Das Leben lebt sich nur vorwärts. Nicht rückwärts. Erinnerungen an die Zeit mit dem verstorbenen Freund und mir sind zwar schön, aber immer mit Schmerz und Tränen verknüpft. Ich würde immer noch die Welt bewegen um mit ihm noch ein Mal am Fluss in der Studienstadt zu sitzen und dennoch muss ich heute jedes Mal weinen, wenn ich es mir wirklich vorstelle.
Und gleichzeitig schlägt dieses Herz für einen neuen Menschen in meinem Leben und dann gibt es Momente, in denen es nichts als Euphorie gibt. Und keine Schwere dazu. Und dann gibt es Vorfreude und Neugier, wohin unser Weg uns trägt, was die Zukunft bringt und wenn es klappt mit uns, dann werden wir so viele tolle Dinge erleben. Wir planen schon, dass wir mal gemeinsam Urlaub nehmen können in Richtung Herbst und das würde mich so sehr freuen. Das mit ihm, das ist etwas, das mir so lange so sehr gefehlt hat und ich wünschte mir so oft, ich würde diese Geschichte mit dem verstorbenen Freund nicht auf den Schultern tragen, die sich oft wie ein dunkler Schatten über diese Beziehung legt, die doch eigentlich so hell und voller Leben sein müsste - und das streckenweise auch wirklich ist; in mancher stillen Minute muss ich wirklich weinen vor Glück. Ich versuche den lebenden Freund das nicht so spüren zu lassen, aber ich denke er merkt es und manchmal habe ich Angst, zu viel kaputt zu machen. 

 

Bild vom Spaziergang heute... ;) Diesen Weg kann ich bald mit dem Freund gehen... - ich freue mich so darauf ihm den Ort in der Ferne zu zeigen.

Und dennoch ist den verstorbenen Freund und alles was mit ihm zu tun hat mal wenigstens für eine Nacht in eine Kiste zu räumen, ein Schritt in Richtung Verblassen.
Wahrscheinlich kann ich nichts dagegen tun, dass unsere Erinnerungen in 20 Jahren vielleicht nur noch schwarz – weiß sind und die Farben verloren haben. Und ich habe mich auch so sehr geändert, dass ich nicht mal weiß, ob das mit uns noch passen würde. Und irgendwie wird mir klar, dass ich eigentlich nie Angst vor dem Sterben hatte. Aber irgendwie, wenn ich darüber nachdenke, dann macht mir das Angst. Weil dieser Versuch die Verstorbenen im Leben zu halten, ein Kampf gegen Windmühlen ist. Und wer gesteht sich schon gern ein, dass zwei Jahrzehnte nach dem Sterben keiner mehr weiß, wer man eigentlich gewesen ist? Es löst irgendwie eine große Demut vor dem Leben aus. Und auch ein bisschen Besinnung auf das Wesentliche. Wir leben jetzt, hier und heute. Und wir müssen – eigentlich nur für uns – heute die Erinnerungen generieren, auf die wir am Ende zurück schauen wollen. Mit denen wir Frieden finden wollen. Und dann ist es vielleicht nicht mehr so wichtig erinnert zu werden, wenn man das Gold in sich selbst trägt. Aber… - der Freund hat das vor seinem Tod eben nicht getan. Da hat nichts geglänzt. Da war nur Schmerz, Verzweiflung, unendliche Dunkelheit.

Ich würde ihn gern festhalten. Und doch weiß ich, dass es nicht geht. Und dass es die Zukunft nicht mehr bunter machen würde, wenn ich das tun würde. Und dass ich das aber brauche. Eine bunte Zukunft.

Manchmal glaube ich, so ne Runde Therapie in Bezug darauf wäre nicht schlecht. Einfach, um ein Konzept zu erarbeiten. Wie gehe ich damit um? Denn der Punkt ist ja: Dadurch, dass unsere Beziehung (oder wie immer man das nennen will, eigentlich ist es mit dem lebenden Freund jetzt dasselbe und er nennt es immerhin Beziehung) mit seinem Tod geendet hat, bleibt vieles verwehrt. Wenn beide Parteien nach dieser Beziehung weiter leben, kann jeder nochmal glücklich werden und Spuren auf dieser Welt in einer anderen Konstellation hinterlassen. Jeder kann wieder Verantwortung nicht mehr nur für das Wir, sondern vor allen Dingen für sich selbst übernehmen und neue Wege gehen. Und auch, wenn das sicher genauso schmerzhaft sein kann (ich habe mal gelesen, auch eine Trennung kann sich wie ein Tod anfühlen und nach dem Chaos mit lebenden Freund in den ersten Wochen kann ich das schon nachvollziehen), aber man übernimmt nicht den Schmerz des anderen auf seine Schultern und muss den anderen Menschen mittragen und im Bewusstsein der Zeit halten, weil der andere Mensch das einfach nicht mehr kann. „Nur wer vergessen wird, stirbt so ganz“ – so lautet sinngemäß dieses Zitat, das mir seit Tag eins im Kopf herum spukt. Vielleicht ist das auch nur eine Strategie, diesen Tod nicht endgültig akzeptieren zu müssen und das, was mir das Leben schwer macht.

Die Frage ist nur: Was genau ist Vergessen? Wo fängt es an? Wo hört es auf? Und ist das vielleicht gar kein Vergessen? Und was wird dem verstorbenen Freund, der mein Leben so sehr mit geprägt hat, jetzt gerecht?
Und manchmal würde ich mir – so hart es auch werden würde – ein letztes Gespräch wünschen. In dem wir Kompromisse finden könnten. Uns austauschen können darüber, was jetzt noch bleibt und wie wir – nur zwischen uns Zweien – am Besten damit leben.

Jetzt starten wir morgen erstmal in die neue Woche. Aber es ist alles nur halb so schlimm, wenn man weiß, dass am Wochenende der Freund direkt vom Urlaub hierher kommt. Ich weiß zwar noch nicht, wie er aus dem Ausland bis Samstagabend hier sein will, aber ich lasse mich mal überraschen. Zur Not muss ich ihn irgendwo einsammeln, wenn kein Zug mehr in das Kaff hier fährt ;)

Mondkind

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