Von Ambivalenz, Sehnsucht und Reiseplanung

Die Vorbesitzer waren keine Könner
Manche sogar das Gegenteil von talentiert
Man sieht es an den Rissen und den Schrammen

Es wurde mehr als nur ein paar mal repariert
Ich habe oft das in der vorletzten Sekunde

Die Leih-Verträge wieder annulliert

(Alexa Feser – Herz aus zweiter Hand)

„Manche Dinge muss man vor den Baum fahren.“

Das Resultat nach knapp vier Stunden Telefonat, nachdem wir die letzte Stunde fast nur geschwiegen haben.
Die Antennen auf Hochleistungsempfang und jedes Mal wenn er zum Reden ansetzt, habe ich Angst, was jetzt kommt.

Ich spüre mein Herz gegen die Brust hämmern; spüre diesen Schmerz, den ich zu gut kenne. Bitte nicht schon wieder. Bitte.
„Ich glaube die Kapazitäten für „vor den Baum fahren“ sind langsam erschöpft“, sage ich irgendwann.

Dafür kann er auch nichts, er hat den Großteil meiner Geschichte nicht geschrieben und nicht miterlebt und hat erst meinen Lebensweg gekreuzt, nachdem das Herz so oft repariert wurde, ich es immer wieder in den Takt gezwungen habe, es immer wieder zurück ins Leben geholt habe, auch wenn es so oft kurz davor war vor Erschöpfung und Schmerz einfach stehen zu bleiben.

Und am Ende des Telefonats hat mein Magen wieder gefühlt die Größe einer Weintraube.
Es folgt eine kurze Nacht. Hatte ich mich nicht mal vor ein paar Tagen auf den Feiertag gefreut? Und war nicht der Plan nach einem langen, chaotischen Arbeitstag (Patienten werden von Feiertagen bisweilen sehr nervös) ein schönes Telefonat mit dem Freund zu führen, wo wir uns doch auch selten hören, seit er im Urlaub ist?

Er hält diese Ambivalenz irgendwie aus; ich kann das langsam nicht mehr.
Seit Wochen stehen wir irgendwo zwischen „wir planen mal den nächsten Urlaub miteinander; schließlich führen wir ja auch eine Beziehung“ und „wer weiß, ob wir uns nächste Woche noch sehen“.

Und jedes Mal, wenn man denkt man könnte mal ein bisschen Vertrauen dahin investieren, dass es schon okay werden wird, wird man wieder eines Besseren belehrt. Natürlich habe ich jetzt nicht so super viele Vergleichsmöglichkeiten. Aber auf so ein ewiges Hin und Her zwischen den Extremen war ich einfach nicht eingestellt. Und das sind auch langsam tatsächlich die Grenzen. Ab nächster Woche habe ich wieder wöchentlich Dienste; durch die vielen Kündigungen werden die nächsten zwei Monate nicht so schön. Ich kann nicht ständig die Nächte wahlweise auf der Arbeit investieren oder in ein nicht funktionierendes Privatleben. Diese Rechnung geht nicht auf. Ich bin schon jetzt sehr erschöpft. Es muss irgendetwas geben, das die Batterien auch wieder ein bisschen auflädt und nicht stattdessen immer weiter am Energievorrat knabbert.

Ich versuche mir zu sagen, dass es schon nicht so schlimm wird, wenn es nicht klappt. Dass ich schon mehr geschafft habe, als das und dass es mich nicht so runter ziehen darf. Aber das Herz ist damit nicht so einverstanden. Dazu sind wir zu weit gegangen.
Es ist auch schwer, den Fehler nicht immer nur bei sich selbst zu suchen. Wenn man schon so viel Schuld durch diesen Tod trägt und der nächste Mensch auch von Zeit zu Zeit kommuniziert, dass es eigentlich alles an mir hängt, dann fragt man sich schon irgendwann, ob man in der Lage ist, mit Menschen umzugehen. Ich weiß ja, dass ich zwischenmenschlich schwierig bin. Jeder, der über die Fassade drüber schauen kann, findet mich schließlich irgendwann irgendetwas zwischen komisch und weltfremd.

Und irgendwie habe ich auch viel investiert mit dem Freund. Nicht unbedingt mit dem Verlauf an sich – wobei auch das natürlich ein Fall für sich ist -  sondern grundsätzlich mit der Tatsache zu entscheiden, dass es für mich okay ist, ein Leben danach zu haben. Vielleicht ist das einfach nicht okay. Immerhin ist jemand gestorben, weil ich die falschen Entscheidungen getroffen habe – auch, wenn es damals wohlüberlegt war. Manchmal merkt man es gar nicht, wenn man falsch abbiegt und muss die Konsequenzen eben trotzdem tragen.

Und manchmal frage ich mich: Wenn ich nochmal falle, wo schlage ich dann auf?
Die Sicherheitsnetze habe ich irgendwann alle aufgeben müssen. Mit jener Katastrophe haben sie ein letztes Mal funktioniert und sind dann durchgerissen.

Und ich glaube, es ist nicht so, dass es grundsätzlich schwer auszuhalten wäre zurück in das Leben zu gehen, das ich kenne. Das die letzten zwei Jahre waren. Eben sehr alleine mit einer Zukunft, die ein riesen großes Fragezeichen war und der Vergangenheit die unwiederbringlich verloren ist, aber noch irgendwie trägt, wenn sonst nichts geblieben ist. Es ist nur dann schwer, wenn man zwischendurch das Licht gesehen hat. Das Herz hüpfen gespürt hat, die Farben der Welt wieder gesehen hat und verstehen muss, dass das nur ein kurzes Intermezzo ist, das eben einfach nicht vorgesehen ist, lange zu bleiben. Denn ich bin nicht grundsätzlich ein Fan von schweren Zeiten. Ich ertrage sie und beginne bisweilen zu glauben, dass das eben das Mondkind – Leben ist. Entweder das, oder keins. Aber dann trage ich da ja noch den Menschen, mit dem ich einst meine Pirouetten getanzt habe auf den Schultern für den ich noch mitdenken muss.

Erstmal hören wir bis Samstag nichts mehr voneinander.
Herzlichen Glückwunsch…

 

***
Die Woche war anstrengend. Ist anstrengend.

Ich hatte einen Patienten, der mich sehr an den verstorbenen Freund erinnert hat. Er trug denselben Vornamen, es passte vom Alter her und auch vom Aussehen her gab es gewisse Ähnlichkeiten, er hatte genau dasselbe Lachen und er muss irgendwo aus der Ecke kommen, aus der er auch kam. Zum Glück war der Patient nicht schlimm krank.

Er hat so viele alte Erinnerungen hoch geholt an unsere Zeit in der Studienstadt.
Und es war auch damals nicht leicht, aber es war leichter.

Vielleicht werden das bis ans Ende meines Lebens die unbeschwertesten, friedlichsten und schönsten Erinnerungen sein. Einfach, weil ich damals – obwohl ich auch schon viel erlebt hatte – noch vertrauen konnte. Weil ich so sehr gespürt habe: Irgendwie kriegen wir das schon hin. Weil da ein Mensch ganz nah neben mir gelaufen ist, weil die Angst ihn zu verlieren nie so groß war, dass ich das wirklich als vollendetes Szenario in meinem Kopf hatte. Weil da so viel gegenseitige Unterstützung war, weil Beziehung nicht endloses Drama war, ob es wirklich gut genug ist. Weil da Leben war, weil wir still am Fluss sitzen konnten und – auch als die Momente seltener wurden – das endlose Vertrauen hatten, dass wir immer wieder zurückkommen. 

Lang ist es her... - das Studentenwohnheim und die kleine Wiese davor.

 

Ich habe viel… - Heimweh, kann man das so nennen? – diese Woche entwickelt.
Ich vermisse diesen Menschen, das soziale Netz, das ich damals hatte, die Ambulanz, die mir eine Ersatz – Familie gebaut hat, die ich selbst nicht hatte. Das Vertrauen, dass ich immer wieder Schritte raus ins Leben setzen kann und mich immer wieder vergewissern kann, ob das so okay ist. Ich musste ja im Rekordtempo groß werden, da war das viel wert.

Ich komme wieder zurück. In die Stadt. An den Fluss.
Im Sommer. Ende Juli. Wenn ich die zwei geplanten Tage frei bekomme.

Als ich das letzte Mal da war, habe ich viel geweint. Das ist der Schatten, der heute auf dieser Stadt liegt. Das Wissen, dass all die Erinnerungen noch da sind, aber nie mehr wiederholbar sind. Und viele Menschen, die ich damals kannte, die ich sehr geschätzt habe, auch nicht mehr zu besuchen sind.
Aber was ich besuchen kann sind die Orte, die einst eine Mondkind ins Leben geschubst haben, an denen Mondkind groß geworden ist. An denen nicht hauptsächlich durch die Orte, sondern durch die Menschen die dort waren, viel geglänzt hat. Und neben diesem Schmerz ist es so wunderschön, die Mondkind von damals zu besuchen, die Zeiten nachzuspüren, in denen ich fest überzeugt war, dass eines Tages okay wird. Mich zu erinnern an die Menschen, die damals da waren. Weil ich in dieser Stadt die Flügel aufgespannt habe. Und geglaubt habe bereit für das Leben zu sein. 

So – wir haben zwar Feiertag, aber ich muss trotzdem los. Auf mich warten noch Briefe und Video – EEGs und ein paar sonstige Erledigungen.
Ich bin sehr müde, aber kriegt man es schon hin…

Mondkind

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