Zurück im Intensiv - Drama
14:02 Uhr.
Der Asystolie – Alarm auf der Station bimmelt.
Es gibt kein hektisches Rennen über den Flur. Der Patient stirbt.
Ich kann mich gut an ihn erinnern. An diesen jungen Mann.
Es ist schon Monate her, dass er einst auf unsere Station kam.
Er war einer der ersten Patienten, die ich betreut habe.
Wenige Tage zuvor waren ihm Herzbeschwerden aufgefallen, weshalb er sich
in der Kardiologie vorstellte. Die Herzkranzarterien waren schon fast zu – es wurde
die Indikation zur notfallmäßigen Bypass – OP gestellt. Nach der OP ist er
nicht richtig wach geworden, hatte eine Halbseitensymptomatik und hat sich
respiratorisch erschöpft, weshalb er wieder intubiert werden musste. Ein CT vom
Kopf zeigte die Ursache: Multiple Schlaganfälle, die unter anderen den
Hirnstamm getroffen hatten – deshalb fehlte ihm der Atemantrieb. Und dann kam
er zu uns.
Ein typischer Fall. Wenn auch nicht unbedingt in dem Alter.
Was mich bewegt hat war – es gab keine Angehörigen. Tage später haben
wir herausgefunden, dass es eine entfernte Verwandte geben muss, aber wir
hatten keine Telefonnummer. Deshalb blieb uns nichts anderes übrig, als ihm –
weil er im intubierten Zustand nicht mehr für sich selbst entscheiden konnte –
eine gesetzliche Betreuung einzurichten.
Über die Wochen hat sich an der Situation nichts geändert. Keine
Eltern, Geschwister, Kinder – niemand, der angerufen und sich nach ihm
erkundigt hat.
Er war lange bei uns auf der Intensivstation und lange habe ich ihn betreut. Im Verlauf ist er langsam wacher geworden, konnte irgendwann wieder selbst atmen und wirkte irgendwie sehr verloren und depressiv. Es kam nie Besuche für ihn – das Intensivteam war das Umfeld, zu dem er einen Bezug aufbauen musste. Als es ihm besser ging, haben wir ihn auf die Frühreha verlegt und ich habe ihn ein bisschen aus den Augen verloren.
Während ich letzte Woche noch auf der Normalstation war, kam er zurück. Er musste auf der Frühreha reanimiert werden und war danach hochseptisch. Langsam stieg ein Organ nach dem anderen aus und meinen ersten Spätdienst zurück auf der Intensivstation habe ich gestern damit verbracht ihm einen Shaldon – Katheter zu legen (den Zweiten meines Lebens) und die Dialyse aufzubauen. Schon gestern war er unter medikamentöser Dauerreanimation, ohne seine Katecholamine wäre er seit Tagen tot gewesen.
Die CT – Kontrolle vom Kopf nach der Reanimation hat heute die Ernüchterung gebracht. Das Hirn war zu lange mit zu wenig Sauerstoff versorgt – es ist Matsche, im wahrsten Sinn des Wortes. Deshalb hat der Oberarzt heute beschlossen, die Therapie einzustellen. Und wenige Stunden, nachdem wir die Katecholamine abgestellt haben, bimmelte der Asystoliealarm.
Es gab keine Angehörigen zu verständigen. Nur den gesetzlichen Betreuer – einen Anwalt, den das recht wenig interessiert hat. Er hat den Mann nie gesehen.
Irgendwie berührt mich sein Schicksal sehr.
Ein Nachbar hatte mir mal erzählt, dass er ihn kaum kannte, aber dass
er sich bei der Feuerwehr engagiert hat. Allerdings hatte sich auch von dort
nie jemand erkundigt. Ein Mensch, verloren in der Masse, der wohl dennoch etwas
für die Gesellschaft getan hat. Still und leise.
Ich frage mich, wie er beerdigt werden wird. Ob er einen Grabstein
haben wird? Ob es Leute geben wird, die sich an ihn zurück erinnern werden? Ob
es irgendwen gegeben hat, für den er wichtig war?
Ich hoffe es so sehr für ihn.
Und irgendwie erinnert mich das sehr an den verstorbenen Freund und
die Einsamkeit, in der er gestorben ist. Auch er hat keinen Grabstein bekommen.
Auch bei ihm tragen nur wenige Menschen die Erinnerungen auf den Schultern und
kämpfen gegen das Vergessen. Unter anderen ich.
Und heute tut es wieder sehr weh mich zu fragen wie es ihm gegangen
sein muss in den letzten Stunden seines Lebens.
Und manchmal frage ich mich still, wer nach mir fragen würde.
***
Die letzten Dienste waren anstrengend, der Juli wird ein sehr
anstrengender Monat und auch die Intensivstation ist psychisch eine absolute
Herausforderung. So viel Elend, so viel Tod und so viel Sterben. Und auch, wenn
es kein Sterben ist, aber so viele Menschen sind von Heute auf Morgen aus ihrem
Alltag gerissen und die Familien tragen tapfer die Hoffnung, dass es so gut wie
möglich wird.
Früher hat mich das nicht so berührt, aber heutzutage kann ich es kaum
ertragen.
Ich hoffe, ich muss nicht mehr so lange da bleiben. Obwohl der
dienstplanverantwortliche Oberarzt mir letztens das Jahresende in Aussicht
gestellt hat.
Morgen wird es wieder stressig – wir bekommen zwei Aufnahmen, eine davon
habe ich im Dienst in Rücksprache mit meinem Oberarzt im Hintergrund in die Innere
triagiert, weil die Neurologie nicht neu war und sie in erster Linie exsikkiert
war; jetzt kriegen wir sie doch. Dann ist morgen Reanimationstraining und da ich
es überhaupt nicht leiden kann, wenn alle Umstehenden wissen, welches
Reanimationsprogramm an dieser Puppe eingestellt ist außer man selbst und man
sich da vor allen zur Lachnummer macht, werde ich versuchen mich im Hintergrund
zu halten, aber bei der aktuell schlechten ärztlichen Besetzung bezweifle ich,
dass das klappt.
Und ja… - auch die Intensiv ist im Moment super knapp mit
dienstfähigen Ärzten. Eigentlich soll ich dort keine Dienste machen. Ich hoffe,
die überlegen sich das nicht doch noch anders. In meinem Kopf sterben alle pro
Nacht zehn Mal. Das schaffe ich einfach nicht mit Diensten dort.
Erst mal bin ich heute ziemlich platt. Und irgendwie stellt das alles
ja auch Fragen: Wie wollen wir leben? Ist vielleicht die Wichtigste davon. Und
wenn wir morgen sterben, hat es dann schon gereicht? Nein, eigentlich nicht.
Und ob das, was jetzt mal gut aussieht es auch wirklich ist und bleibt, das
wird man noch sehen. Das letzte Wochenende zwischen dem lebenden Freund und mir
lief ziemlich gut, das darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass wir immer
noch massive Probleme zwischen uns stehen haben, die uns immer noch gut und gerne
das Genick brechen können und – so befürchte ich leider – auch werden.
Und dann werden die nächsten Wochen auch nicht einfach. Wenig Zeit,
viele Dienste (ich weiß nicht, wer zu der Idee gekommen ist, dass ich im Juli
zwei Dienste mit einer neuen Oberärztin machen muss, die ihre ersten
Hintergründe macht – zwei wenig Erfahrene auf einen Haufen sind jetzt nicht so
super…) die Zwei – Jahresrealität mit dem verstorbenen Freund, die ich nicht
mehr so thematisieren darf.
Ich bin erschöpft. So oft einfach immer noch.
Mondkind
Bildquelle: Pixabay
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