Von Feuerwehr und ein paar Fragen
Es ist schon bezeichnend, wie schnell die periphere
Station einen wieder kaputt machen kann. Vier Tage und ich bin komplett
erschöpft.
Aber natürlich wird die Mondkind auch nicht in den
goldenen Zeiten der Besetzung dorthin geschickt, sondern dann, wenn die Station
mit maximal der Hälfte des dort eigentlich eingeplanten Personals gefahren
wird. Im Allgeinen bin ich eher so als Feuerwehr eingesetzt. Ich helfe auf allen Stationen aus, auf denen es brennt und sobald das Feuer gelöscht ist und alle Kollegen aus Krankheit, Urlaub oder whatever zurück kommen und es besser werden könnte, werde ich zurück auf die Intensiv geschickt, was jetzt eben auch kein entspanntes Arbeiten ist. Und irgendwie nervt mich das.
Und da auch die oberärztliche Etage von dem Ausfall betroffen ist, fehlt es darüber hinaus aktuell an oberärztlicher Leitung.Wenn man nicht weiter weiß, hat man ein ernsthaftes Problem. Dann kann man noch Brainstrorming mit den Kollegen betreiben und wenn es dann immer noch keine Lösung gibt... - tja.
Ein paar Andekdoten.
Ich habe eine Patientin von einer Kollegin geerbt, die
diese Woche im Urlaub ist. Man müsse da noch etwas mit den Gefäßchirurgen
klären. Mit anderen Fachabteilungen – das ist immer so eine Sache. Die so oft
angepriesene interdisziplinäre Zusammenarbeit funktioniert nämlich häufig
nicht. Und natürlich – es kommt wie es kommen muss – eskaliert die Sache
komplett aufgrund von Bettenkapazitäten. Dafür kann ich halt wenig. Und während
der Assistent das halt irgendwann seinem Oberarzt weiter geben kann, darf ich mich
dann mit dem Oberarzt herum schlagen. Nachdem ich zwei Tage bestimmt insgesamt
vier Stunden mit denen verhandelt habe, komme auch ich mal zu der Idee zu
sagen: „Ich glaube jetzt ist der Zeitpunkt, das auf einer oberärztlichen Etage
zu regeln“ und gebe die Nummer meines Oberarztes weiter – der es auch einfach
nur aussitzt, was noch mehr Chaos gibt. Hat mich viele Tränen gekostet, diese
Woche. Ich hoffe, ich brauche die Gefäßchirurgie so schnell nicht mehr in
meinen Diensten.
Ansonsten hat mich – kaum dass ich Montag angefangen
hatte – der Oberarzt von der Notaufnahme angerufen: „Mondkind, da kommt ein
Patient zu Dir – das ist ein VIP – Patient. Der bekommt bitte ein 72 – Stunden –
Video – EEG. Und übrigens ich bin dann demnächst im Urlaub. Du kannst das ja am
Wochenende auswerten.“
Puh – es war ja nie so, dass diejenigen, die die
Epilepsie – Patienten hatten, weniger Patienten hatten. Also – zurück zu den
guten, alten Zeiten. Dann trabe ich heute und morgen hoch zur Klinik und werte
das EEG aus.
Und darüber hinaus ist diese Station eben Dauerstress.
Weil da so viel schief läuft. Dummerweise ist man als Ärztin eben für alles
verantwortlich, ist aber die Letzte, die zu den Patienten darf. Wichtig ist,
dass die Patienten zu ihren Therapien und zu ihrer Diagnostik gehen und
dazwischen laufen wir dann 20 Mal in das Zimmer und schauen, ob der Patient da
ist oder nicht. Bei einem Parkinson – Patienten mit Halluzinationen ist das
nicht unwesentlich, ihn ein Mal am Tag aufgreifen und fragen zu können, wie es
ihm denn geht. Aber manchmal ist es einfach nicht machbar. Ich kann nicht 20
Mal am Tag auf Visite rennen, das geht einfach nicht. Genau das Gleiche mit den
Aufnahmen. Manche Patienten können erst nach dem Abendessen aufgenommen werden,
weil sie im Rahmen ihrer abzuleistenden Therapien den ganzen Tag irgendwo waren
(oder sich im Anschluss der Therapien einen stundenlangen Spaziergang gegönnt
haben).
Und dann kommen die Schwestern – um 19 Uhr abends –
ins Arztzimmer: „Patient xy hatte noch keine Visite. Der steht hier hinter mir
und wartet auf den Arzt.“ „Ja, aber Sie wissen schon, dass der Arzt seit über
zwei Stunden im Feierabend ist.“ „Ja aber der Patient steht hier hinter mir,
ich habe ihn mitgebracht, der weiß, dass Sie noch da sind.“ Es ist eine
bodenlose Frechheit. Die wissen auch, wann wir Feierabend haben. Und statt dass
sie die Patienten auf den nächsten Tag verweisen, schleppen sie die Menschen
direkt ins Arztzimmer. Und spätestens dann habe ich das dringende Bedürfnis
jedem Menschen der mir begegnet, eine Akte auf den Kopf zu hauen.
Der Vorteil an dieser Station ist, dass das Angstlevel
viel, viel geringer als auf der Intensivstation ist. Und das ist auch weiterhin
das, was ich sehr schätze. Ich weiß, die Zeiten ändern sich wieder. Und die
Kollegen kenne ich eben auch schon alle eine Weile, es ist wenigstens geteiltes
Leid, wenn wir da alle bis ewig sitzen.
Aber ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr, wie ich das monatelang
in meiner ersten Zeit auf dieser Station geschafft habe, so zu arbeiten. Allein
diese vier Tage haben mich so sehr erschöpft, dass es morgens jeden Tag
schwerer war aufzustehen und mir manchmal auf der Arbeit fast die Augen
zugefallen sind.
Und es stellt auch ein paar andere Fragen.
Meine erste Zeit auf dieser Station hat wenige Wochen bevor der Freund gestorben ist angefangen. Ich war damals komplett verloren. Denn neben dem unglaublichen organisatorischen Chaos auf dieser Station, dem Workload, der wirklich hoch ist und der Tatsache, dass ich mich auf dieser Station erstmal einarbeiten musste (was die Patientenzahl jetzt nicht reduziert hat), hatte ich einen psychisch schwer kranken Freund im Nacken, der absolut auf mich fixiert war. Und der auch eigene Ansprüche hatte, sich nur wenige Minuten am Tag konzentrieren konnte – und die waren nicht unbedingt am Abend – und wann immer er einen halbwegs klaren Kopf hatte, mit mir reden wollte. Ich habe mich so oft gefragt, ob ich ihm hätte irgendwie gerechter werden müssen. Hätte ich wahrscheinlich. Aber dann hätte ich mit der Obrigkeit reden müssen, dass es gerade auf dieser Station nicht geht. Au dieser Station ist es nicht machbar.
Und irgendwie stellt diese Station auch die Frage: Wie wollen wir leben? (Auch ohne schwerkranken Menschen). Jetzt stellt sich die Frage hauptsächlich theoretisch, weil das hier alles begrenzt auf drei Wochen ist – die Intensiv ist halt emotional viel anstrengender obwohl mein Ruf da ohnehin hinüber ist – aber man geht früher nach Hause. Der lebende Freund ist sowieso zwei von den drei Wochen im Urlaub – es macht nichts, dass ich mein halbes Wochenende vor EEG – Kurven versitze.
Ich habe das Gefühl so zu leben ist ein Konzept, das
eigentlich nichts so richtig gerecht wird. Dem Job nicht, weil man vielleicht
nur maximal mit einem halben Auge über die Video – EEGs schauen kann, wenn man
es in der Arbeitszeit + ein paar Überstunden, aber ohne Wochenendarbeit
schaffen möchte. Und dem Privatleben aber auch nicht – ich kann dem lebenden
Freund schließlich nicht ständig erzählen, dass ich wahlweise Dienst habe oder
das nachholen muss, was in der Arbeitszeit nicht schaffbar war.
Wie ich diesen Spagat lösen möchte – ich weiß es noch
nicht.
Und so insgesamt – man kommt immer wieder bei den Themen raus, an denen der verstorbene Freund und ich schon gescheitert sind. Körperliche Nähe und der Zeitfaktor – das waren die Hauptthemen. Und ich befürchte, das wird dieses Mal nicht anders sein. Ich hoffe nur, wir können diesmal besser damit umgehen.
Ansonsten mache ich mir schon viele Gedanken darüber,
dass es nicht mal mehr einen Monat ist, bis es zwei Jahre sind, dass mein
komplettes Leben auf dem Kopf gestellt wurde. (Dummerweise habe ich an dem Tag
Nachtdienst; das ist ein Sonntag. Und auch da wird wieder deutlich: Ich würde
gerne verhindern können, dass sich der Job durch jede Pore des Privatlebens
webt und es gibt Tage, an denen ich mir sehr, sehr gerne frei nehmen würde –
insbesondere, wenn es doch schon ein Wochenende ist - aber das lassen die Dienstpläne nicht zu,
sofern man keinen Urlaub hat). Ich denke, ich werde an den Brief an den Freund
auch noch eine Reflexion anhängen. Über die Zeit sind mir viele Dinge bewusst
geworden, die ich damals nicht wusste - mein Umfeld scheinbar auch nicht - und
die die Dinge aber massivst erleichtert hätten. Und manchmal denke ich mir:
Wenn ich mal irgendwann Zeit habe, dann möchte ich mich in irgendeiner Form in
der Suizidprävention engagieren. Vielleicht sogar im Angehörigenbereich.
Es ist so wichtig, dass diese Menschen nicht alleine
bleiben – so, wie es eben lange war. Und es ist so wichtig zu verstehen, warum
man mit dem Rest der Welt gefühlt nicht mehr kommunizieren kann.
Diese Woche war es ganz viel Vermissen. Vom verstorbenen Freund (ich habe seine Ecke mal wieder umgestaltet und er ist - in Vorbereitung auf den nahenden Besuch des lebenden Freundes - vom Wohnzimmer ins Schlafzimmer gezogen) und vom lebenenden Freund. Am vom lebenden Freund weiß ich, dass er wieder kommt. Ich freue mich darauf, ihn vom Bahnhof abholen zu können, ihm die Stadt hier - den Ort in der Ferne - zeigen zu können und vielleicht laufen wir ja mal hoch zum Campus und ich kann ihm zeigen, wo ich arbeite. Erstmal freue ich mich, dass wir morgen mal telefonieren können.
So, ich muss jetzt los auf die Arbeit – sonst lohnt es sich nicht mehr…
Mondkind
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