Name

Überall um mich herum bimmeln die Monitore.
Eigentlich sollte es ein recht ruhiger Freitag werden. Die Station schien stabil zu sein. Bis ein Patient plötzlich septisch wurde. Zur Suche der Ursache wurde ein CT vom Bauch durchgeführt und dort zeigten sich gleich drei Befunde, die operiert werden müssen.
Der Patient braucht einen neuen ZVK – und zwar zackig.
Am Hals ist er operiert, also suche ich mir die Leiste aus. Die Gefäße liegen sogar einigermaßen günstig nebeneinander und nicht untereinander – wie das auch gern mal der Fall ist.
Innerhalb von 10 Minuten liegt der ZVK und ist damit so ziemlich der schnellste ZVK meiner bisherigen Karriere.
Ich räume schnell auf und rase kurz ins Arztzimmer, um die nächste Untersuchung anzumelden. Als ich wieder komme, sehe ich gerade wie der Pfleger schon die ersten Medikamente dran hängt. Das Zimmer ist voll von Menschen – jetzt jemanden ohne Namen anzusprechen, funktioniert nicht.
„Thomas?“, rufe ich in den Raum.
„Ja [Mondkind]“, entgegnet er
„Hast Du ne venöse BGA gemacht?“ (Man muss wissen, dass der ZVK wirklich in der Vene und nicht doch in der Arterie gelandet ist, bevor man etwas dran hängt).
„Ja natürlich, habe ich. Darf ich den ZVK bestücken?“
„Ja darfst Du“
„Danke“

Und mitten im allergrößten Chaos spüre ich mein Herz flattern.
Ich glaube, das war das erste Mal seit über zwei Jahren, dass ich jemanden mit diesem Namen angesprochen habe. Ich habe den Namen des verstorbenen Freundes oft in der Therapie erwähnt, in Privatgesprächen, aber ich habe nie einen Menschen mit diesem Namen auch mit seinen Namen angesprochen. Wann immer ich etwas von diesem Pfleger wollte, bin ich einfach zu ihm hingelaufen, habe mich neben ihn gestellt und dann erklärt, was ich wollte. Und ja, man kann das unhöflich finden – aber für mich ist das so viel Überwindung.
Es ist seit über zwei Jahren nicht mehr passiert, dass ich auf ein „Thomas?“, ein „Ja [Mondkind]“ gehört habe. Und ich habe so sehr den verstorbenen Freund und sein verschmitztes Lächeln im Kopf, als ich ihn ansehe wie er mit den Infusionsleitungen in der Hand dort steht und mich anschaut.

Und viel später an diesem Nachmittag wird mir klar: Es ist noch ein weiter Weg zurück zur Normalität. Vielleicht wird es diese Normalität von früher auch nie wieder geben. Die Narben und der Schmerz werden bleiben. Ich habe – nachdem ich ja kürzlich seine Mutter besucht habe – nochmal die Unterlagen aus der Klinik heraus gekramt, meine Notizen, die ich damals gemacht habe. Und ich habe festgestellt: All das ist immer noch da. Immer noch aktuell. Nichts hat sich gelöst. Es gibt einfach nur keine Zeit mehr, um viel darüber nachzudenken, sich damit auseinander zu setzen. Und so viel wie man rational auch verstanden haben mag – die Gefühle, Gedanken und Ideen, die es so schwer machen damit umzugehen, bleiben. Und ob ich es wirklich verdient habe nochmal glücklich zu werden, weiß ich auch nicht.


Noch ein Bild vom letzten Urlaub, vom Lieblingsberg, der mich so sehr mit dem verstorbenen Freund verbindet


***

Ansonsten versuche ich aktuell zumindest mal Teile vom alten Helfersystem wieder zu aktivieren. Ich brauche nichts dringender, als ein Gegenüber zum Refleketieren. Langsam spüre ich, dass mir das einfach alles ein bisschen über den Kopf wächst. Und dass auch andere Menschen anfangen darunter zu leiden, dass ich nicht sagen kann, was los ist. Weil es so viel ist, das unsortiert ist, dass ich nicht mehr weiß, wo ich anfangen soll.
Diese Woche war das erstmal nicht so erfolgreich. Die potentielle Bezugsperson muss seine Pilzvergiftung auskurieren, wie ich gehört habe, mit dem Seelsorger ist es so eine Sache – den muss ich nach seiner Meinung zu meiner Beziehung nicht fragen. Wobei es eben auch nicht um Meinungen geht – aber ich denke das war ein guter Austausch mit ihm kürzlich, bringt mich aber jetzt nicht wirklich weiter. Also habe ich der alten Therapeutin der Studienstadt geschrieben. Aber da kam der Abwesenheitsassistent zurück, dass sie im Urlaub ist. Das dauert also auch noch. Aber irgendwie ist diese Frau schon erstaunlich. Sie hat im Gegensatz zu einigen anderen Menschen nicht behauptet, dass sie ansprechbar bleibt, wenn ich weg bin. Aber sie bietet doch jedes Mal an mich zu melden, wenn ich Hilfe brauche und dann gehen solche Mails eigentlich nie unter. Zwar ist sie nicht so glücklich damit Telefonate zu führen, aber sie macht es, wenn es keine andere Lösung gibt. Wobei ich langsam auch soweit wäre zu sagen: Wenn das für sie wichtig ist – aus immerhin nachvollziehbaren Gründen – dann fahre ich da auch hin. So wichtig wäre es mir.

So… - morgen wartet der nächste Dienst und ich bin so unglaublich erschöpft, dass ich noch nicht ganz weiß, wie das gehen soll, aber es wird schon gehen. Trotz explodierenden Kopf. Ich krieg das hin.

Mondkind


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