Über das Herz

Vielleicht heilt es langsam. Das Herz.
Ein ganz kleines bisschen.
Wahrscheinlich nie so ganz.

Ich frag mich manchmal, was dieses Jahr so los war.
Und wann ich das letzte Mal in dem Ausmaß auf die Idee gekommen bin, so viel mit dem Herz zu entscheiden? Den Kopf zu spüren, die Zweifel im Hintergrund und es doch anders zu machen. Einfach, weil es sich richtig anfühlt. Nicht, weil man das für besonders sinnvoll hält.

Ich glaube, fast alle Entscheidungen dieses Jahr waren Herzentscheidungen. Vielleicht unvernünftig. Und ja, das hätte alles massivst schief gehen können. Und streckenweise sah das auch so aus. Und hat so unendlich viele Tränen gekostet. Und manchmal macht es Angst zu spüren, dass der Kopf da maximal am Rand beachtet wird.

Kopf gegen Herz. Immer noch. Der Kopf, der so viel nachdenkt und das was hier läuft immer noch für moralisch höchst fragwürdig hält. Der immer noch erinnert, dass wir nicht unschuldig angefangen haben. Dass diese Beziehung eigentlich nie hätte existieren dürfen, weil ich besser auf den verstorbenen Freund hätte aufpassen müssen.
Und das Herz, dass dieses Leben mit dieser Schwere in die mich die Situation geschmissen hat, kaum noch ertragen konnte.
Und dann stand dieser Mensch vor mir, der alles auf den Kopf gestellt hat und das auch noch immer tut. Und natürlich begleitet mich diese moralische Frage. Täglich. Immer. Aber ich liebe ihn einfach zu sehr, um mich da anders zu verhalten.

Gestern wurden wir gefragt, ob es uns nicht mal irgendwie reicht und jeder von uns auch nach einer Woche froh ist, mal wieder in seiner eigenen Wohnung zu sitzen. (Wobei wir ja Freitag schon To Do – Tag hatten und da jeder seinen Kram erledigt hat). Und ich für mich kann sagen: Er fehlt mir, sobald er nicht da ist. Und das heißt nicht, dass ich ihn 24/7 um mich herum bräuchte, aber abends wenn ich nach Hause komme, wäre es schon schön. Aber es geht eben gerade nicht.
Ist das schlimm? Es fühlt sich schlimm an für mich, aber ist das okay oder ist das zu viel?
Für ihn ist das nämlich ein bisschen anders.

 




Und manchmal glaube ich, das Herz braucht halt einfach noch ein bisschen.
Nach all der Zeit.
Nachdem innerhalb einer Sekunde so vieles in seine Einzelteile zersplittert ist, das Leben so sehr geändert hat, mich in eine Zeit geschmissen hat, von der ich nicht wusste, ob sich das je nochmal zum Guten wendet.
Da gibt es viel Nachholbedarf. Da kann es nicht lange genug sicher neben einem anderen Herz schlagen dürfen.
Und dann wird auch gefühlt jeder Moment, in dem ich meine eigene Haustür aufschließe der Moment, in der der Kopf wieder aufwacht und fragt, ob ich das so alles okay finde.

Die sind so nah, diese Momente.
Dieser Moment, in dem ich auf dem Friedhof stand. Vor dem Kreuz gekniet habe. Versprochen habe, dass ich mit einer Blume und einer Kerze zurück komme. Und mir inständig gewünscht habe, dass mir dieser Moment dort erspart geblieben wäre. Nicht wegen des Momentes oder weil ich diesen Gang dorthin vermeiden will, sondern weil es einfach nicht notwendig wäre und dieser Mensch noch an meiner Seite wäre.
Und ein paar Stunden später lagen der lebende Freund und ich nebeneinander auf dem Sofa. Ich habe ihm vom Besuch dort erzählt, konnte die Tränen nicht verbergen und bin irgendwann an diesem Abend neben ihm eingeschlafen und am nächsten Morgen neben ihm wach geworden.

Da kommt es schonmal durcheinander, das Herz.
So viel Trauer und Glück nebeneinander, sind dann doch bisweilen ein bisschen Überforderung.
Und dann spüre ich, dass es irgendwie still wird in mir.
Weil ich es nicht mehr sagen kann. Ob ich glücklich oder traurig bin oder von beidem ein bisschen und darüber hinaus unendliche Angst habe, weil das Herz zwar langsam heilt, aber eigentlich immer noch zu fragil für so viel Chaos ist.
Und trotzdem ist es wahrscheinlich richtig so. Und ich wusste auch, dass dieser Sprung in eine neue Beziehung viele Ängste bedeutet in so vielen Hinsichten. Ich weiß auch, dass nichts in der Welt mich theoretisch darauf hätte vorbereiten können. Auch die beste Therapie, in der man dieses Thema hoch und runter diskutiert hätte, hätte da vermutlich nichts genützt. Irgendwann muss man einfach machen. Und darauf vertrauen, dass es machbar ist. Nebeneinander. All die guten Momente, die niemals enden müssten, den Schmerz über das was war und die Angst nebeneinander auszuhalten, manchmal das Gefühl zu haben, dass das alles gar nicht geht um dann zu merken, dass es schon funktioniert, wenn man einen Fuß vor den anderen setzt.

Mondkind


Bildquelle: Pixabay

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