Träume

Nach Jahren nehme ich die Abbiegung.
Vielleicht.
Verlasse diesen geradlinigen Weg.
Vielleicht.

Was aktuell bleibt, ist eine unendliche Erschöpfung.
Trotz Urlaub. Trotz Ausruhen.
Und nichts von all dem, was hier in den letzten Wochen passiert ist, ist grundsätzlich schlecht.
Aber manchmal tut ein Aufwachen nach so vielen Jahren sehr weh.

Wenn das hier das Leben ist, dann bin ich unendlich dankbar, dass ich es nie ganz verloren habe.
Ich glaube, ich habe nie mehr geliebt und bin nie mehr geliebt worden. So hart das auch ist. Aber es ist die Wahrheit.
Und wenn ich irgendwann sicher bin, dass ich so Vieles, das einfach nur funktional war, nicht mehr brauche, dann schafft das nicht nur viele neue Welten, sondern entwertet umgekehrt auch Vieles. Was nicht heißt, dass es sinnlos war. Aber vielleicht hätte man sich das Leben so viel einfacher machen können.

Der Job.
Fluch und Segen zugleich. All die Jahre über.
Wie oft bin ich an den Ansprüchen von Außen und denen von mir selbst kaputt gegangen? Wie oft hat mich dieser Job auch gerettet? War Ersatzfamilie, als sonst nichts mehr gehalten hat. Er war die Verbindung zur potentiellen Bezugsperson, hat mir ein minimales Privatleben ermöglicht. Ich wollte so gern gut sein in dem was ich tue. Gemocht werden. Trotz aller Ängste. Ich mache unendlich viele Dienste, obwohl sie mir immer noch so viel Angst machen. Melde mich, wenn es noch etwas zu besetzten gibt, obwohl ich mir still denke, dass es wirklich zu viel ist. Ich bin fast jedes Wochenende eingeteilt und habe mich nie offen beschwert, der Joker zu sein.
Ich habe irgendwie versucht das Beste aus dem zu machen, das ich eben hatte. Es ist kein Geheimnis, dass ich nie Medizin studieren wollte. Dass ich nie glücklich war damit. Weder mit dem Studienplatz an sich, noch hat mich irgendwann das Examen glücklich gemacht. Denn so sehr die Erfolge auch anerkannt wurden wusste ich gleichzeitig, dass mich das immer mehr auf einen Weg begleitet, den ich eigentlich nicht gehen möchte.

Ich glaube, ich bin langsam sicher genug, um wirklich nochmal zu hinterfragen, wer mein 18 – jähriges Ich war. Die Aussage, dass ich niemals gewusst hätte, was ich brauche um die Dinge zu ändern, stimmt überhaupt nicht. Ich hätte das immer sagen können. Aber es war einfach nicht umsetzbar. Und ja, ich verstehe die Kritik dahinter. Dass ich es selbst machen und können muss. Kann ich aber nicht.
Ich glaube alles was es für mich braucht ist das Wissen, dass ich emotional nicht alleine bleibe. Natürlich bin ich verantwortlich für mein Leben, für mein Tun, für meinen Job und meine finanzielle Sicherheit. Es ist klar, dass ich auch nicht nur Spaß haben muss an dem was ich tue, sondern mich damit eben auch alleine und unabhängig finanzieren können muss.

Und dennoch: Hätte man die 18 – jährige Mondkind gefragt, was sie aus ihrem Leben machen möchte, hätte sie gesagt: Pilotin oder Psychotherapeutin werden, einen Freund finden, heiraten (mittlerweile bin ich mir nicht mehr sicher, aber damals wollte ich es definitiv), eine Familie gründen und einen Hund haben.
Okay, einen Hund werden wir nicht haben, weil mein Freund keine Hunde mag.

Und dann kam dieses Studium, dann war ich unmittelbar nach dem Studium wieder in der Psychiatrie und habe es ziemlich kritisch gesehen, von der Patientenseite sofort auf die Arztseite einer Psychiatrie zu wechseln und habe mich deshalb zunächst für die Neuro entschieden.
Es gab zwar den verstorbenen Freund in meinem Leben, aber so hart wie es auch ist sich das einzugestehen und so viele Tränen wie mich das die Tage auch schon gekostet hat: Ich habe ihn sehr geliebt auf eine gewisse Art. Aber wirklich ernst eine Familie konnte ich mir mit ihm nicht vorstellen – auch wenn wir viel darüber geredet haben. Ich frage mich heute so oft, wo wir gescheitert sind. Er war mein erster Freund – ich hatte keinen Plan, dass Liebe so intensiv sein kann. Ich glaube, wir haben versäumt über die wesentlichen Dinge zu reden. Und uns zuzugestehen, dass das möglicherweise bedeutet, dass wir eben Freunde bleiben. Und dennoch werde ich mir das nie verzeihen, dass diese Unzulänglichkeiten ein Menschenleben gekostet haben. Da wird immer ein Schuldgefühl bleiben und ich werde ihn immer vermissen – denn wichtig war er für mich. Ich meine sogar, ich habe ihm das mal irgendwann versucht zu erklären: Der wichtigste Mensch im Leben ist vielleicht nicht automatisch der Partner. Liebe ist nicht nur partnerschaftlich. Mir kann ein Mensch unendlich wichtig sein und trotzdem ist er vielleicht nicht mein Partner. Das hat er nicht gut annehmen können und ich dachte, dass ich dann vielleicht falsch denke.



Jedenfalls – das war das Leben. Ein Job, in dem ich mich sehr überfordert gefühlt habe und todunglücklich war und den ich dennoch irgendwo auch brauchte. Eine Partnerschaft, für die das Wort „Zukunft“ unendlich schwierig war und was ich nirgendwo thematisieren konnte, da die Meisten nicht mal wussten, dass ich einen Freund habe. Denn wer einen Freund hat, hat schließlich sein Leben im Griff und das hatte ich nun mal mal sowas von überhaupt nicht.

Und vielleicht ist es darüber immer und immer wieder dekompensiert. Seit dem Studium schon. Seitdem ich gar nicht mehr ich selbst sein konnte. In der Schule gab es schon noch etwas wie Selbstverwirklichung in einzelnen Fächern. Aber danach… Und dann kam immer diese wahnsinnige Erschöpfung, was ich viele Monate still ertragen habe, bis es meist über die Suizidalität dekompensiert ist. Weil da einfach keine Energie mehr war. Nichts. Und nichts, das irgendwie gut gewesen wäre.

Und irgendwie fange ich langsam an, mir das einzugestehen.
Und irgendwie tut das unendlich weh.
Auch, wenn es wahrscheinlich genauso unendlich wertvoll ist.

Und wenn ich heute mein 18 – jähriges Ich sehe, dann möchte ich sagen: Es ist noch nicht zu spät.
Erstmal heißt es jetzt, noch irgendwie durchzuhalten. Und der erste Tage zurück auf der Intensiv hat mich schon deutlich an meine Grenzen gebracht. Zu wissen, dass das noch monatelang so bleiben wird, lässt mich verzweifeln.
Aber ich weiß: Im Prinzip ist die Prognose ganz gut: Ich darf bestimmt irgendwann im Verlauf des nächsten Jahres mein Psychiatrie – Jahr beginnen und nachschauen, ob die 18 – jährige Mondkind den richtigen Riecher hatte und ob Psychologie etwas für mich ist. (Und wenn nicht, ist es vielleicht auch nicht schlimm, ich kann ja noch andere Dinge machen, aber ich möchte es so gern wissen und ausprobieren dürfen). Und wenn das mit dem Freund und mir weiterhin gut klappt – vielleicht gründen wir irgendwann in einigen Jahren eine eigene, kleine Familie. Vorstellen können wir uns das beide sehr gut.

Und eigentlich ist es doch jetzt gar nicht mehr schlimm.
Jetzt, wo ich mir wirklich vorstellen kann, den Weg zu verlassen, den ich immer gehen sollte und verzweifelt versucht habe, ihn zu meinem eigenen zu machen.

Und dennoch macht es mich so traurig, trotzdem bin ich so sehr müde.
Was macht es für einen Sinn, dass ich diesen Job und dieses Leben so lange durchhalten konnte und ausgerechnet jetzt – wo es an einigen Ecken wirklich besser wird – das Gefühl habe, dass ich es so absolut nicht mehr kann?

Einen Fuß vor den anderen.
Tag für Tag.
Und irgendwann kommen wir an.
Aber es braucht Zeit. Und vielleicht doch nochmal ein bisschen Unterstützung. Das alles zu integrieren. Den nötigen Mut nicht zu verlieren. Und sich vielleicht irgendwann selbst zu vergeben. Für das, was ich der 18 – jährigen Mondkind da angetan habe. Und für das, was ich dem verstorbenen Freund angetan habe.

Mondkind


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