Von einem Kapellengespräch

Letzte Woche.
Wir sitzen in der Kapelle. Das erste Mal seit Monaten. Der Seelsorger und ich. Haben endlich mal wieder einen Termin gefunden. Und vielleicht geht es nicht mal um das Termin finden. Vielleicht habe ich einfach keine Ahnung, was ich erzählen soll. Wo ich anfangen soll. Weil es so okay ist. Und irgendwie auch nicht.
„Es besorgt mich, was Sie mir erzählen. Ich würde Sie hier gerne öfter wieder sehen“, sagt er. „Ich habe wenig Zeit, seitdem ich ständig zwischen meiner Wohnung und der Nachbarstadt pendle“, entgegne ich. „Ich weiß“, antwortet er. Er, der immer so semi – hilfreich war in meinem Helfersystem. Weil er natürlich irgendwann mit dem Glauben um die Ecke kommt. Mit dem ich wenig bis nichts anfangen kann. Aber jetzt gerade ist es okay, dass wir hier sitzen. Seltsam still nach all der Zeit. Und er ist einer der ganz wenigen Menschen aus dem Helfersystem, der noch übrig geblieben ist. Der sogar ab und an mal nachfragt, wie es so geht.

Es geht um den Job. Den ich nicht mehr machen möchte. Um die Intensiv – Dienste. Um viel Ärger. Dass man mich während meines letzten Klinikaufenthaltes auf die Intensivstation abgeturft hat, habe ich den Herren der oberärztlichen Etage immer noch nicht verziehen. Ein bisschen mehr Einfühlungsvermögen wäre schon nett gewesen. Es geht um die Intensivdienste. Darum, dass ich zum Spielball zwischen den Abteilungen werde. Eigentlich soll ich weiterhin ZNA – Dienste machen, aber wenn es gerade Personalmangel gibt, dann knallt man mir die Intensivdienste eben auch noch oben drauf. Es geht um Angst. Noch vor einem Jahr hätte mich die Masse der Intensivdienste, die da auf mich zukommen, geradewegs in die Suizidalität katapultiert. Heute vor einem Jahr wäre ich sicher gewesen, das Ende des Januars nicht mehr zu erleben. Und ich hätte das ernst gemeint, weil es nichts gab, das ich der Angst entgegen stellen konnte. Heute ist die Angst nicht weniger. Aber der Umgang ist ein anderer. Bisweilen fühle ich so viel Gleichgültigkeit gegenüber den Diensten, dass es schon beängstigend ist. Einen normalen Umgang damit kann ich nicht. Das kanalisiert sich dann aktuell situativ. Im letzten Intensivdienst konnte ich zwischenzeitlich kaum noch atmen und schon mal überhaupt nicht mehr reden. Ist nicht so förderlich, wenn ein Patient gerade abschmiert. Dann sind wir beide abgeschmiert. Er körperlich, ich psychisch.
Und dann – dann geht es auch darum, wie tauglich ich für diesen Job bin. Und wie viel Quälerei da noch okay ist. Darum, ob diese von außen aufoktroyierten Ziele wirklich meine sind. Ob es mich jemals glücklich machen wird, diesen Facharzt zu haben. Ich glaube es nicht. Und seit dem Urlaub komme ich irgendwie gar nicht mehr richtig rein in den Job.

Und dann – dann geht es um diese Beziehung. Um all das, was so wunderschön ist. Und um das, was so unsäglich schwer ist. Es geht halt so circa 90 Prozent nach seiner Nase und so circa 10 Prozent nach meiner Nase. Wenn überhaupt. Es gibt Situationen, in denen ist das okay. Und Situationen, in denen ist das absolut gar nicht okay. Es geht um Grenzen. Und wie die respektiert werden. Und damit im Zusammenhang um das Lieblingsthema in dieser Beziehung; um das Thema Sexualität. Ob da ein „nein“ okay sei. Ohne Grundsatzdiskussion sicher nicht. Und ob man sich das ständig geben will...? Es geht um Kosten – Nutzen – Rechnungen. Ganz ehrlich. Um die Frage, was nötig war um diese Beziehung, die so unendlich wertvoll für mich ist ist, behalten zu können. Weil Beziehungen eben doch Kompromisse sind. Und weil das wohl ein Kompromiss ist, den man in beinahe allen Beziehungen wird eingehen müssen. Und ich dachte, das wäre einer, den ich da eingehen musste, um diese Beziehung zu halten. Und im Nachhinein stelle ich doch fest, dass es mir damit nicht besonders gut geht. Weil da viel in mir kämpft. Und das endet dann mit vielen Tränen. Weil ich mich so schuldig mir selbst gegenüber fühle und doch weiß, dass es das Ende der Beziehung bedeutet hätte, hätte ich das nicht gemacht. Und weil ich nicht das Gefühl habe, dass es in irgendeiner Weise wahrgenommen wird, wie weit jenseits meiner Grenzen das eigentlich liegt und das irgendwie trotzdem nicht so richtig reicht.

Wochenende.
Samstag habe ich Dienst. Der ist okay. Zwar habe ich viele Aufnahmen, aber ich komme ganz gut zurecht. Kurz vor Mitternacht komme ich nach Hause. Treffe meinen Freund in der Wohnung an, der am Nachmittag schon mit dem Fahrrad her geradelt ist. Wieder nur ein halbes Wochenende für uns Beide. Und das wahrscheinlich auch ziemlich müde.

Aber der Sonntag, der hat sich gewaschen.
Paradebeispiel von dem, was in der Woche zuvor in der Kapelle gesprochen wurde. Dass ein Gespräch wenige Tage später so sehr zur Übungsfläche wird, kommt selten vor.
Ein Nein, das grundsätzlich von meiner Seite aus nicht verhandelbar ist und nicht begründet werden muss. Ein Nein, das wieder eine Grundsatzdiskussion nach sich zieht. Und davor ein langes Schweigen. Verletzung auf beiden Seiten. Weil ich nicht weiß, was ich mit seinem Betteln soll und damit, dass ich mir aussuchen kann, ob ich mich ein Stück weit selbst verrate und mich mir selbst gegenüber schuldig fühle oder ihm gegenüber, weil ich seinen Ansprüchen nicht nachkommen kann. Weil ich nicht weiß, was ich damit soll genau zu wissen, dass ein Nein die Stimmung zwischen uns kippen lassen wird. Und weil es trotzdem so wichtig ist. Dieses Nein.
Wenigstens schaffe ich es irgendwann zu sagen, dass dieses Nein eben nicht verhandelbar ist. Was er mal grundsätzlich anders sieht. Es wäre doch wohl schon legitim jemanden zu versuchen davon zu überzeugen, seine Meinung zu ändern. Bei fachlichen Diskussionen ja. Vielleicht. Bei diesem Thema nicht.
Streckenweise bin ich sehr überfordert mit ihm. Stelle so Vieles in Frage.

Noch ein Bild von einer der Wanderungen im Urlaub



***

Es ist eine merkwürdige Zeit.
Eigentlich sollten hier sämtliche Alarmglocken los klingen.
Ich spüre, wie ich mich selbst verliere. Wie ich auf die Frage wie es mir geht, kaum noch eine Antwort habe. Eigentlich ganz gut, würde ich sagen. Aber dann spüre ich mich irgendwo zwischen einer unendlichen Leere, Traurigkeit und Erschöpfung. Und oft spüre ich einfach nichts mehr. Ich sehe in den Spiegel und weiß nicht, wie es der Person, die mich da gerade anschaut, geht. Was sie möchte. Und irgendwie vermisse ich manchmal selbst dieses Stechen im Herzen, wenn ich still meinen Freund beobachte.
Vielleicht habe ich irgendetwas vergessen auf dem Weg. Vielleicht einen Teil von mir selbst.

Und war das nicht immer der Anfang? Habe ich nicht das halbe Jahr 2021 davon geredet, dass ich unendlich erschöpft bin, bis ich fast nicht mehr aufstehen konnte?
Ich glaube, es ist ein verzweifelter Versuch, mich zu wehren. Nicht schon wieder. Und ich glaube, ich versuche das jedes Mal ernsthaft. Versuche die Kurve zu kriegen, bevor gar nichts mehr geht. Und dennoch musste man mich scheinbar im November des letzten Jahres nur anschauen, um die Erschöpfung in und an mir zu sehen.
Wie ich das jetzt vermeide, weiß ich noch nicht genau. Manchmal wäre das alte Helfersystem doch noch ganz gut. Aber es ist kaum etwas übrig geblieben davon. Nicht mal die potentielle Bezugsperson. Wir haben uns ewig nicht mehr gesehen.

Erstmal heißt es Durchhalten. Übermorgen Intensivdienst. Und wir haben gerade wirklich klinisch schlechte Patienten. Eine Reanimation mitten in der Nacht ist jetzt nicht gerade unwahrscheinlich. Und nächstes Wochenende auch schon wieder Dienst in der Notaufnahme. Und nebenbei ein Igelmodus. Ich bin ja schon überfordert mit mir selbst... - wie soll ich denn noch allen Patienten gerecht werden?

Mondkind

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