Gedanken aus dem Dienst
Heute im Dienst
schaue ich mal meine alten Mails durch. Die ich der potentiellen Bezugsperson
geschrieben habe. Vor vielen Monaten schon. Da habe ich etwas ziemlich Niedliches gefunden:
„Irgendwie… - jetzt halten Sie mich
bestimmt für bescheuert, wie soll ich das sagen? Ich habe das bei [dem
verstorbenen Freund] oft so erlebt, wie bei [dem späteren, lebenden Freund]
jetzt. Und es ist so schön, wenn man an einen Menschen denkt, ihn sieht oder
hört und so eine merkwürdige Wärme in sich fühlt, dass das Herzchen etwas
schneller schlägt und die Welt ein bisschen weniger schwer ist. Und irgendwie
macht es irgendetwas mit mir, wenn ich daran denke, dass ich das anderthalb
Jahre nicht haben konnte, weil [der verstorbene Freund] eben nicht mehr da war
und ist. Ich vermisse diese Person, die ich in diesen Situationen war, so
unglaublich – mal unabhängig vom [verstorbenen Freund]. Ich habe nicht nur
meinen Freund verloren, sondern auch ganz viel von mir selbst – ist mir mal so
aufgefalllen.
Und das mit [dem lebenden Freund] ist ja
illusionär, das ist schon klar; ich sollte von dieser Schiene auch schnell
runter kommen, damit werde ich nicht glücklich. Aber ich hatte schon fast
vergessen, wie es sich anfühlt und das hat mich heute viele Tränen gekostet.
Irgendwie. Vielleicht ist es sogar ein Anflug von Wut. Und gleichzeitig so ein
Schuldgefühl, weil irgendwie ist es ja echt so: Die Welt dreht sich weiter. Es
kommen und gehen neue Menschen und ich kann doch kein gefühlskalter Eisklotz
bis ans Ende meines Lebens vor lauter Loyalität sein. Damit bringe ich mich ja
auch selbst um ganz viele schöne Dinge. Es ist so ein Gefühlschaos.“
Tja und dann war es doch nicht so illusionär und ich hatte – neben viel Chaos – den besten Sommer seit sehr, sehr langer Zeit.
Am Abend davor sitzen wir wieder
stundenlang im Wohnzimmer.
Am Esstisch.
„Ich wollte mit Dir nochmal über Sonntag
reden“, hat er eingeleitet. (Ich hatte auf dem Weg zu ihm noch mit einer
Freundin telefoniert und schon überlegt, dass das auf mich zukommen wird…)
So richtig zueinander finden wir nicht. Diese
Beziehung dekompensiert immer und immer wieder über das gleiche Thema und
obwohl ich mittlerweile schon so viele Schritte auf ihn zu gegangen bin, so
viele Dinge akzeptiert habe, von denen ich der Meinung war, dass ich das nie
machen werde, reicht es nicht.
Ich fürchte, da ist viel Wut, viel
Enttäuschung auf beiden Seiten. Bei mir, weil ich denke, es müsste doch
irgendwann mal reichen, was ich in diese Beziehung gebe und in der alten
Beziehung mit dem verstorbenen Freund über so viele Jahre nicht geben konnte.
Aber wenn es für ihn halt so schlimm ist, dass er meint sich trennen zu müssen,
dann möchte ich versuchen mich irgendwie zu arrangieren. Und er ist wütend,
weil er meint, ich sehe ihn trotzdem nicht. Da wo ich meine Grenzen sehe, sieht
er ein Vermeidungsverhalten. Was ich absolut nicht nachvollziehen kann.
Er sagt es nicht so ganz konkret an diesem
Abend, aber ich denke es geht – wie immer
in solchen Diskussionen – um Trennung.
Er nimmt es schwer. Sehr schwer.
Das Frühstück am nächsten Morgen ist schweigsam.
Ich sehe, dass ihm die Tränen in den
Augenwinkeln stehen.
Und ich weiß, dass er mit dieser Beziehung
eigentlich so nicht leben kann.
Es ist eine merkwürdige letzte Umarmung.
In der ich weder ihn noch mich fühle.
Kurvige Landstraßen.
Auf dem Weg zur Arbeit fällt mir auf, dass
mir so Vieles durch die Finger gleitet. Gefühlt. Das Herz schlägt nicht mehr so
wie damals für diesen Menschen, von dem ich gerade weg fahre. Aber es spürt
auch auf der Arbeit die Angst weniger. Und vor allen Dingen spürt es ganz viel
Leere und wenn nicht gerade das, dann ganz viel Traurigkeit. Die Nächte sind
kurz, die Morgen sind grausam. Gegen Abend geht es langsam, da werde ich etwas
wacher. Ich fühle mich nicht wie ein Teil dieser Welt. Nicht in ihr verankert. Nicht
mal in mir selbst verankert. Als würde ich diesem Menschen zuschauen, wie er
versucht zu Halten, Kompromisse zu schaffen, den Job auf die Reihe zu kriegen,
nirgenwo zu sehr zu versagen.
Es ist, als wären all die Monate nicht nur
streckenweise sehr schön gewesen, sondern auch sehr anstrengend. Als bräuchte
es diesen Rückzug in sich selbst, um mich wieder zu sortieren. Um viele innere
Fragen zu klären, für die es seit langer Zeit keinen Raum mehr gibt. Und weil
es auch schwer ist, die sich selbst gegenüber ehrlich zu stellen. Und dennoch
ist dieser Rückzug in mich selbst schwierig. Weil der Freund es nicht mag, wenn
ich aufhöre zu reden. Und ich mich aber scheue ihm zu erzählen, wie es der
Seele geht. Wir reden über ihn und seine Bedürfnisse oder über die
Belanglosigkeiten des Alltags.
Ich merke, dass diese innere Anspannung
langsam so hoch ist, dass die ersten Male ein „müssen wir eigentlich noch
leben?“ meinen Kopf streift. Und ich bin langsam lange genug damit unterwegs um
zu wissen: Es dient hauptsächlich dazu, subjektiv erlebtes, seelisches Leid zu
kontrollieren, dieses Schreien der Seele dadurch zumindest kurzweilig ein
bisschen zu lindern, weil ich weiß, dass ich das im Notfall nicht endlos so
weiter machen muss. Und ich weiß auch mittlerweile: Ich würde diese Trennung überleben.
Ich muss in diesem Job nicht zwingend bleiben. Manchmal ändert sich das Leben
auf recht unabsehbare Weise auch ziemlich zum Guten. Es gibt genügend Gründe –
und wenn es am Ende auch die moralischen sein mögen – um hier zu bleiben und
dieses Leben zu leben, solange ich kann. Und doch ist es gerade schwierig und
anstrengend und kräftezehrend auf so vielen Ebenen.
Ich bin gespannt, wie das Wochenende wird –
wir sehen uns ohnehin nur Samstag, weil ich Sonntag schon wieder Dienst habe.
Manchmal befürchte ich, wir brauchen vielleicht nochmal eine Pause voneinander. (Obwohl das das letzte Mal ziemlich schrecklich war und wir das nicht mal ein Wochenende durchgehalten haben)
Damit jeder nochmal in Ruhe nachdenken und in sich gehen kann: Wie wichtig ist
mir diese Beziehung? Wie viel kann ich und bin ich bereit zu geben? Wie viel
fehlt mir, wenn der andere nicht da ist?
Und jetzt erstmal ein Hoch auf den
Kollegen, der mir eine Stunde das Diensttelefon abgenommen hat, weil ich so
durch war. Jetzt gehe ich zurück auf die Intensivstation und dann schaffe ich
mit meinen Patienten zusammen hoffentlich die Nacht.
Mondkind
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