Von einer Urlaubswoche

Schnipsel.
Von dem was war. Und immer noch ist. Im Verlauf der Woche.
Und tatsächlich bleibt wenig Zeit fürs bloggen. Und fürs Gedanken sortieren.
Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Blogpost angefangen habe. Weil er nie so ganz trifft, was ich sagen mag.

Wir liegen einfach nur da. Ich an meinen Freund gekuschelt. Jede Faser meines Körpers spürt ihn. Ich könnte das auch den ganzen Tag machen.  Wir brauchen keine Worte, wie sonst so oft am Telefon, um irgendwie Verbindung zu halten. Was für meinen müden Kopf abends oft schwer ist. Und ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals im Leben so viel Nähe zulassen konnte, wie von ihm. Die meisten Menschen dürfen mich nicht mal in den Arm nehmen.
Es ist nicht mehr so wie früher. Da ist nicht mehr dieses Herzrasen und den Puls sieht man schon lange nicht mehr am Handgelenk. Aber ihn neben mir zu wissen, erzeugt einen ganz tiefen Frieden in mir und sobald er nicht da ist, spüre ich eine Sehnsucht nach ihm in mir. Was nicht heißt, dass ich nicht auch tageweise ohne ihn leben könnte. Aber manchmal träume ich davon wie es wäre, wenn wir zusammen leben würden und uns jeden Abend zumindest kurz hätten.

Die Tage sind sehr ruhig. Wir stehen spät auf, frühstücken, wenn andere Mittagessen. Jeden Tag ist eine Kleinigkeit geplant, aber viel haben wir nicht vor. Das ist auch bitter nötig und auf dem Weg zum Lieblingsberg hat der Körper schon bewiesen, dass er auf Action nicht so viel Lust hat. (Deshalb bleibt dieser wenig glorreiche Teil der Woche hier unerzählt). Aber nachdem ich ständig behauptet habe, im Dunklen nicht Auto fahren zu können, hat mich mein Freund so lange überredet, bis wir endlich beim Optiker waren. Ich habe ja schon bemerkt, dass ich ab und an nicht so gut sehe, aber ich habe das mal auf die allgemeine Erschöpfung geschoben. Allerdings brauche ich halt echt wieder eine Brille. Und vielleicht – habe ich mir so gedacht – ist es ja auch andersrum. Vielleicht bin ich so erschöpft, weil meine Augen so überbeansprucht sind.

Rast auf einer Fahrradtour


Die letzten Monate ist so viel passiert, dass mein Kopf noch nicht so richtig hinterher kommt, das alles zu verarbeiten, zu integrieren. Manchmal kommt es mir nicht vor, als sei das mein Leben, das ich da gelebt habe. Und wenn es still wird, dann sind da so viele Gedanken.

Ich muss oft an diese Tage im letzten Dezember denken, als wir uns kennen gelernt haben. Als dieses Herz, von dem ich nicht den Eindruck hatte, dass es noch so richtig lebt – auch wenn es natürlich artig Blut durch meinen Körper gepumpt hat – aufgewacht ist. Ich denke an dieses Stechen in der Brust. Daran, wie fasziniert ich davon war, ihn von der Ferne irgendwo herum schleichen zu sehen, von der hochgezogenen Augenbraue, die ich manchmal beobachten konnte, wenn er sich gewundert hat oder einfach zur Begrüßung. Ich denke daran, wie wir uns gegenüber saßen, seine Hände zusammen gefaltet in seinem Schoß und ich mir gewünscht habe, diese Hände mal spüren zu dürfen.
Und dann denke ich an heute, wenn ich langsam neben ihm wach werden darf, wenn ich abends schon neben ihm im Halbschlaf liege. Ich denke daran, dass wir heute gemeinsam durch dieses Leben gehen dürfen, dass er einer der wichtigsten Menschen meines Lebens geworden ist und das umgekehrt hoffentlich auch so ist. Ich denke daran, dass er mir die Tage erzählt hat, dass wir Weihnachten bei seinen Eltern eingeladen sind (ai ai, doppelte Herausforderung – Weihnachten und seine Eltern) und ich letztes Jahr nicht mal in meinen kühnsten Träumen hätte darüber nachdenken können, dass das eines Tage passieren könnte - auch wenn ich mich sehr genau an den Silvesterabend erinnere, daran, dass er nicht mal einen Meter hinter mir stand und daran, dass ich mich kaum getraut habe darüber nachzudenken, was ich mir wünschen würde, selbst wenn es fernab jeglicher Realität sein dürfte. Ich denke daran, dass es wohl kaum zu leugnen ist, dass alles was passiert ist, so viel Glück war. Es hat so viele Fügungen gegeben, dass das Ende der Klinikzeit nicht das Ende von uns war. Das hätte leicht passieren können und auch das wäre zu akzeptieren gewesen und ich bin kein Mensch (zumindest meine ich das), der so super aufdringlich ist. Aber so ging es. Vorsichtig die Füßchen in das Leben des jeweils anderen zu schieben, am Anfang kaum merklich und sehr wachsam, wie die Reaktion ist.
Ich denke daran, dass wir manchmal ein bisschen sinnieren und wahrscheinlich keiner von beiden weiß, ob wir das wirklich ernst meinen. Über Familie, wer dann zu wem ziehen würde und wie wir die Wohnung aufteilen würde, wenn es hier irgendwann ein Kind gäbe.
Und ich glaube mir ist – so viel mehr als früher – in jedem Moment der gut ist bewusst, dass das keine Selbstverständlichkeit ist.

Ich war so viel unterwegs die letzten Monate, es ist emotional so viel passiert. Und es war und ist nicht alles gut – wer weiß, wie weit wir entfernt von der nächsten Beziehungskrise sind. Zwar wird es langsam ruhiger zwischen uns – habe ich zumindest ein bisschen das Gefühl, aber ob wir wirklich zu einem Ende gekommen sind? Und dann kann ich auch oft nicht begreifen, wie viel Wunder, wie viel Glück das war, dass dieser Mensch mein Leben gekreuzt hat. Und dass das vielleicht die Wende war. Wir hatten erst kürzlich nochmal ein Gespräch über das Thema Suizidalität und haben da einfach mal unsere Haltungen dem Thema gegenüber ausgetauscht und da ist mir aufgefallen, dass das dieses Jahr kaum Thema war. Ab und an punktuell, aber ich bin über zwei Jahre am Stück jeden Morgen mit diesem Gedanken aufgewacht, ich habe mich nie getraut, länger als einen Monat in die Zukunft zu planen. Das ist anders jetzt und das ist so wertvoll. Und gleichzeitig frage ich mich natürlich manchmal, was er davon hat einen Menschen so nah in sein Leben zu lassen, der die letzten Jahre einfach nicht sehr glorreich verlebt hat und es nie länger als zwei Jahre (und das war absolutes Maximum, oft war es nur ein Jahr) ohne Klinik geschafft hat und genau weiß, wie der Hase auf der Geschlossenen läuft.
(Und manchmal frage ich mich, wie es sein würde, wenn das nochmal passieren würde. Ich habe da halt mittlerweile auch viel zu verlieren. Weil das ja nicht nur die Klinik an sich wäre, sondern auch all die Monate davor, in denen Alltag kaum noch möglich ist).

Und dennoch – wo Licht ist, bleiben die Schatten. Das ist so und das ist auch grundsätzlich okay. Es darf nur der Fokus nicht permanent auf den Schatten liegen.
Ich glaube, ich muss langsam anfangen ehrlich zu mir selbst zu werden. Und wenn ich ehrlich bin, dann stimmt es schon, dass ich mich jederzeit für das Leben meiner Mitmenschen entscheiden würde und wenn ich könnte, dann würde ich den Tod des verstorbenen Freundes immer noch ungeschehen machen. Aber ich muss auch langsam zugeben, dass ich unglaublich viel verpasst hätte, wenn der lebende Freund und ich uns nicht kennen gelernt hätten, wenn ich das Leben das ich heute lebe, nicht führen durfte. Ich verstehe langsam die Irritation der Menschen über die voran gegangene Beziehung und auch wenn es hier keine starre Definitionen geben sollte, aber ich frage mich schon oft, warum wir beide keine vernünftige Beziehung führen konnten. Und auch wir wollten an eine Zukunft glauben, aber ich war tief im Innen nie so überzeugt, dass das auch klappt im Sinn einer Beziehung – oder ob es besser wäre, wenn wir einfach Freunde bleiben.
Ich meine, dass ich langsam zumindest einige Aspekte finde. Wir haben zwar viel geredet, aber zu wenig über uns und zu wenig über die Themen, von denen wir verschiedene Vorstellungen hatten. Ich bin zwar immer noch der Meinung, dass der lebende Freund das streckenweise ziemlich übertrieben hat, aber grundsätzlich war es wahrscheinlich schon wichtig. Manchmal glaube ich, wir wollten es zu sehr und waren dabei beide zu schüchtern. Es hätte vielleicht die Option geben müssen, dass es einfach nicht gut passt und wir eben keine Beziehung führen, sondern Freunde bleiben. Ich glaube, mit dem lebenden Freund ist das keine Option, wenn das mit unserer Beziehung nicht klappt, mit dem verstorbenen Freund wäre es das glaube ich für uns beide grundsätzlich gewesen. Und dennoch haben wir uns diese Option nie so richtig zugestanden und aus der Angst, dass dabei etwas raus kommt, das wir beide nicht wollen, nie über die wesentlichen Punkte geredet.

Ich war gestern mal kurz in der Heimatstadt – ein paar To Do’s erledigen, damit ich bis Sonntag hier bleiben kann. Und hier bei meinem Freund merke ich das nicht so sehr, aber zu Hause prallen die Welten aufeinander. Wenn ich schnell in meine Wohnung rase, um die Einkäufe zu verstauen und dann nochmal schnell in die Stadt muss, um noch ein paar Dinge zu erledigen, dann fängt mich die Wohnung kurz ein. Erinnert mich, wie viele Abende und wenn ich frei hatte – ganze Tage – ich auf diesem ziemlich hässlichen blauen Sofa vom Vormieter verbracht und Löcher in die Decke gestarrt habe, unfähig auch nur irgendetwas zu tun.
Es ist ein anderes Leben, ein Stück weit eine andere Mondkind, die ihren Platz in der Welt und ein Stück weit auch ein zu Hause gefunden hat – in Teilen in sich selbst, in Teilen sicher im Partner, weil er mein Leben einfach so sehr auf den Kopf gestellt hat, weil ich die besten Momente des Jahres mit ihm verbracht habe, weil die Zukunft mit ihm eine Perspektive ist, auf die ich mich freue – und trotzdem wirkt das nach all der Zeit immer noch so fragil auf mich. Als könnte das alles nicht so richtig bleiben. Ich habe super viel Angst, dass dieses Leben von damals mich nochmal einholt, das noch mehr Leid zu sein scheint, nachdem ich wieder so viel Licht gesehen habe.
Und doch ist es ein anderes Lebensgefühl, wenn ich mich heute durch diese Welt bewege, über die Straßen, die ich damals auch schon kannte.

Und dann sitze ich manchmal hier und frage mich: Ist es so okay? Bin ich so okay? Mache ich das gerade richtig hier? Kann ich so mein Leben leben? Kann ich das halten? Und was mache ich mit der Vergangenheit, die immer noch täglich an die Tür klopft und weiterhin so schwer ist, dass ich keine Ahnung habe, wie ich sie tragen soll? Eben weil es nicht nur viel Orientierungslosigkeit, Suche und innere Rebellion war, sondern weil es ein Menschenleben gekostet hat. Weil ich es nochmal probieren darf. Während der andere Mensch das eben nicht mehr kann. Und weil ich ihn so gern an die Hand nehmen würde und ihm dieses Leben mit all seinen Farben so gern zeigen würde.
Weil ich es immer noch vermisse. Diese Mondkind von damals. Diese Unbeschwertheit. Die seit damals nicht mehr da war. Ersetzt wird durch ein Flattern, das immer bleibt. Eine Hab – Acht – Stellung. Die das Herz nie ganz frei gibt. Als wäre da etwas für immer verloren gegangen. Vielleicht ist es das auch. Vielleicht hat die Liebe einen Preis. Auch, wenn es Sinn macht, sich dafür zu entscheiden. Immer.

Mondkind


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