Um einen Dienst vor den Urlaub herum

Donnerstagmorgen.
Ich sitze im Auto und bin unterwegs vom Nachbarort zurück in die Heimatstadt.
Der Vorabend hängt mir noch in den Knochen. Magen- und Kopfschmerzen schon vor dem Dienst ist auch keine besonders gute Kombi.
Und ob ich nochmal vor dem Dienst den Freund besuchen sollte, weiß ich nicht. Sein Zeitmanagement tendiert dazu eine Katastrophe zu sein, aber der gestrige Abend hat dann mal alles gesprengt.

Mittwochabend.
Der Tag auf der Intensivstation war anstrengend. Zu Hause bin ich noch schnell unter die Dusche gehüpft, auf dem Weg zum Freund beim Bäcker vorbei gesprungen und dann bin ich um kurz vor acht Uhr endlich da. Viele Stunden werden uns nicht mehr bleiben, aber sich zumindest mal kurz spüren zu dürfen, ist besser als nichts.
Und irgendwie eskaliert der Abend im Verlauf ziemlich. Nicht mit den üblichen großen Themen, sondern mit viel Banaleren. „Vielleicht muss ich eine neue Bedingung für die Beziehung stellen“, sagt er irgendwann und ich weiß nicht, ob er das ernst meint. Vorstellen könnte ich es mir aber. Irgendetwas ist immer. Als wäre Frieden zwischen uns irgendwie zu langweilig.
Und ich… - fühle mich irgendwann ein bisschen ungesehen.

Und irgendwann in dieser Nacht weit nach Mitternacht.
„Kannst Du mir erklären, wie wir mit diesem Gespräch hier gelandet sind?“
Wenn ich das wüsste. Wir haben irgendwann mal über meine Schwester geredet und ich sehe nicht ein, dass ich mich da bis Sonntagabend um irgendetwas kümmern soll. Mir steht alles bis zum Hals.
„So stelle ich mir die Psychiatrie vor“, sagt er. (Echt jetzt? - ich befürchte ich war in meinem Leben länger in einer solchen Einrichtung als er. Tragischerweise...)
„Wie?“, frage ich.
„Die Patienten sind alle in ihrer eigenen Welt gefangen.“
„Ich habe das Gefühl ich ertrinke in meinem eigenen Gedankensalat. Ich finde dazwischen nichts mehr.“
„Das ist hochgradig egoistisch“, sagt er. Und nach einer Pause „Wenn man so in sich gefangen ist, dass man gar nichts mehr um mich herum sehen kann.“
„Dann ist es halt so. Ich kann es gerade nicht ändern.“
„Und wie sind wir jetzt auf der Psychiatrie – Ebene gelandet?“ Weiß ich immer noch nicht. Eigentlich war der Plan nicht, dass er heute Abend den Therapeuten spielt. Und irgendwie macht mich das auch ein bisschen aggressiv.
Ich glaube das ist die erste Krise, die er mitbekommt, die nicht ausschließlich etwas mit der Beziehung zu tun hat. Nachdem der Sommer so stabil war. Es ist okay. Aber es überfordert uns beide. Weil ich ihn da nicht drin haben möchte. Weil ich weiß, dass man das als Therapeut hochgradig gestört finden muss, was in meinem Hirn abgeht. Und er ist eben nicht mehr mein Therapeut. Und ich hasse es, wenn er mich konfrontiert, mich als egoistisch bezeichnet, weil ich gerade so gefangen in mir selbst bin, statt mich einfach mal in den Arm zu nehmen oder sich mit mir vor die Heizung zu setzen. Das wäre mein Wunsch an ihn in dem Fall und keine private Therapiestunde mitten in der Nacht.

Irgendwann halb zwei in der Nacht löschen wir das Licht und schon da weiß ich, dass der Dienst am nächsten Tag eine Katastrophe werden wird. Wir haben uns kaum im Arm gehabt, kaum den anderen gespürt an diesem Abend und der Schlf wird nicht ausreichen. Das hätte ich mir halt ehrlichweise komplett sparen können.

Immer noch Bilder aus dem letzten Urlaub... - und jetzt startet der Nächste

 

Donnerstagabend. Dienst.
Ein Patient nach dem anderen und der Spätdienst ist – weil er schon am Tag gebraucht wurde – früher nach Hause gegangen. Mir fallen fast die Augen zu und kurzzeitig halte ich eine einseitige Ptosis für eine Fazialisparese. Zum Glück fällt der Fehler auf und ich kann alles anpassen.
Irgendwann macht mich jedes Klingeln des Telefons innerlich aggressiver, sodass ich gefühlt nach einer Zeit innerlich fast glühe. Jeder Anruf bringt mich weiter weg von meinem dringend benötigten Bett. Und irgendwann in dieser Nacht sehe ich den Seelsorger durch die Notaufnahme spazieren, der mich zu dem Zeitpunkt auch schon erspäht hat. „Was machen Sie hier?“, frage ich ihn etwas entgeistert und befürchte schon, dass er aus irgendeinem medizinischen Grund hier ist. Auch Seelsorger haben Dienst, erklärt er mir und er sei wegen einem Patienten hier, was mich ziemlich erleichtert. „Ich habe Ihre Mail schon gelesen, aber ich kam noch nicht dazu, zu antworten“, sagt er. Und nach einer Pause. „Ist ganz schön was los bei Ihnen, oder?“ „Ziemlich“, entgegne ich und spüre schon wieder die Tränen in den Augen. Er nimmt mich kurz in den Arm und wahrscheinlich ist das die wertvollste Begegnung der Nacht, die ein bisschen Frieden generiert.
Er ist mit seinen Ansichten zwar schon oft ein bisschen kompliziert, aber wenn ich ein bisschen mehr Zeit hätte, hätte ich glaube ich schon mal wieder einen Termin mit ihm vereinbart. Allerdings – ich bin so selten mal einen Nachmittag hier, an dem ich wirklich sicher Zeit habe. Nächste Woche habe ich zwar Urlaub, aber ich weiß ja nicht mal, wo ich bin. Und die letzten Wochen war so oft Spätdienst, der zwei Tage die Woche blockiert, wenn ich den Abend vorher noch zu meinem Freund fahre, oder Dienst. Aber vielleicht kann ich mich bemühen, da mal etwas zu arrangieren. Mal ein bisschen auf mich zu achten, einfach mal irgendwo einen Termin hin zu legen und dann eben mal nicht zur Verfügung zu stehen. Weil es wichtig ist.

Irgendwann in dieser Nacht fallen mir – während ich auf Laborwerte warte, die der Internist noch wollte – im Sitzen die Augen zu und als der nächste Anruf mich weckt, ist der Patient schon weg. „Wo ist mein Patient?“, frage ich. Ich wollte ihn zwar eigentlich entlassen, aber vorher nochmal mit ihm reden. „Der Internist hat ihn heim geschickt“, antwortet die Pflege.

Nach diesem Dienst fahre ich ohne Umweg nach Hause. Eigentlich wäre es sinnvoll das Auto direkt vollzutanken und Proviant für die Fahrt morgen einzukaufen. Aber ich bin so erschlagen, dass nichts mehr geht.
Jetzt nach fünf Stunden Schlaf bin ich etwas wacher und werde gleich nochmal los ziehen und beginnen zu packen. Irgendwie hätte ich morgen gern jemanden dabei. In dem Zustand die Mutter des verstorbenen Freundes besuchen zu fahren, ist ziemlich wahnwitzig. Und ich habe wahnsinnige Angst. Dass mir das irgendwie einfach alles zu viel wird. So sehr hat er mir schon ewig nicht mehr gefehlt. Ich habe das Leben von früher lange nicht mehr so präsent vor Augen gehabt, wie jetzt. Es ist fast, als könnte ich die Mondkind von damals noch mal fühlen, wie sie ihr Fahrrad hinter der Urologie abgestellt und den Freund von der Bahnhaltestelle um die Ecke abholt. Meistens auf den letzten Drücker bin ich an der Straßenbahnhaltestelle angekommen, um ihn im Empfang zu nehmen. Fast kann ich seine Arme auf meinem Rücken spüren. Und manchmal würde ich die Mondkind von damals so gern schütteln und ihr einschärfen, dass sie gefälligst aufpassen soll auf diesen Menschen.

Mondkind

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