Die ersten Urlaubstage

Ein bisschen habe ich ja befürchtet, dass es so kommt, wie es jetzt ist. Aber gehofft habe ich trotzdem etwas anderes.
Ich war gespannt, wie es mit dem Kardiochirurgen läuft, wenn wir beide Urlaub haben. Dann zieht die Argumentation „Ich stand bis Mitternacht im OP“ mal nicht mehr. Und ja – ich habe schon verstanden, dass er auf seinem Paragliding – Kurs hier in der Nähe ist, ich habe verstanden, dass da von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang geflogen wird und ich habe auch verstanden, dass er vorher nicht sagen kann, ob wir mal einen Tag für uns haben, weil das abhängig vom Wetter und vom Wind ist und diese beiden Variablen manchmal sehr launisch sind.
Und trotzdem ist es mittlerweile spätestens halb acht Uhr am Abend dunkel und dann gibt es noch genug Zeit. Und das heißt nicht, dass ich erwarte, dass er jeden Abend bei mir auftaucht; er hat ja auch noch ein Leben neben mir. Aber es heißt schon, dass ich hoffen würde, dass er sich abends mal meldet, von seinem Tag erzählt und wir vielleicht vereinbaren können, wann wir uns unter der Woche mal abends sehen können. Und genau das passiert eben nicht. Seit Sonntagnachmittag habe ich genau gar nichts von ihm gehört. Und die vorsichtige Nachfrage meinerseits hat er bisher nicht mal gelesen.

„Bei solchen Männern brauchen Sie immer einen Plan B in der Hinterhand“ war einer der wenigen sinnvollen Sätze, den die Frau des Intensiv – Oberarztes in einer ihrer letzten Coaching – Stunden vom Stapel gelassen hat. Aber auch das ist nicht so einfach. Ich habe mich jetzt einfach mal verabredet – mit Kollegen abends zum essen, mit einem anderen Kumpel – ich habe Termine gemacht, die diese Woche noch anstehen und wenn er dann eben gerade spontan auf die Idee kommt, dass er da Zeit hat… - dann ist es eben so. Klar wird mich das dann auch etwas beunruhigen, denn wenn ich die Wahl habe, möchte ich natürlich gern Zeit mit ihm verbringen, aber er sieht das eben umgekehrt scheinbar ein bisschen anders. Aber es ist halt so jetzt. Ich habe gestern realisiert, dass ich jetzt nicht die ganze Woche auf ihn warten kann; das wird mich wirklich unglücklich machen.

Allerdings frage ich mich so generell und überhaupt, was das mit uns denn jetzt alles sein soll. Auf der einen Seite ist da – sehr viel schneller, als ich das nach den wenigen und verhaltenen Kontakten in der letzten Zeit erwartet hatte – eine körperliche Nähe entstanden. Im Nachhinein bin ich gar nicht so zufrieden damit, weil es sich in der Situation okay angefühlt hat, aber wenn man das Hirn mal wieder einschaltet kommt man auch zu dem Schluss, dass manche Situationen etwas mit Verantwortung zu tun haben und schon ein gewisses „Commitment“ erfordern, wie ein Kumpel es mal ausdrückte. Und das haben wir de facto eben einfach nicht. Der Herr ist der König der Unverbindlichkeit und verkauft mir das immer so, dass es jobtechnisch nicht anders möglich ist, aber jetzt gerade im Urlaub schwant mir, dass das wenig mit dem Job zu tun hat und irgendetwas anderes dahinter stecken muss. Und das beunruhigt mich sehr.

Auf der anderen Seite hinterfrage ich auch mich aktuell ziemlich. Es ist ja nun mal recht deutlich, dass das Interesse von seiner Seite aus nicht so gegeben ist, wie von meiner Seite. Sonst würden wir auch in Zeiten von Zeitmangel zumindest öfter schreiben oder telefonieren oder er würde sich überhaupt mal melden und nicht immer alles andere erledigen, bis ich ganz am Ende mal in seinen Überlegungen auftauche.
Und gleichzeitig ist natürlich die Frage: Wie viel von dem Gesagten ist meine Wahrnehmung und wie viel ist wirklich so? Ich muss schon auch zugeben, dass ich nach der Erfahrungen der letzten Jahre – nämlich, dass auf zwischenmenschlicher Ebene selten irgendetwas gut geworden ist, auch wenn es erstmal so schien – und insbesondere nach der letzten Beziehung das Vertrauen in soziale Beziehungen nicht sehr hoch ist. Ich glaube, dass ich erstmal mit ganz viel Misstrauen starte und das Gegenüber kann sich dann Mühe geben, das nach und nach aus dem Weg zu räumen – aber erstmal hinterfrage ich alles kritisch. Das ist wahrscheinlich für das Gegenüber auch nicht die dankbarste Startposition.

Ich habe die letzten Tage nochmal ein paar alte Songs gehört, die untrennbar mit der Studienstadt verbunden sind. Und ein bisschen Revolverheld, was die gemeinsame Lieblingsband vom verstorbenen Freund und mir war. Und manchmal fühlt es sich an, als sei ich nach seinem Tod in zwei Jahren Stille versunken und dann ganz vorsichtig auf eine neue Beziehungsreise gegangen. Um langsam zu verstehen: Ich weiß nicht, welches Wunder das war, dass wir uns begegnet sind, aber wahrscheinlich ticken 99 % der Männer einfach anders.
Für uns stand das Thema Sexualität nicht im Vordergrund. Für uns ging es darum, im jeweils anderen einen sicheren Hafen zu haben. Alles, was wir erlebt und wahrgenommen haben, teilen zu können, uns gegenseitig zu tragen und um eine emotional ganz, ganz tiefe Verbindung. Ich glaube, ich kenne keinen Menschen, der mich so gut kannte wie er und mich auch einfach so akzeptiert hat.
Trotzdem war diese Beziehung am Ende nicht gut genug und umso mehr tut es weh, dass wir uns ganz am Ende eben nicht tragen konnten. Ob das irgendwer gekonnt hätte, weiß ich nicht.
Und wahrscheinlich ist es eine nachträgliche Romantisierung der Vergangenheit, aber manchmal wünsche ich mir so sehr diese alten Zeiten zurück. Bevor ich irgendwie zwischen den Welt fest hing, mit einer stabilen sozialen Beziehung, mit einem therapeutischen Netzwerk, das sich nicht alle Nase lang verändert hat. (Ich denke immer noch oft an den Kliniktherapeuten und ich glaube, er war die tragfähigste und sinnvollste therapeutische Beziehung, die ich je hatte. Und manchmal wünschte ich, ich hätte es mit ihm wie mit der ehemaligen Therapeutin etablieren können, dass wir uns vielleicht eins, zwei Mal im Jahr sehen können, damit ein Mensch, der so viel  mitgetragen hat, nicht ganz verschwinden muss). Und irgendwie war das eine Zeit damals, in der ich noch geglaubt habe, dass es am Ende gut wird. Ich versuche das zwar immer noch, aber glauben kann ich es oft nicht mehr so richtig.
Und manchmal habe ich das Gefühl, sobald es still wird, bewege ich mich immer noch in dieser alten Welt, die ich gern nie so ganz loslassen wollen würde. Ich freue mich, dass ich nächste Woche ein paar Tage dort sein werde, am Fluss sitzen werde, ein paar Menschis treffen werde, die ich so selten sehe.

Ich fange an, die Nase in meine Psychosomatik – Bücher zu stecken. Und ich fange langsam an, nochmal ein neues Grundverständnis für die Psyche des Menschen zu entwickeln. Ich stelle mir viele Fragen dabei, finde auf einer fachlichen Ebene sogar ein paar Antworten.
Aber verstehen werde ich es vielleicht nie richtig können was da passiert ist, zwischen dem ehemaligen Freund und mir.


Kaffee und - ohne Spaß - spannende Fachlektüre. So gelingt ein guter Einstieg in den Morgen und ich bin wirklich sehr, sehr gespannt, wie ich mich da einfinden werde im Oktober



Morgen muss ich nochmal auf die Arbeit und meinen letzten Neuro – Vortrag halten. Ich konnte mich auch noch nicht dazu motivieren, den für die Pflege etwas umzupriorisieren – für die Ärzte habe ich den ja schon gehalten. Vielleicht lasse ich das auch einfach und mache das spontan. Und dann nehme ich morgen mal meine Sachen aus der Neuro mit. Und dann ist wirklich Urlaub.

Mal schauen, wie die Woche so weiter geht. Ich versuche es mir schön zu machen. Und nicht so viel nachzudenken.

Mondkind


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