Von verspäteten Reisestart und neuen Möbeln

Samstag.
Einer der wenigen Tage bislang in diesem Urlaub, die sich im Gesamten doch mal nach Urlaub anfühlen.
„Wollen wir lieber Samstag oder Sonntag frei“, fragt der Kardiochirurg, bevor er sich auf den Weg zur Arbeit macht, um zu versuchen noch etwas wegen des Dienstplanes zu klären. „Ist mir egal, solange wir einen Tag am Wochenende für uns haben“, entgegne ich.
Ich mache mich in der Zeit zurecht, weil das Fahrrad noch zum Fahrradladen muss.
Am Ende ist er recht schnell und kann doch nichts ändern und dann bringen wir das Rad gemeinsam zum Fahrradladen.

„Sollen wir uns jetzt heute mal um Deine Wohnung kümmern?“, fragt er.
„Könnten wir machen“, entgegne ich.
„Hast Du einen Zollstock zu Hause?“, fragt er.
„In der Abstellkammer bestimmt… - irgendwo.“

Wir schauen uns das Arbeitszimmer an und überlegen, welche Anordnung von Regalen wohl am meisten Sinn hätte.
„Was ist denn überhaupt alles in diesen Umzugskartons?“, fragt er. „Sind das alles Sachen aus dem Studium?“
„Ich weiß es nicht genau. Ich denke in manche Kisten habe ich seit dem ersten Umzug 2017 nicht mehr rein geschaut.“
„Na dann wird es Zeit jetzt.“
Ich sehe ihn kurz unschlüssig an.
„Jetzt stell mal die Kisten nebeneinander und schau mal was da drin ist. Wie viel Regal wir am Ende überhaupt brauchen und was vielleicht auch einfach weg kann. Ich meine, wenn Du seit 2017 nicht mehr rein geschaut hast…“ Er setzt sich auf den Schreibtischstuhl aus meinem alten Kinderzimmer und lehnt sich entspannt zurück, während ich die Kisten inspiziere.
Meine Güte, was finden wir da für alte Schätzchen…

Am Ende laufen wir noch ein Mal mit dem Zollstock durch die Wohnung und dann geht es los.
Wir fahren ein paar Möbelhäuser ab und werden fündig. Demnächst wird es endlich mal eine Garderobe im Flur geben, zwei Regale für das Arbeitszimmer und dann schaue ich erstmal wie weit ich mit dem Stauraum komme und je eine Lampe für Schlafzimmer und Badezimmer.
Mit dem Wohnzimmer muss ich mir noch weiterhin Gedanken machen. Ich möchte unbedingt ein neues Sofa. Dieses Ecksofa aus Lederimitat vom Vorbesitzer, das irgendwie den ganzen Raum zustellt, kann ich nicht mehr sehen. Außerdem passen nicht zwei Menschen nebeneinander (nicht, dass wir da nicht schon übereinander drauf gelegen hätten). Eigentlich hätte ich ganz gern überhaupt kein Eckteil mehr. Wir finden eines, das recht tief ist und wenn man die ganzen Kissen raus nimmt, kann Besuch ohne Probleme drauf schlafen. „Also ich passe der Länge nach drauf, da brauchst Du gar kein Eckteil mehr, wenn es tief genug ist.“ „Ich aber nicht“, knurrt er vor sich hin und stellt seine Beine demonstrativ auf den Boden. „Bin ich so viel kleiner als Du?“, fragt er. „Bist Du“, sagt er und nimmt mich in  den Arm.

Und zwischen den Zeilen dieses Tages habe ich ganz viel Verbindung zwischen uns gespürt. Ich weiß nicht ob’s Einbildung war, aber da war ein bisschen Unbeschwertheit und Leichtigkeit. Und irgendwie, vielleicht wächst da doch ein „Wir“ zusammen. So ganz leise und langsam, fast unbemerkt zwischen den Zweifeln der letzten Wochen und ohne dass wir je drüber gesprochen hätten. Und es gibt Momente, an denen mein Herz vor Dankbarkeit fast platzt. Heute ist so ein Tag.


Sonntag
Nachdem der Kardiochirurg schon am Abend zuvor über den Anflug einer Erkältung geklagt hatte, ist mal so die Frage, wie der Tag heute laufen wird.

Erstmal schmeißt mich meine Mama aber in der Früh aus dem Bett. Sie ist seit ein paar Tagen erkältet und hat einen Corona – Test gemacht, den sie noch zu Hause herum liegen hatte. Und der ist mal sowas von positiv… eigentlich wollte ich halt – wenn ich in der Studienstadt bin – bei ihr übernachten. Das wird dann wohl mal nichts.

Einen Tag vor geplanten Reiseantritt ein Hotel in der Studienstadt zu bekommen bei dem man nicht das Gefühl hat, dass man das Geld auch gleich in eine Kerze halten könnte, ist gar nicht so einfach. Ich hasse es so sehr, wenn Dinge überhaupt nicht funktionieren. Den ganzen Morgen verbringe ich damit ein Hotel zu suchen und mit einer Freundin zu diskutieren, ob sie nun Montagabend Zeit hat oder nicht – das wusste sie nämlich noch nicht genau. Am Ende wird es ein Nein.
Vom Kardiochirurgen höre ich auch bis 16 Uhr nichts; dann vermeldet er, dass er heute krank ist.

Ich merke, wie sie herein schwappt über mich; diese Welle von Überforderung, wenn Dinge irgendwie anders sind, als geplant. Das kenne ich gut und das war schon oft so. Ich verabrede mich spontan noch mit einer Freundin zum Kaffee, aber das hilft auch nur genau so lange, bis ich wieder in meiner Wohnung stehe.

Dieses „zwischen den Welten“ kann ich immer noch nicht gut. Allein die Aussicht wieder in der Studienstadt zu sein wirft mich zurück dahin, wo ich einst her gekommen bin, dorthin wo der Ursprung des Gedankens war, dass es sicher besser wird, wenn ich in die weite Welt ziehe und am Ende ist nur alles noch schlimmer geworden.
Ich sehne mich nach der Mondkind von damals und irgendwie versuche ich dennoch immer wieder aus den Trümmern ein neues Leben zu bauen und das funktioniert nicht. Und was den Kardiochirurgen anbelangt – da hege ich an diesem Abend auch große Zweifel. Es ist doch ständig irgendetwas, warum er nicht kann – wobei er für Krankheit zugegebenermaßen überhaupt nichts kann – aber das macht mich so skeptisch und so überhaupt und generell kann ich nicht so ganz verstehen, wieso er auf der einen Seite so distanziert ist und auf der anderen Dinge manche Dinge wie die Wohnung so enthusiastisch voran treibt, weil er meinte, ich brauche ein zu Hause, in dem ich mich wohl fühle und wenn das eben vier Jahre noch nicht geklappt hat, dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt.

Ich war lange nicht mehr so verzweifelt und überfordert mit mir, was dazu führt, dass der ehemalige Freund und ich spät am Abend seit langer Zeit mal wieder eines dieser pseudo – therapeutischen Telefonate führen. Er meinte, ich sei noch lange nicht so weit, wie ich das immer vorgebe und es bräuchte wohl doch nochmal eine Therapie. Das Fundament auf dem mein Turm steht, sei viel zu schmal sagt er und regt dazu an, die Gefühle zu fühlen, die wirklich gefühlt werden wollen. Ich meine immer, ich fühle doch die Gefühle, die da sind. Ich weiß gar nicht, welche Gefühle da sind, die ich vielleicht nicht fühlen könnte.

Und irgendwann weit nach Mitternacht falle ich völlig erschöpft in mein Bett.

Montag
Als ich morgens die Augen aufschlage, bin ich ehrlich gesagt dankbar, dass ich heute noch nicht fahren muss. Ich bin immer noch gerädert. Nachdem der Kardiochirurg mir gestern Abend noch geschrieben hat, dass er heute super viel zu tun hat, fragt er gleich in der Früh, ob wir nicht die Möbel vom Lager abholen wollen.
Gesagt, getan – um 9 Uhr steht er auf der Matte und da es nicht weit zu fahren ist, sind wir um kurz nach 9 Uhr da. Nur leider hat das Lager noch nicht offen. „Wollen wir frühstücken fahren?“, fragt er. „Können wir machen. Wir könnten auch zu mir fahren – ich habe alles da.“ „Dann können wir gleich die Lampe im Bad schon mal aufhängen“, beschließt er.

Er hat eine Trittleiter und eine Bohrmaschine mitgebracht und dann geht es los. Leider haben wir nicht bedacht, dass man die Lampe in verschiedenen Helligkeitsstufen einstellen kann und ich aber nur einen Schalter habe. Das heißt, sie schaltet mit jedem Einschalten eine andere Helligkeit ein, bis man irgendwann bei der gewünschten Stufe ist. Der Kardiochirurg knurrt ein wenig vor sich hin. „Ich glaube, wir brauchen unseren Joker“, sagt er irgendwann. „Und der wäre?“, frage ich. „Mein Bruder, der ist doch Elektriker“, sagt er und zieht sein Handy raus. Er schreibt eine whatsApp und macht ein Foto von der Lampe. Ich frage mich still, ob er schreibt, bei wem er eine Lampe aufhängt. „Mein Bruder ist immer am Handy, warte zwei Minuten, dann liest er es“, sagt er. Und wenig später summt das Handy schon. „Hab ich mir gedacht“, sagt er. „Man kann das umbauen“, sagt er. „Ab dann braucht man ein anderes Teil in der Lampe drin. Er sucht schon. Wir hängen die jetzt erstmal so auf und wenn wir das richtige Teil haben, bauen wir die nochmal um; das ist ganz einfach.“ 


Danach widmen wir uns den Schränken und am frühen Nachmittag stehen auch die im Arbeitszimmer und ich verfrachte schon mal die ersten Ordner rein.

Wir stehen eine Weile im Wohnzimmer, ich bin ganz glücklich mit so viel positiver Veränderung. „Du musst Dir keine Gedanken machen, ich mache das gern für Dich“, sagt er. Und dann nimmt er mich auf den Arm und trägt mich in Richtung Schlafzimmer. Dort ruhen wir uns dann erstmal aus und schlafen nebeneinander ein.
„Wir sollten irgendwann mal über uns reden“, sage ich irgendwann am Nachmittag, als wir beide nebeneinander liegen, die Decke bis zur Nasenspitze über uns. „Mh“, knurrt er. „Du hast gar keine Lust dazu, oder?“, frage ich. Dazu sagt er eine ganze Weile gar nichts mehr. „Was willst Du denn wissen?“, fragt er. „Ich weiß nicht mal, ob ich unbedingt etwas wissen will“, erkläre ich. „Ich glaube nur es wäre wichtig, dass wir mal unsere Standpunkte austauschen über das was uns beschäftigt und wie wir das mit uns so sehen“, erkläre ich. „Es sagt ja Keiner, dass wir jetzt beschließen müssen, dass wir für immer zusammen sein sollen, oder so“, füge ich hinzu. „Vielleicht sind wir ja einfach noch unsicher und das ist doch auch okay, aber das muss man auch kommunizieren.“ Er nickt.
„Also ich mag Dich schon sehr doll“, beginne ich. „Und gleichzeitig macht mir das mit uns alles ein bisschen Angst.“ Irgendwie habe ich gedacht, ich schaffe das im spannenden Moment mich etwas besser auszurücken. Es geht um diese Nähe, die ich auf der einen Seite so genieße und die mir auf der anderen Seite so viel Angst macht. Weil das angreifbar und verletzbar macht und das in den letzten Jahren kein guter Standpunkt war. Weil ich da immer nur verloren habe. Es geht um unser Zeitmanagement und ich spreche an, dass ich da oft unsicher bin. Ich will ihm nicht „zu viel“ sein und gleichzeitig sehen wir uns zu wenig und koordinieren uns nicht gut, aber dann weiß ich auch nicht, wie viel Raum er selbst braucht. Und zuletzt geht es um das Thema Intimität und ich erkläre, dass ich da ultra wenig Erfahrung habe und die wenige Erfahrung die ich habe, war eigentlich purer Stress für mich.
„Da ist aber was los in Deinem Kopf“, sagt er und nimmt mich ganz fest in den Arm. Und dann spüre ich ein paar Tränen in den Augenwinkeln, die ich eigentlich vermeiden wollte. „Ich kann das alles gut nachvollziehen“, sagt er. „Und ich glaube, wir müssen nächste Woche mal einen langen Spaziergang machen und in Ruhe reden.“ Und dann liegen wir noch eine ganze Weile da, ich so halb auf ihm und ich glaube, so fest wie heute hat er mich noch nie in den Arm genommen. „Wolltest Du Dich nicht noch etwas ausruhen für den Nachtdienst?“, frage ich irgendwann weil es schon längst über der Zeit ist, zu der er gehen wollte. „Ich glaube, ich bin schon ganz gut ausgeruht“, sagt er.

Und heute stehen wir wirklich mal noch eine halbe Stunde im Flur, halten uns einfach nur im Arm, ehe er dann geht.
Und dann ist wirklich etwas Eile angesagt. Auto auftanken, nochmal etwas Geld abholen, Taschen packen, Schreibseln, dazwischen schiebe ich mir noch schnell etwas zu essen zwischen die Kiemen, die Haare sind auch schon gewaschen und gleich falle ich in die Federn. Morgen geht es ganz früh los. Drückt mir die Daumen, dass alles klappt.

Mondkind


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen