Reisetagebuch #3

Donnerstag.
Heute schlafe ich bis fast 9 Uhr. Dafür, dass das Hotel mitten in der Stadt liegt, ist es erstaunlich ruhig. Allerdings habe ich auch Glück und mein Fenster geht zum Hinterhof raus.
Tatsächlich fühle ich mich sogar einigermaßen ausgeschlafen, mache mich schnell zurecht und gehe erstmal frühstücken. Allerdings zickt mein Bauch weiterhin ein bisschen und von daher lasse ich es heute auch etwas langsam angehen in puncto essen. Ich brauche keinen zickigen Bauch auf Reisen. Ein bisschen schade ist es aber schon – ich liebe Hotelfrühstücke sehr.

Wieder auf dem Zimmer packe ich meine Sachen zusammen, checke aus dem Hotel aus, hole Möhrchen von seiner Luxus – Suite und dann fahren wir nach einem Tankstopp auch schon raus aus der Innenstadt. Ich weiß schon jetzt, dass ich den Fluss vermissen werde. Die Stadt. Sie ist tatsächlich immer ein Stück zu Hause geblieben, auch wenn ich bei diesem Aufenthalt so sehr gemerkt habe, wie sich meine Wahrnehmung ändert.

Ich düse erstmal weiter zu einer Freundin.
Mit ihrem Hund und den beiden Katzen ist immer viel los in der Wohnung und zuerst mal muss der Hund sich ein bisschen beruhigen. Sie ist auch einer der wenigen Menschen geblieben, mit denen man sich einfach mit einem Kaffee hinsetzen kann, die nächsten fünf Stunden mit Reden verbringt und gar nicht merkt, wie die Zeit verrennt.
Da unsere Beziehungssituation aktuell bei uns beiden sehr schwierig ist, tauschen wir uns viel darüber aus und manchmal muss man auch einfach über die Jungs ablästern und darüber, dass die Meisten wirklich nicht 10 Meter geradeaus denken können.
(Da fällt mir gerade am Rand ein: Ausgerechnet der Kardiochirurg hat mir heute etwas über typische Problemlösestrategien bei Männern und Frauen erzählt, was ich so aber noch nicht beobachtet habe. Quintessenz: Männer lösen Probleme erst, wenn es richtig brennt. Jap, sehen wir…)


Am Nachmittag wollen wir noch eine Pizza bestellen, aber die Pizzeria hat dann geschlossen und ich bin da gar nicht mal so böse drüber.
Gegen 16 Uhr beschließe ich, dass es Zeit ist heim zu fahren. Ich möchte nicht zu lange in die Dunkelheit geraten und hier über das Land fahren müssen ohne Tageslicht. Darüber hinaus habe ich vor, bei dem Kardiochirurgen vorbei zu schauen, wenn ich vor 21 Uhr zu Hause bin, bevor es zu seinem Nachtdienst geht – was ich schaffen sollte.

Allerdings habe ich die Rechnung ohne den Feierabendverkehr im am dichtesten besiedelsten Bundesland gemacht. Bis zur Grenze ins nächste Bundesland brauche ich über 2 Stunden und die meiste Zeit davon bewegen wir uns im Schneckentempo. Ich habe also mit dem neuen Album von Florian Künstler auf den Ohren (Sooooo gut, ihr wisst nicht, wie oft das in den letzten Tagen auf Repeat lief) mehr als genug Zeit, um mir Gedanken zu machen.

Das Leben ist im Moment ein sehr anstrengendes, aber nicht unbedingt schlechtes, Auf und Ab. Es gibt Momente, in denen das Gefühl von Glück geradezu meinen Körper flutet, in denen ich ein Gefühl von Ankommen und tiefen Frieden habe. Und es gibt Momente, die sind so voll von Angst, Zweifeln und Unsicherheit, dass ich das Flattern in mir regelrecht spüre.
Ich denke lange darüber nach und mit der Zeit fällt mir auf, dass ich gerade auch vor vielen Weggabelungen stehe, von denen ich mir ehrlicherweise einiges verspreche. Ich habe vier Jahre gewartet und auch erstmal bewusst Neuro gemacht, ehe ich mich für die psychosomatische Richtung im Rahmen der Ausbildung – und vielleicht auch für längere Zeit – entschieden habe und ich glaube, dass die Zeit auch gut und richtig war und ich viel gelernt habe – nicht nur fachlich – ich habe es auch gelernt, mir selbst viele Dinge zuzutrauen und erlebt, dass ich manchmal kompetenter bin, als ich das so glaube. Aber ehrlich gesagt: Die Intensivstation war schon nicht toll und die letzten Monate gingen mir nur noch auf den Zeiger. Es kam nicht zum erhofften Aufatmen nach dem Wechsel von der Intensivstation auf die Stroke Unit. Und was das Privatleben anbelangt, gibt es da jetzt wieder einen Menschen in meinem Leben, mit dem das richtig, richtig gut werden könnte.
Aber tatsächlich muss man den Dingen noch eine ganze Menge Zeit geben. Bis ich wirklich einschätzen kann, ob die Psychosomatik mich so erfüllt wie ich das erhoffe und mir vielleicht ein Jobleben zurück gibt, für das ich wirklich brenne. Ob der Kardiochirurg und ich langfristig miteinander zurecht kommen – auch das braucht Zeit. Vielleicht sind wir im Dezember – so um Weihnachten herum – schlauer mit den Dingen.
Aber bis dahin wird das vielleicht eine Lebenssituation bleiben, in der es viel zu gewinnen gibt, aber eben auch viel zu verlieren. Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich dachte, dass die Dinge sich endlich zum Positiven wenden und mittlerweile habe ich da nicht mehr so viel Vertrauen. Dass eine Mondkind sich mal hinstellen kann und wirklich und mit Überzeugung und länger als zwei Wochen sagen kann: So ist es gut, so habe ich es mir gewünscht und lange dafür gearbeitet – das ist ja schon ein großer Traum, der immer wieder unerreichbar schien.

Am Ende fahre ich doch erst nach 20 Uhr von der Autobahn runter und muss dann noch knappe 50 Minuten in der Dunkelheit über die Landstraßen fahren. In jedem Dorf gibt es mindestens 2 Blitzer und ich fahre sehr vorbildlich und halte mich immer an die Geschwindigkeitsgrenzen (manchmal fangen die LKWs mich schon an zu überholen in Baustellen, was nun wirklich nicht sein muss, aber ich traue mich da nicht zu schnell durch zu fahren), allerdings kenne ich ja die Strecke über das Land nicht wirklich gut, weil ich da einfach nicht oft lang fahre und habe immer Angst, ein Schild zu übersehen.

Kurz vor 21 Uhr bedanke ich mich bei Möhrchen für die reibungslose Fahrt (haltet mich für bescheuert, aber ich sage wirklich immer ein Mal laut: Danke Möhrchen, dass Du mich sicher nach Hause gebracht hast) und schreibe dem Kardiochirurgen. Wir hatten ausgemacht, ich rufe nicht an, falls er noch schläft. Um genau 18 nach 9 Uhr schreibt er, dass er jetzt wieder wach ist. Ich kann das irgendwie schwer glauben, aber jetzt ist es natürlich zu spät, um ihn zu besuchen, weil er sich gegen 10 Uhr fertig machen muss. Vielleicht war ihm das auch einfach zu viel, dass ich es heute noch vorbei schaue, aber dann kann er es auch sagen.
Ich glaube, ich muss mich noch an viel gewöhnen mit ihm. Unter anderem eben daran, dass wir uns selten sehen, selten wie es verabredet ist und es immer eine sehr schöne Zeit mit ihm ist, die aber einen großen Seltenheitswert hat. Es ist eben einfach so.

Und nachdem ich noch bis spät am Abend mit dem Reisetagebuch #2 beschäftigt war, kippe ich dann auch mal ins Bett.

Mondkind


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