Reisetagebuch #1 Therapie und Familienbesuch

Es ist knapp halb sechs Uhr in der Früh, als der Wecker klingelt.
So früh habe ich in diesem Monat selten aus der Wäsche geschaut.
Die neue Lampe im Badezimmer ist wirklich heller, als die alte Glühbirne stelle ich fest, nachdem ich ins Badezimmer gewankt bin.
Ich trinke noch schnell einen Kaffee, schmeiße die Sachen ins Auto, mache die Wohnung abflugsbereit (obwohl wir am Abend davor im Arbeitszimmer mit unserer Umbauaktion in der Wohnung vorerst so viel Unordnung gemacht haben, dass das gar nicht ordentlich genug sein kann…) und gegen viertel vor Sieben in der Früh starte ich Möhrchens Motor.

Der Weg führt mich zuerst über die Landstraßen des Umlandes, auf denen es langsam hell wird. Fünf Grad hat es hier heute früh und in den Senken hängt der Nebel fest. Aus den fünf Grad werden – bis ich gegen 11 Uhr über vertraute Straßen düse 25 Grad.
Ich fahre schon mal am Hotel vorbei, erledige den Check In und fahre dann zurück zur Uni. Irgendwie kommt es mir heute vor, als würde aus jedem Gulli ein Auto gekrochen kommen. Es gibt dann auch tatsächlich keine freien Parkplätze an der Uni, sodass mir nichts anderes übrig bleibt, als Möhrchen auf einen recht teuren Parkplatz an der Uni zu stellen.

Ich rase an der Medizinerbibliothek vorbei und ein Mal quer über den Campus, bis ich in der Tagesklinik ankomme. Den Herrn am Empfang kenne ich noch und er begrüßt mich auch gleich mit einem „Hallo Frau Mondkind“. Irgendwie fühlt sich das sehr vertraut und sehr warm im Herzen an, dass die Menschen mich hier noch kennen, obwohl ich schon so lange weg bin. Er schickt mich in den Wartebereich, von dem mich Frau Therapeutin wenige Minuten später abholt. 

Medizinerbibliothek


Sagen wir es mal so: Man merkt eben doch, dass ich mittlerweile nur noch ein oder zwei Mal im Jahr bei ihr auftauche und sie das Meiste nach dem Tod des Freundes – und auch die Zeit unmittelbar danach – nicht mehr so richtig eng miterlebt hat.
Ich bin dennoch sehr, sehr froh, dass ich sie habe. Dass ich sie ein bisschen kenne, mir bei ihr keine Gedanken mehr machen muss, was ich ansprechen kann und was nicht. Wir nehmen positiv wahr, dass das der erste Stellenwechsel ist, der mir keine großen Bauchschmerzen macht. Zwar habe ich bisher weder einen Arbeitsvertrag noch weiß ich, wo ich am ersten Tag zu sein habe – da muss ich nochmal telefonieren, weil sich da trotz mehrfachen Mails und Telefonaten inklusive des Chefs auf Copy zu setzen nicht viel getan hat – aber sonst bin ich da recht entspannt. Es geht noch eine Weile um den Kardiochirurgen und meine Sorgen mit ihm – insbesondere, dass er auch zu der Idee kommen könnte, dass ich in manchen Hinsichten doch beziehungsunfähig sein könnte und er sich dann auch trennen könnte. Das war mir gar nicht so klar, wie sehr mich das emotional beschäftigt. Gerade was das Lieblingsthema mit dem ehemaligen Freund und mir angeht – der Sexualität – da kann ich nicht mehr geben, weil ich einfach keine Ahnung davon habe. Wenn der Kardiochirurg sich darüber genauso aufregt, dann stehe ich auch da auf verlorenen Posten. Frau Therapeutin versucht ein bisschen zu relativieren und erklärt, dass es eigentlich möglich sein sollte, über dieses Thema zu sprechen, Kompromisse und Lösungen zu finden – auch Übergangslösungen – mit denen beide erstmal leben können. Ich spreche auch meine große Sorge an, wieder mal emotional abhängig zu werden, aber auch den Punkt sieht sie nicht so kritisch wie ich. „Ich muss einfach mit mir selbst etwas anfangen können“, berichte ich. „Das kann ja nicht sein, dass mir ein Wochenende komplett um die Ohren fliegt, wenn ich es allein verbringen muss. Und ich weiß, dass ich mich zum Beispiel auch gut mit einem Buch und einem Kaffee irgendwo hin pflanzen kann, aber an solchen Wochenenden komme ich auch nicht zur Ruhe.“ Frau Therapeutin findet aber, dass man logischerweise lieber Dinge mit einem Menschen macht, den man mag und dass das schon erklärbar ist. „Sie sind ja nicht lebensunfähig ohne einen Partner – Sie kriegen es ja alles gut hin – also sind Sie auch nicht abhängig.“ Ich frage mich, ob das nicht ein bisschen zu kurz gedacht ist. Natürlich kriege ich alles hin – das war meine große Stärke. Ich habe immer alles irgendwie geschafft. Aber ist „irgendwie“ ein Maßstab? Es gab viele Wochenenden, an denen ich Sonntagabend geräderter als Freitagabend war und mich die Woche wieder stabilisiert hat, ehe das am Wochenende danach wieder alles los ging. Und das meine ich.

Und trotzdem – sobald es still um mich herum wird, ist es immer noch das alte Überforderungserleben.
Wobei sich eben auch doch viel getan hat, wie Frau Therapeutin heraus kehrt und ich denke, da hat sie auch Recht. Es gibt natürlich große Punkte, die sich wesentlich gebessert haben. Und das ist sicher mein Umgang mit dem Job, Stationswechsel und Dienste machen mir nicht mehr so viel Angst und ich habe mittlerweile eine gewisse Sicherheit und Routine entwickelt, die nicht nur das Selbstwertgefühl steigert und den akuten Stress weg nimmt, sondern dadurch eben auch Energie gibt, die wieder in andere Dinge investiert werden kann. Dass ich es mir heute „leisten“ kann, eine Therapiestunde im Wesentlichen über eine Beziehungssituation abzuhalten, war früher schon irgendwie ein Luxusproblem.
Von daher gebe ich ihr schon Recht – es hat sich viel zum Positiven verändert und gleichzeitig ist es vielleicht doch noch nicht ein „psychisch gesund“.

Nachdem wir sogar eine halbe Stunde überzogen haben, weil es eben doch wichtige Themen waren, laufe ich zurück zum Auto und düse mal in Richtung meines Papas. Ich hatte nur vergessen, dass die Bevölkgerungsdichte um die Studienstadt herum dazu führt, dass die Autobahnen am Nachmittag mal kurzfristig zum Parkplatz mutieren. Statt etwas über einer Stunde brauche ich eher zwei Stunden. Bei meinem Papa gibt es dann erstmal einen Kaffee, wir quatschen ein bisschen und am Abend schmeißt er noch den Grill an. Ich glaube, das ist mein erstes Mal Grillen dieses Jahr. Also sitzen wir dort zu später Stunde – ich schon in zwei Pullis eingepackt – mit Kerzen und – in meinem Fall Grillkäse mit Baguette – im Garten. Und dann ist es auch schon 22 Uhr und ich muss ja noch den ganzen Weg zurück fahren.

Gegen Mitternacht fahre ich durch die dunklen Straßen der Studienstadt und ich glaube, dass es das erste Mal in meinem Leben ist, dass ich zu einer solchen Uhrzeit mit dem Auto dort unterwegs bin. Das Hotel liegt auf dem Weg zwischen Uni und Hauptbahnhof und früher bin ich oft mit der Bahn hier vorbei gefahren; die Haltestelle ist ziemlich genau 20 Meter weiter. Sicher ist mein Blick oft auf dieses Hotel gefallen, ohne dass ich es bewusst wahrgenommen hätte.
In dem Moment wird mir klar, dass sich mittlerweile neue Erinnerungen neben die Alten legen. Ich war nie in diesem Rewe hier an der Straßenecke, obwohl ich ihn oft gesehen habe. Ich bin hier nie mit dem Auto fünf Mal um das Karree gefahren in der Hoffnung, doch eine kleine Lücke für Möhrchen zu finden.
Und an diesem Abend weiß ich noch nicht, wie ich das finden soll. Es gibt wieder Winkel in dieser Stadt, in denen nicht an gefühlt jeder Hauswand der Schatten der Vergangenheit klebt, was die einzige Verbindung war, die wir noch hatten – wenn auch eine ziemlich Schreckliche, aber die schien stärker zu sein, als das was gut war. Ich wollte all die Jahre auch nichts Neues sehen. Die festgelegte Tour ging immer an den bekannten Orten vorbei.

Ich bin um kurz nach Mitternacht zu Hause; Möhrchen darf bis zum nächsten Morgen erstmal auf einem Parkplatz vor dem Hotel stehen – danach kostet er 4,50 Euro pro Stunde… Deshalb beschließen der Mitarbeiter des Hotels und ich schon, dass ich es morgen in die Tiefgarage des Hotels umparke. Das kostet dann halt noch mal 20 Euro pro Nacht. Luxus – Suite für Möhrchen. Oder so ähnlich. Sein teuerster Stellplatz seines bisherigen Lebens glaube ich mal…

Mondkind

P.S.: Die Blogposts werden etwas versetzt kommen... ich hatte und habe hier einfach wenig Zeit zum Schreiben.

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