Reisetagebuch #1

Sonntagmorgen.
Der Wecker klingelt schon um 5 Uhr. Viel zu früh. Nachdem ich am Abend davor noch bei einer Kollegin war und ein Fahrrad, das sie nicht mehr braucht abgeholt habe, damit ich bald auch wieder zur Arbeit radeln kann. Und natürlich bin ich ein bisschen bei ihr versackt. Sie quatscht gern, sagt aber dann und wann dazwischen auch mal ziemlich hilfreiche Dinge. „Mondkind, in der Facharztprüfung musst Du in erster Linie Sicherheit ausstrahlen. Die müssen einigermaßen sicher sein, dass Du keinen Mist machst, wenn die Dich ab morgen in einer Praxis arbeiten lassen. Ich habe mir damals gesagt: Wenn ich die Notaufnahme machen kann und den Oberarzt nicht mehr anrufen muss, dann bin ich soweit. Denn dort siehst Du alles. Die ganze Bandbreite der Neurologie.“ Wo sie Recht hat… und soweit bin ich ja schon fast. Jeder bescheinigt mir, dass ich dort sehr gute Dienste gemacht habe. Wenn ich noch fleißig lerne und noch ein bisschen übe, wenn ich zurück komme…

Aber erstmal hüpfe ich flott unter die Dusche, schmeiße den Teil des Proviantes zusammen, für den ich verantwortlich bin, koche Kaffee, damit ich irgendwie meine Sinne zusammen sammle und bin ab 7 Uhr startklar. Der Kardiochirurg taucht erst um viertel vor acht auf (ein bisschen damit gerechnet habe ich, deshalb kann ich noch einigen Kleinscheiß erledigen und sogar noch zwei Überweisungen machen, die sonst bis nach dem Urlaub hätten warten müssen), und um acht Uhr sitzen wir im Auto. 


Bitte wie krass ist das? Das letzte Mal, als wir mit dem Auto so weit gefahren sind – das muss noch gewesen sein, bevor die Familie auseinander gefallen ist. Die Fahrten nach Italien. (Da wusste ich noch nicht, dass wir heute Italien streifen…). De ersten Teil der Strecke fährt er. Nach drei Stunden haben wir kilometertechnisch schon fast die Hälfte der Strecke geschafft. Wir machen die erste Pause und essen ein paar Brötchen. (Selbst das ist wie früher. Ein paar Brötchen mit den Resten, die im Kühlschrank noch zu finden waren). Danach bin ich dran mit fahren. Ich fahre ja nicht so gern mit dem Auto des Kardiochirurgen, allerdings kommt es mir sehr gelegen, dass wir recht bald Österreich erreicht haben und dort steht auf dem meisten Strecken ein 100 – Schild und in den ganzen Tunneln darf man auch meist nur 60 fahren. Das verringert unsere Reisegeschwindigkeit massiv, aber ich komme gut zurecht mit dem Fahren und der Kardiochirurg schläft anderthalb Stunden neben mir.
Allerdings ist man auch nicht nur mit Fahren, sondern auch gut mit raus schauen beschäftigt. Die Landschaft ist so wunderhübsch. Auf den Bergen liegt noch viel Schnee, teilweise bis runter ins Tal. Und irgendwie fühlt es sich verdammt nach Urlaub an. Ich habe so lange nicht mehr die Regionen verlassen, die ich kenne.

Ich glaube, uns fallen heute beide streckenweise fast die Augen zu am Steuer. Wir sind schon ein Gespann. Ich habe drei Dienste in einer Woche gemacht, er kommt gerade aus seinen Nachtdiensten. Die letzte Woche war für uns beide keine Einfache. 

Pause in Österreich


Ich wusste nicht, dass wir auch kurz durch Italien fahren werden. Kurz vor der Grenze tauschen wir wieder und der Kardiochirurg fährt uns über den Pass am Dreiländereck. Zwischendurch halten wir an und müssen Fotos machen. Und da kommt mir der Gedanke, wie schön es doch wäre, wenn wir einfach hier irgendwo bleiben könnten. In einem kleinen Ferienhaus und jeden Tag ein bisschen durch die Berge spazieren könnten. Gemeinsam. Ich befürchte nämlich, ab morgen ist die Idylle hier vorbei und ich muss mich alleine beschäftigen.
Draußen hat es fast 30 Grad. Am Abend davor hat der Kardiochirurg noch ermahnt, dass wir schließlich in die Berge fahren und ich doch bitte noch ein paar dicke Pullover rein schmeißen soll – eine kurze Hose habe ich aber nicht dabei. Wenigstens habe ich meine Stoffschuhe und ein paar T – shirts eingepackt.
Hinter der slowenischen Grenze sind es eigentlich nur noch rund 60 Kilometer, aber die ziehen sich durch die Berge noch sehr lang und um kurz nach 17 Uhr sind wir dann endlich da. In einem kleinen Ort, der aus einer Straße und ein paar Häusern besteht und am Ende des Ortes gibt es noch eine Pizzeria.

Es ist so schön... ;)


Im Haus angekommen packen wir erstmal unsere Sachen aus, danach spazieren wir ein Mal durch den Ort. Wir sind die Ersten, wurden aber auch schon aufgeklärt, dass noch drei weitere Paraglider kommen und die Jungs zu Viert sein werden. Als wir von unserem Spaziergang zurückkommen, ist gerade der Zweite angekommen. Da sind wir vier Leute und er stellt sich ausgerechnet mit dem Namen des verstorbenen Freundes vor. Jo… - gutes Übungsfeld für die Woche, fällt mir ein. Seinen Namen in Erzählungen erwähnen, kann ich mittlerweile ganz gut, aber wirklich Jemanden mit dem Namen angesprochen habe ich erst ein Mal auf der Intensivstation. Da hieß ein Pfleger so. Es gab ein Mal eine Situation, da brauchte ich ganz genau ihn in einem Raum voller Menschen. Das war immer noch ein komisches Gefühl. Auch, nach all den Jahren noch. Aber wenn ich mit ihm sprechen möchte diese Woche, muss ich mich da vielleicht dran gewöhnen.

Als die anderen da sind, beschließt die Brigade, dass sie Hunger hat und das Briefing in der Pizzeria abgehalten wird. Also laufen wir dahin.
Puh, das ist ein Haufen. Zwei davon mit einem ziemlich hohen Geltungsbedürfnis und dezent narzisstisch drauf – die haben sich echt den ganzen Abend gegenseitig hochgeschaukelt. Das war hart an der Grenze des Aushaltbaren und wir waren zusammen mit dem Fluglehrer nur sechs Leute am Tisch. Die Pizza war ziemlich gut. Es hat sich aber schon sehr komisch angefühlt als einziges Mädel und als einzige weibliche Begleitung und als Einzige, die nicht fliegt, mit in der Runde zu sitzen. Und mitreden konnte ich natürlich auch nicht. In der Zeit ist mir schon bewusst geworden, dass das bisweilen auch eine schwierige Woche werden wird. Die werden sich im Lauf der Woche gut kennen lernen, viel Zeit miteinander verbringen und ich werde sehr viel Zeit mit mir verbringen. Ich hatte das eigentlich so verstanden, dass die nächste Stadt fußläufig entfernt ist, aber das ist schon mal nicht der Fall. Es gibt genügen „slaps“ hier in der Nähe, die ich vielleicht alle im Lauf der Woche sehen werde. (Slap heißt Wasserfall auf slowenisch ;) ). Aber so grundsätzlich… ich meine, es ist eine super schöne Landschaft hier, es blühen so viele Blumen, es ist so warm hier, dass man locker ins kurzen Sachen draußen sein kann (bloß gut habe ich eine beige Hose mitgenommen, die man ein bisschen hochkrempeln kann), aber ich bin halt alleine.

Am Abend gehen wir dann auch recht früh schlafen, weil wir beide immer noch müde sind. 


In dem Haus links wohnen wir... ;)

Montag.
Frühstück gibt es halb 9. Die anderen Beiden geben schon wieder ihre Stories zum Besten (wieso brauchen Menschen eigentlich immer nur einen halben Tag, bis sie bei ihrer Krankheitsgeschichte angekommen sind und die wissen nicht, dass wir Ärzte sind…), deshalb beeilen wir uns. Die anderen brechen dann schon kurz nach neun Uhr auf.
Und dann passiert das, was ich geahnt hatte. „Mondkind, ich lasse den Autoschlüssel da, du kannst Dir das Auto nehmen, wenn Du willst.“ Ich meine, das ist super lieb – wirklich. Aber die Straßen hier sind bisweilen sehr speziell, ich habe nicht mal Ahnung, wie man hier Hilfe organisiert, wenn wirklich etwas passiert und wenn ich sein Auto kaputt fahre, kommen wir auch nicht nach Hause. Und ich bin mit Schaltwagen einfach nicht so sicher. Ich frage mich dennoch, ob ich mich diese Woche wohl (vielleicht auch entgegen aller Vernunft?) überwinden sollte. Denn sonst wird hier nicht viel passieren mit mir, denke ich. Eventuell nimmt er aber auch das Auto ab morgen mit, sagte er... mal sehen... dann muss ich gar nicht mehr nachdenken. Auf jeden Fall gibt es für Euch genug Kapazitäten für einen kleinen Reiseblog...
Ich meine… - ich kann mich beschäftigen. Ich habe den Laptop dabei, ich habe eine Lesebuch dabei und ich habe Neuro – Sachen dabei. Aber ich würde so gerne ein bisschen was sehen.

Mal schauen, wie es hier so weiter geht.
Erstmal ist der Freund heute mit dem Typen, der so heißt wie der verstorbene Freund los gezogen. Komisches Gefühl, die beiden im Auto los fahren zu sehen.
Irgendwie schließen sich Kreise. Immer.

***
Was mich auch noch ein bisschen umtreibt, ist das Gespräch mit dem Psychologen von Freitag.
Freitagabend.
Im Halbdunklen.
Blick über den Kurpark von einer Seite, die ich bis dato noch nicht gesehen habe.
„Ich weiß nicht, was ich die zwei Jahre danach gemacht habe, ehrlich gesagt.“
„Wahrscheinlich irgendwie Deine Depression in den Griff bekommen.“
„Ich kann mich jedenfalls an wenig erinnern. Und weiß, dass es so oft ein Hangeln von Tag zu Tag war.“
„Das glaube ich Dir.“

So mitfühlend. So selbstverständlich. Selten so erlebt.
So ganz ohne Rechtfertigung.
Kein „ja wie es kann es denn sein Mondkind, dass Du Dein Leben danach dezent nicht auf der Kette hattest?“
Es gibt Momente, in denen könnte ich weinen vor Dankbarkeit in dieser Geschichte. Das war einer davon.


Mondkind



Kommentare

  1. Das hört sich mehr nach SEINEM Urlaub an, den du als Deko begleitest, als nach gemeinsamer freier Zeit…

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