Reisetagebuch #4

 Zurück zu Hause.
Auf der Spüle steht die Kaffeetasse, aus der ich am Morgen vor der Abfahrt noch einen Kaffee getrunken hatte. Die steht jetzt wieder neben mir. Mit einem frischen Kaffee. Weil es nie zu spät für Kaffee ist. Im Keller wäscht die erste Maschine Wäsche.

Crazy, was hier die letzten Tage los war. Völlig verrückt. Neben der Zeit. Wahrscheinlich wird es ein paar Tage und Wochen dauern, bis alles verarbeitet ist. Auf die positivste Weise.

Samstag.
Bis zum Abend war es eigentlich zunehmend etwas frustrierend. Ich hätte mich beschäftigen können – ja. Und immerhin habe ich das erste Mal dieses Jahr völlig bewegungslos in der Sonne gebrütet, bis mir so heiß geworden ist, dass ich sie verlassen musste. (Sonst hätte ich mir auch einen Sonnenbrand eingefangen und länger als 25 Minuten waren es auch nicht). Ich hätte auch alleine nochmal zum Fluss laufen können, mein Buch lesen können, im Zweifel sogar Pharma lesen können, aber das eigentliche Problem war, dass es unser letzter gemeinsamer Tag war und ich vom Kardiochirurgen bis dato kaum etwas gesehen habe.
Der kam dann abends um 19 Uhr auch mal an und meinte, dass er am Nachmittag einen extra langen Flug für einen Schein gemacht hat, den er jetzt fast fertig hat. Alle anderen Mitglieder der Gruppe haben sich bis zu diesem Abend schon auf die Heimreise gemacht und deshalb blieben nur noch wir beide übrig. Das war unser erster gemeinsamer Abend alleine in diesem ganzen Urlaub. Den haben wir genutzt, um in ein mit dem Auto etwa 20 Minuten entfernt liegendes Dorf zu fahren. Ich hatte ehrlich nicht erwartet, dass es dort so hübsch ist. Mit den ganzen kleinen Gassen hat es mich eher an ein kleines italienisches Dorf an der Küste erinnert und passend dazu gab es am Fluss noch einen relativ breiten Strand. Dort Hand in Hand hindurch zu schlendern war so viel Ruhe für das Herz und für die Seele. Und dann haben wir in einem richtig guten Restaurant zu Abend gegessen. Einfach mal nur wir Zwei, während es draußen noch richtig warm war. Sommerurlaub – Feeling pur. Es gibt Momente, die sollten sich wie Tattoos in die Seele einbrennen und das wäre einer davon.
Wieder zurück in der Unterkunft mussten wir noch ein bisschen packen und dann lagen wir kurz vor Mitternacht in den Betten. 





Sonntag.
Um kurz nach acht Uhr in der Früh brechen wir auf und werden die nächsten acht Stunden im Auto sitzen. Ich muss auch ein Stückchen fahren – was ehrlich gesagt ziemlich stressig ist. Am Anfang sind wir noch in Österreich und in den ganzen Tunneln darf man ja ohnehin nur 60 oder 80 km/h fahren, aber als es dann etwas unübersichtlicher wird, wird auch wieder deutlich, dass er der Sohn eines Fahrlehrers ist. Irgendwann muss ich ihm sagen, dass er einfach seine Schnute halten soll, wenn ich fahre – sonst muss er es halt selbst machen, aber so richtig etwas bringt das auch nicht.
Um kurz nach 17 Uhr kommen wir jedenfalls wohlbehalten wieder zu Hause an.

***
In manchen Hinsichten war dieser Urlaub eine emotionale Achterbahnfahrt.
Ich glaube, es ist nicht gelogen, wenn ich sage, dass ich seit über zehn Jahren den Süden nicht mehr gesehen habe. Und ich vermute, dass es sogar mehr Zeit war, weil das voraussetzen würde, dass ich kurz vor meinem Auszug von zu Hause nochmal unterwegs gewesen wäre; ich kann mich da aber an nichts erinnern.
In der Früh mit einer Palme vor dem Fenster aufzuwachen ist also etwas, das sehr, sehr lange her ist. Und somit ist da richtig etwas passiert in der letzten Woche.

Ein wenig sind diese Tage wie eine unendliche Reizüberflutung gewesen. Es gab jeden Tag etwas Neues zu sehen und zu entdecken – mal war es eine Wanderung in die Berge, mal waren es die Höhlen, mal war es ein Bad im Fluss, oder dass ich zum ersten Mal einen Paragliding – Schirm halten durfte. Es gab kaum Zeit ein Erlebnis zu verarbeiten, da kam das Nächste ums Eck. Das habe ich auch gemerkt zwischendurch, dass mir ein bisschen mehr Ruhe streckenweise gut getan hätte.
Und gleichzeitig war es so eine Stille in der Seele. Es gab kein „Du musst noch dieses oder Jenes schaffen bis…“ So, wie es im Alltag ständig ist. Es war ein permanentes Gleiten von einem Moment in den Nächsten, von einem Erlebnis ins Nächste ohne ein Müssen dazwischen. All die innere Anspannung, all dieses „ich muss so unendlich viel tun für die wenigen guten Momente“, was insbesondere in den Wochen und Monaten vor diesem Urlaub so war (und mit Sicherheit zurückkommt), war mal nicht da. Und das hat diese permanente Wut, die ich so viel hatte in letzter Zeit, gut runter reguliert.

Und was auch mal nicht da war, war dieses permanente Fehlen.
In gewisser Hinsicht bedeutet das Ende des Urlaubs ja nicht nur eine Ende des Urlaubs – was ich schon als Kind immer irgendwie schwierig fand – sondern auch ein Ende von unserem „Wir“. Ich glaube, seitdem der Kardiochirurg und ich sich kennen hat es das nie gegeben, dass wir sieben Tage am Stück nebeneinander eingeschlafen und aufgewacht sind. Und ich kann gar nicht in Worte fassen, wie schön das ist, wie viel Ruhe es bringt, wenn ich neben ihm einschlafen darf und aber nicht weiß, dass das jetzt gerade einer dieser zwei Tage im Monat ist, auf die es oft hinaus läuft, sondern, dass es morgen auch noch so ist. Dass ich nicht heute schon traurig sein muss, weil ich morgen wieder alleine bin, sondern, dass ich jetzt mal aufhören darf die Tage zu zählen und mich darauf verlassen darf „es ist noch eine Weile, bis dieser Zustand wieder aufhört.“
Ich hatte schon ein bisschen Sorge, wie das werden wird mit uns im Urlaub – insbesondere, da die letzte Zeit so schwierig war. Aber es stellt sich immer wieder heraus: Der Alltag ist das Problem. Den kriegen wir nicht auf die Reihe. Oder ich. Weil ich eben nur so schwer leben kann mit diesem „Naja keine Ahnung, wann wir uns wieder sehen.“ Ich weiß nicht, ob wir noch eine gemeinsame Nacht haben bis zum Ende des Monats und wenn wir Pech haben (und das haben wir meistens), dann war diejenige gestern die letzte gemeinsame Nacht bis zu meinem Geburtstagswochenende. Zumindest gehe ich schwer davon aus, dass es da klappen wird. Und wie das diese Woche wird, weiß auch noch keiner. Vielleicht sehen wir uns morgen zum Abendessen (obwohl ich wahrscheinlich nicht mal eingekauft haben werde, weil ich morgen Abend erstmal noch einen Termin habe und kurz vor 20 Uhr erst da sein werde). Vielleicht sehen wir uns aber auch die nächsten Tage gar nicht mehr.
Irgendwie ist es verwirrend zu realisieren, wie gut das eigentlich klappt mit uns. Im Urlaub gibt es eigentlich nie Probleme. Es herrscht jetzt nicht immer unbedingt grenzenlose Harmonie, aber wirklich streiten tun wir uns nicht und wütend bin ich meistens auch nicht. Höchstens mal kurz. Aber der Alltag stellt uns scheinbar vor diese schwer zu lösende Aufgabe. Dass ich über dieses permanente Fehlen wütend werde, dass es ihn nervt und dass wir uns beide in einer Spirale wiederfinden, die irgendwie ungesund ist.
Und irgendwie versuche ich immer noch heraus zu finden, ob das vielleicht irgendwie mein Ding ist, dass er mir ständig so sehr fehlt und ob ich da irgendwie falsch bin, oder ob das so okay ist.
Und manchmal stelle ich auch immer noch fest, dass ich das eigentlich in dem Ausmaß nicht von mir kenne. Und manchmal frage ich, ob der Mensch sich irgendwie ändert, ob ich jetzt vielleicht ein Alter erreicht habe, in dem so eine „Teenie – Beziehung“ einfach nicht mehr genug ist, oder ob eben das prägt das wir erleben und ich diesen Alltag, den ich mir heute so sehr wünsche damals um einen Monat verpasst habe und vielleicht die Sorge besteht, es nochmal nicht bis dahin zu schaffen.

Aber weißt Du manchmal – manchmal finde ich es immer noch ziemlich unbegreiflich. Was aus diesem ersten Blickkontakt im CT geworden ist. Aus den ständigen Ping – Pong – Anrufen mitten in der Nacht mit klopfenden Herz, in denen wir uns am Ende doch immer verpasst haben. Aber mir ist immer ein Lächeln über die Lippen gehuscht in dieser Spätdienstwoche damals, wenn ich gesehen habe, dass mein Telefon blinkt, wenn ich auf die Arbeit kam und schon geahnt habe, dass wir uns wieder verpasst haben.
Und manchmal denke ich, das ist irgendeine merkwürdige Mischung. „Wer nichts hat, kann nichts verlieren“, war sehr lange das Credo, mit dem ich geglaubt habe gut zu fahren. Nur irgendwie bin ich das nicht. So retrospektiv. Das hört sich von Jemanden, der bald gerade mal 31 Jahre alt wird wahrscheinlich unglaublich naiv an, aber ich hätte nicht gedacht, dass noch mal so viel Liebe für ein männliches Wesen in mein Herz passt. Und gleichzeitig so viel Angst.
Es waren immer die Menschen, die nicht gehen sollten. Nicht gehen durften. Als absolutes Papa – Kind durfte der Papa natürlich nicht gehen. Und als Erwachsene resettet man sich irgendwann und dann war es der verstorbene Freund. Das wurde letztens im Freitagabend – Gespräch mit dem psychologischen Kollegen nochmal so deutlich. „Er war der Mensch, der Dich am besten kannte, oder?“, hat er gefragt. Und ich habe genickt. „Was hätte er denn gesagt, sollst Du mit dieser ganzen beruflichen Situation jetzt machen?“, hat er gefragt und an seiner Zigarette gezogen und in dem Moment habe ich so eine tiefe Dankbarkeit gespürt, dass er mich da so genommen hat. Und tatsächlich fehlt das bis heute. Dass Dich Jemand bis in den letzten Winkel Deiner Seele kennt. Und ich bin da nicht so verschlossen und nicht Diejenige, die eben einfach nichts erzählt, aber manche Dinge muss man gemeinsam erlebt haben, um sie zu verstehen.

Und weißt Du – was ich aber sagen will: Wenn Menschen gehen, mit denen Du so ein enges Band hast, dann ist das nicht nur der Mensch der geht. Klar, ich werde den verstorbenen Freund für immer vermissen, aber ich meine etwas, das sich irgendwie viel tiefer in die Seele brennt und dabei nur eine Spur hinterlässt, sodass es kaum greifbar ist, bis es sich tief eingegraben hat.
Wenn solche Leute gehen, verlierst Du unweigerlich einen Teil von Dir selbst. Zumindest habe ich das so erlebt. Das Leben war nie wieder dasselbe und wird nie mehr dasselbe sein und das betrifft nicht die äußeren Umstände, oder das Fehlen von diesem Menschen, das betrifft Dich selbst.
Ich kann mich gut erinnern, dass ich irgendwann mal geschrieben habe: „Und am Ende schwingt in jedem guten Moment ein leises „Warum?“ mit.“ Ich glaube, ich würde dem gern etwas hinzufügen. „Am Ende schwingt in jedem guten Moment ein „ich hoffe, das muss jetzt nicht für immer reichen“ mit.“ Und ja, ich hab ein Gehirn. Und ja ich weiß, es kann auch dieses eine Mal anders sein. Und ich finde, ich hätte das mehr als verdient. Und gleichzeitig brennen die Narben eben auf der Seele und manchmal gerade dann am Meisten, wenn es am Schönsten ist. Weil Du Dich dann nicht mehr raus reden kannst. Weil Du dann nicht mehr sagen kannst: „Es wäre okay.“
Es wäre nicht okay. Deine Seele weiß das. Und jedes gemeinsame Erleben ist auch ein gemeinsames Kennenlernen. Nicht nur ein Gegenseitiges, sondern auch eines der Welt.

Keine Ahnung, ob irgendwer irgendetwas versteht. Ich weiß nicht mal, ob ich das selbst verstehe.
Irgendwie ist es so viel. Aus positiven Eindrücken, neuen Erinnerungen, Erlebnissen, ein bisschen Wehmut, Erinnerung an das Alte und einer gehörigen Portion Angst.


Mondkind

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