Turbulente Tage vor dem Urlaub

Wir stehen hinter der Klinik. Der Psychologe und ich. Im Dienst. Spät abends. Er raucht und ich lehne neben ihm an der Wand.
„Und jetzt, willst Du Dich auskotzen?“
„Naja, wahrscheinlich darf die Chefin ja das Personal hin und her schieben, wie sie will. Ich weiß, ich soll das nicht persönlich nehmen, aber…“
„Es geht Dir nicht gut damit.“
„Ich fühle mich wie so eine Pflanze…“
Er lacht.
„Nein ernsthaft – das war schon in der Neuro so. Alle paar Monate war ich woanders. Umgetopft. Wir haben letztens einen Zettel von unserem Neuro – Chef bekommen und sollen aufschreiben, wo wir bis zum Facharzt überall gearbeitet haben. Bei mir reichen die Zeilen nicht und ich war nur vier Jahre da.“
Ich schweige eine Weile.
„Es ist voll übertrieben, aber es fühlt sich jedes Mal an, als würde ich einen Teil von meinem zu Hause verlieren.“
„Was würdest Du denn jetzt die Patienten fragen?“
„Woher kennen Sie das?“
„Ja, und?“
„Naja, ich hab da schon so meine Biographie.“
„Das denke ich doch. Und Mondkind, es darf Dir damit scheiße gehen. Lass es raus. Kein „es müsste aber“ und „ich sollte aber“. Das ist Deine Realität. Und die darf da sein. Das erwarten wir auch von unseren Patienten, dass die das so machen. Mach es auch. Natürlich nicht hier und jetzt, aber Du darfst weinen darüber. Das ist okay.“
 
Irgendwann später im Verlauf.
„Ich glaube der Wechsel zurück in die Neuro wird ein kleiner mental breakdown…“ (Oder ein Großer)
„Das denke ich auch.“
„Irgendwie habe ich die Idee, dass es nur noch eine kurze Stippvisite zurück in der Neuro wird, aber ich befürchte, das klappt alles nicht wie ich mir das vorstelle und dann werden es doch eher Jahre.“
„Naja, wenn Du vorhast den Facharzt in Vollzeit zu machen, sicher schon.“ (Ich war am Dienstag beim Chef gewesen und er ist keinen Millimeter auf mich zugekommen hinsichtlich der Frage, mich entweder ein paar Monate Teilzeit arbeiten zu lassen, oder mir unbezahltes frei ein paar Wochen vorher zu geben).
„Vielleicht kann ich mit dem Chef nochmal neu verhandeln.“
„Oder endlich mal das machen, das Dir Spaß macht. Du kannst ja versuchen den Facharzt von hier aus zu machen. Wenn es klappt, gut. Und wenn nicht, dann nicht. Du brauchst ihn nicht, wenn Du es eh nicht machen willst. Und wenn Du es doch machen willst, durchfällst und der Chef Dich nicht zurücknimmt und Du noch mal für ein paar Monate in eine andere Neuro musst: Nimm Dir irgendwo ein Zimmer und lern eine neue Stadt kennen. Ich denke, Du hast genug Geld auf dem Konto.“
„So habe ich darüber noch nie gedacht…“
„Weißt Du Mondkind, ich mache nur noch das im Leben, das mir Spaß macht, oder was ich gerade für sinnvoll halte. Und ich umgebe mich nur noch mit den Menschen, die mir gut tun. Und ich fahre ganz gut damit.“

 
***
Stunden davor.
Ich habe meine Oberärztin um ein Ohr gebeten. Die ist  heute ausnahmsweise zum Freitagnachmittag da, normalerweise hat sie frei. „Können sie nach dem Großteam kommen?“, hat sich mich schon direkt nach der Mittagspause abgefangen. „Kann ich machen“, habe ich entgegnet.
Danach bin ich aber erstmal dem Psychologen in die Arme gelaufen. „Hey Mondkind, da ist man ein Mal zwei Tage nicht da und dann kommt man wieder und hört das“, sagte er. „War nicht meine Idee“, habe ich entgegnet. Aber wir haben festgestellt, dass wir zusammen Dienst haben und später noch sprechen werden.
 
„Es geht darum, dass Sie gehen, oder?“, fragt mich die Oberärztin, kaum dass ich einen Fuß in ihr Büro gesetzt habe.
„Ich bin absolut nicht begeistert davon“, erkläre ich.
„Das kann ich mir vorstellen“, entgegnet sie.
Wie das gelaufen ist, will sie wissen. Ich erkläre, dass die Chefin mich am Mittwoch ganz schnell sehen wollte und mir dann erklärt hat, dass meine Gruppe geschlossen wird und ich den Chefarztbereich wechseln muss. Und, dass ich überhaupt nicht darauf vorbereitet war und es so sehr hasse, ständig umhergereicht zu werden. Sie würde mich gern behalten, sagte sie. Sie habe schon viele Assistenten gesehen, aber ich würde meine Sache wirklich immer gut machen, man könne sich darauf verlassen, dass die Dinge umgesetzt werden. Auch ihr sei nichts gesagt worden, sie hätte schon gesagt, dass sie mich behalten möchte. Sie habe es erst von der Kollegin erfahren, der ich es danach gesagt hatte.
Am Ende beschließt sie, sie möchte nochmal versuchen mit der Chefin zu reden – vielleicht kann sie sie davon überzeugen, dass ich bleiben darf.
Stunden später am Nachmittag stellt sich heraus, dass die Chefin sich nicht erweichen ließ, aber es berührt mich sehr, dass sie sich für mich bemüht hat und da in die Auseinandersetzung gegangen ist.
 
***
Ich stecke am Nachmittag nämlich in der Fortbildung. Ich weiß auch nicht, warum ich mich dafür angemeldet habe. Heute ist Fallbesprechung. Jeder darf die schwierigen Fälle aus der Gruppe ansprechen und dann werden sie im gemeinsamen Brainstorming bearbeitet. Und weil wir heute nur zu fünft sind, kommt jeder dran. Und ich komme auch mal dazu, meine erste Patientin vorzustellen. Insgesamt ist die Fortbildung auch echt gut. So Fallvorstellungen können auch echt langweilig werden, aber der Dozent ist sehr gut, gibt viele Impulse und irgendwie kann ich echt aus jedem Fall etwas mitnehmen.
Zwischendurch ist Übergabe und die Oberärztin fängt mich nochmal ab – deshalb komme ich später zurück als vereinbart.
„Wie geht es Ihnen?“, fragt der Seminarleiter, als ich mich leise wieder reingeschlichen und auf meinen Platz gesetzt habe. Ich schaue ihn ein bisschen verwirrt an. „Ihre Kollegen machen sich Sorgen, weil die wissen, dass es um eine klinikinterne Versetzung geht.“ „Naja, es ist schon okay, Danke“, entgegne ich. 

Kürzlich, als ich auf Möhrchen im Autohaus gewartet habe...


***

Wieder spät abends draußen. Mit dem Psychologen.
Zwischendurch wird mir klar, wie krass das ist. Ich glaube, es ist der erste wärmere Abend. Und ich stehe hinter der Psychosomatik. Mit Diensttelefon in der Tasche meiner Jacke. Mit Namensschild an meinem Pullover. Ich bin hier und mache das, was ich so lange tun wollte. Es riecht minimal nach Sommer. Erste Ausläufer. Und vielleicht werden wir hier abends noch öfter stehen.
„Mondkind, das hat nichts mit Dir zu tun. Das war Ausschlussprinzip.“
„Weißt Du was…?“
„Was…?“
„ich weiß, ich soll das nicht machen, aber ich stelle meine Kompetenz schon etwas in Frage. Es ist nicht nur so, dass das Gespräch beim Chef nicht so gut gelaufen ist in der Neuro, es ist auch so, dass ich einem meiner Oberärzte über den Weg gelaufen bin. Und nachdem ich ihm erzählt habe, dass es mir nach wie vor gut gefällt in der PSK und ich jetzt ärztlich und therapeutisch eine Gruppe betreue, hat er mir zu verstehen gegeben, dass es mich für keine gute Therapeutin hält.“
„Ja aber Mondkind, er ist Dein Oberarzt, er kennt Dich nicht, er weiß nicht, was Du hier machst. Die Chefin bescheinigt Dir ein Talent, die Oberärztin mag Dich und der Supervisor hat Dich in den Himmel gelobt.“
„Doch, er kennt mich ein bisschen.“ Ich bin eine Weile still. „Es ist ne ganze Menge Mist passiert.“
Er schaut mich lange an. Raucht mittlerweile die dritte Zigarette. Oder die Vierte?
„Ich bin mit einem Todesfall überhaupt nicht zurechtgekommen. Und dann hat man mir Inszenierung der Geschichte und weiß ich nicht was unterstellt. Und ich weiß, dass er das darauf münzt. Ich war danach halt wochenlang weg und konnte nicht zur Arbeit.“
„Scheiße Mondkind.“ Und nach einiger Zeit. „Wer?“
„Mein Freund.“
„Mondkind, solche Kommentare kannst Du einfach mal aus Deinem Gehirn streichen. Bitte. Das macht Dich nicht zu einer schlechteren, sondern zu einer besseren Therapeutin.“
„Das versuche ich mir auch zu sagen. Ich hab da echt lange dran gezweifelt. Aber irgendwie… - so dieses Umschieben in den anderen Chefarztbereich, dieses Kommentar vom Oberarzt und dann, dass es mit dem Neuro – Facharzt auch nicht so einfach wird. Manchmal kommen da echt diese alten Dinger durch. Ich weiß, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Aber manchmal fühle ich mich so unsicher, so alleine und verloren mit der Situation.“
„Ich glaube, dass da ganz viel Wut ist.“
„Vielleicht auch das, ja.“
„Mondkind nochmal – das darf alles da sein. Du musst es Dir aber selbst erlauben. Denn es ist ja da. Nichts überspielen, okay?“
Ich nicke.
„Und… - willst Du in so einem entwertenden Umfeld weiter arbeiten?“, fragt er.
„Naja, das habe ich mir auch schon überlegt. Früher habe ich das gar nicht so mitbekommen, da habe ich das alles geschluckt, was die gesagt haben. So nach dem Motto „muss schon richtig sein und ich bin falsch.“ Aber das ist nicht richtig so. Ich habe echt bemerkt, dass ich meine Grenzen so sehr spüre und dass alle Alarmglocken los gehen, wenn ich da oben bin. Ich glaube, die sehen mich gar nicht als Menschen. Das geht vielleicht auch einfach nicht, weil der Stress da oben so hoch ist, dass man alles nur um sich herum verteilt. Ich vermisse die ZNA wirklich. Aber ich habe den Eindruck, ich kann und will in so einem Umfeld nicht mehr auf Dauer arbeiten.“
„Klingt zumindest ziemlich anstrengend.“
Und dann beschließen wir, weiter zu arbeiten. „Danke Dir“, sage ich. Er nickt. „Eigentlich wollte ich hier mache Dinge nie erzählen.“ „Und am Ende sind wir doch alle Menschen“, sagt er. „Es macht Druck, oder?“, fragt er, als wir wieder drinnen sind. „Schon, ja“, entgegne ich.

 
***
Was für eine krasse letzte Arbeitswoche.
So viel passiert.
Und obwohl ich erst gesagt habe, das ist auch nicht besser als auf der Neuro hier mit diesem Geschiebe, muss ich das doch etwas revidieren. Was habe ich für coole Kollegen? Eine Oberärztin, die sich noch mit der Chefin auseinander setzt, dabei können die beiden sich gar nicht so gut leiden. Einen Kollegen, der mir abends zuhört, validiert und mich so sehr sieht.
Das berührt mich sehr.
 
Und dann… - dann ist jetzt Urlaub.
Der Kardiochirurg und ich fahren wahrscheinlich morgen nach Slowenien. Er geht paragliden und ich… werden wir sehen. (Leute die gar nichts können, dürfen da auch nichts machen). Ich habe mir die Internetseite, auf der diese Flugreise angeboten wird, auch mal angesehen. Immerhin hat man für die „nicht fliegende Begleitung“ mitgedacht und es gibt allerhand Alternativprogramm. Und ein bisschen Neuro sollte ich auch machen; ich werde mal das ein oder andere Buch rein schmeißen. Ich habe dem Kardiochirurgen aber gesagt, dass wir trotzdem Zeit miteinander verbringen müssen. Es kann nicht sein, dass er den ganzen Tag in der Luft hängt – wir hatten so wenig Paarzeit mit seinen unabänderlichen 80 – Stunden – Wochen in den letzten zwei Monaten, dass ich das nicht tolerieren kann, wenn das jetzt wieder nicht klappt. Dann war es das erste und letzte Mal, dass wir auf Paragliding – Reise gehen.
Aber immerhin ist das meine erste Auslandsreise seit…? Keine Ahnung.

Heute gibt es aber erstmal noch zu tun. In der Neuro habe ich ja mal Studien gemacht – da kommt nächste Woche die Endabnahme und die brauchen noch eine Kopie von der Approbation. Also fahre ich nochmal in die Klinik, kopiere das Papier und gebe es in die Hauspost. Ich muss auch noch eine schnelle Übergabe schreiben. Da wir erst Sonntag wieder kommen und ich Montag erstmal einen Termin am Abend habe, muss ich auch noch irgendetwas einkaufen, das sich erstmal hält im Kühlschrank. Dann wollte ich noch in die Stadt und ein Buch in der Buchhandlung kaufen. Für den Urlaub. Gepackt werden muss auch noch und nachdem ich einer Kollegin von meinem geklauten Rad erzählt habe, hat sie noch ein nicht mehr gebrauchtes Fahrrad in der Garage entdeckt, das ich heute abholen möchte. Zudem muss die Bude noch abflugsbereit gemacht werden und mit drei Diensten in einer Woche ist da auch nicht viel gelaufen.

Ich nehme den Laptop mit, denke ich. Wenn das alles ins Auto passt; alleine seine Ausrüstung nimmt so viel Platz weg. Aber ob ich Internet und Zeit für ein Reisetagebuch habe, weiß ich nicht.

Mondkind


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