Wochenstart nach dem Urlaub

Montagmorgen.
Der Wecker klingelt zu früh, aber es ist bedeutend heller morgens nach einer Woche Abwesenheit.
Auf dem Weg zur Arbeit fällt mir auf, dass die Knospen der Kastanienbäume aufgebrochen sind und ein zartes Grün die Äste umspielt. Es ist ein bisschen merkwürdig diese Tage verpasst zu haben. Dadurch, dass sich die Natur so geändert hat in diesen wenigen Tagen kommt es mir so vor, als sei ich viel länger weg gewesen, als das eigentlich der Fall war.
 
In den Fluren der Klinik steht die Luft ein bisschen.
Man kann erahnen, dass der Sommer auch hier letzte Woche durch die Gänge geweht ist.
Heute ist es grau draußen. Zwar noch recht warm, aber grau und irgendwie liegt eine seltsame Stimmung in der Luft.
 
Ich spüre eine Menge Traurigkeit in mir und irgendwie fühlt es sich ein bisschen an, wie damals in den Psychiatrie – Zeiten. Diese Morgen, in denen ich den Sommer fühlen konnte, den ich aber doch nicht zu leben vermochte. Ich habe zu viele Sommer dort verbracht.
Es war eine eigenartige Ruhe in Zeiten, in denen eigentlich nichts ruhig war. In denen ich mich irgendwie völlig raus aus dem Leben katapultieren musste, um irgendwie zu überleben – vielleicht in der stillen Hoffnung, dass die Dinge sich von allein beruhigen würden, bis ich zurückkomme.
Und irgendwann realisiert man, wenn man wieder zurück im Alltag ist – und so ist es auch jetzt irgendwie: Das Nervensystem ist mal ein bisschen runter gefahren, aber das Chaos ist immer noch in großen Teilen da. Ich gehe immer noch weg aus meiner Sektion in zwei Wochen. Es gibt immer noch keinen Plan für den Facharzt. Ich weiß immer noch nicht, wie ich ab Oktober beruflich gut weiter machen kann. Ich weiß, ich würde gern hier bleiben können – zumindest glaube ich das jetzt noch, mal sehen, wie es im neuen Team wird, aber das kollidiert mit den Facharztplänen. Und mit den Plänen der Personalabteilung, die haben mir jetzt nämlich nochmal einen Schriebs geschickt, dass ich befristet bis Oktober hier in der Psychosomatik bleibe.
 
Ich glaube, im Alltag realisiert man das oft gar nicht so sehr, weil man irgendwie drin ist in seinem Trott, weil man seine Inseln hat, auf die man hin arbeitet. Erst solche Auszeiten vom Alltag machen mir dann so sehr bewusst, wie sehr ich mir einen Sommer wünsche, durch den ich mal hindurch gleiten kann. In dem die Abende und die Morgen sich die Hand geben, nicht getrennt sind von so vielen Stunden, in denen das Hirn sich fast selbst verdaut mit der Frage, wie es alles gut gehen kann.
Manchmal frage ich mich, ob das Utopie ist. Aber ich weiß, dass ich es mir jedes Jahr wünsche. Am Beginn des Sommers.

Mittwochmorgen.
Die Sektion ist mal wieder einigermaßen vollständig.
Seit heute gibt es meine Gruppe nicht mehr. Die wurde überraschend schon knapp zwei Wochen vor meinem Ende hier aufgelöst.
Ich sage heute Morgen gar nicht viel in der Sektion (was denn auch – ich habe keine Patienten mehr…). Bis die Aufmerksamkeit dann irgendwie doch auf mich fällt. „Also ich habe meine Takte zu diesem Wechsel bei der Chefin gesagt“, erklärt die Funktionsoberärztin. „Ich finde, wenn Jemand aus der Neuro hierher rotiert und sowieso nur eine begrenzte Zeit bleibt, muss man denjenigen nicht noch hin und her schieben.“
Ich höre nochmal aus allen Ecken, dass man das sehr bedauern wird, dass ich gehe und auch ich erkläre nochmal, dass ich das sehr traurig finde.
„Sie können dann ja zurück zu uns kommen, wenn Sie aus der Neuro zurück kommen“, meint die Oberärztin. Und dann entsteht nochmal eine Diskussion über diese ganze Facharztgeschichte, die mich an diesem Morgen so sehr abholt. Es gibt keine Lösungen. Aber die anderen verstehen meine Situation, validieren ganz viel und das hilft schon mal. Gesehen werden in dem was ist, hilft immer.
 
Über den Tag verteilt sammelt sich dann doch einiges an Arbeit bei mir. Entlassgespräche, Aufnahmen, Aufklärungen und am Mittag braucht mich noch eine Kollegin für eine Patientin aus der Tagesklinik, die berichtet hatte, dass sie in der Nacht bewusstlos war. Sie wollte, dass man das neurologisch nochmal ein bisschen exploriert.
Am Abend habe ich noch einiges zu tun. Der Kardiochirurg hat morgen Geburtstag und dementsprechend muss ich noch Geschenke verpacken, einen Kuchen backen und eine Karte schreiben.
Zwischendurch ruft auch noch eine Kollegin aus der Neurologie an. Ich bin da ja immer noch vernetzt. Es gibt eine neue Idee vom Chef. Entgegen dem was er mir im Gespräch gesagt hatte, gibt es ein Zeugnis für die Facharztprüfung nur, wenn man vorher eine interne Prüfung mit dem Chef und zwei Oberärzten bestanden hat. Wenn man allerdings bedenkt, dass das ja mindestens sechs Monate vor der eigentlichen Prüfung sein wird – denn bis dann das Zeugnis fertig ist, bis man den Antrag an die Landesärztekammer geschickt hat und bis die dann einen Termin verteilen vergeht Zeit – sehe ich den Sinn nicht mich ein halbes Jahr auf dem Niveau halten zu sollen, dass ich morgen zur Prüfung gehen könnte. Und ehrlich gesagt glaube ich auch, dass es dazu dient, die Kündigungen zu regulieren. Es haben nämlich schon wieder fünf Leute gekündigt und wenn alle diejenigen, die jetzt Facharzt machen wollen das zeitnah tun würden, würde es noch mehr Kündigungen geben. Aber es ist natürlich eine Überlegung: Wie wichtig ist mir dieser Facharzt und was bin ich bereit dafür zu geben?
Und ich glaube, man muss sich auch immer wieder bewusst machen: Am Ende gibt es dafür keine Richtlinie. 


***

Donnerstag.
Ich frage eine Kollegin, ob wir nochmal über den Facharzt sprechen können mit dem, was da jetzt neu ist. Am Ende sind das auch alles begrenzte Gespräche, weil ich unmöglich alle Aspekte, die da mit rein spielen, beleuchten kann. Menschen die den Blog kennen wissen, was die Neuro für mich für eine Bedeutung hat – die meisten anderen verstehen das nicht. Wobei ich mittlerweile verstehe: Es gibt einen Plan B. Ich muss nicht in die Neuro, wenn das nicht mehr geht. Vielleicht braucht es darüber auch nochmal einen gesonderten Beitrag.

Eine Kollegin kommt heute nicht zur Arbeit, nachdem ihr gestern die Gruppe um die Ohren geflogen ist. „Ich will nicht in ihrer Haut stecken, wenn sie da so unter Druck gerät, dass sie nicht zur Arbeit kommen kann, aber ich habe das gestern schon auch mit ihr besprochen und ihr angeboten, dass wir heute die Gruppe zusammen machen und das klären. Aber wenn sie das Angebot nicht annehmen kann, dann weiß ich auch nicht mehr, was ich da machen soll. Wenn das ihr Selbstwertgefühl so destabilisiert, dann braucht sie eine Therapie und das kann ich nicht machen mit ihr. Ich habe genug zu tun mit den Patienten, ich kann nicht noch Kollegen therapieren“, meint die Funktionsoberärztin dazu.
Ich bin still dankbar, noch nicht in diese Position geraten zu sein.

Am Abend kommt der Kardiochirurg recht spät, aber ich habe in weiser Voraussicht auch schon gekocht, damit wir essen und es uns danach auf dem Sofa bequem machen können.

Und jetzt bin ich gespannt auf heute. Da gibt es noch Selbsterfahrung, ich übernehme die Gruppe von einer Kollegin die in den Urlaub geht und es gibt noch das Gespräch über den Facharzt. Zudem muss ich jetzt mal ein Hotel in Dresden suchen – ich habe nämlich endlich eine Kollegin gefunden, die mit mir aufs Konzert geht. Aber am Wochenende ist das für Anfang Mai jetzt schon gar nicht mehr so einfach. Morgen ist dann Fortbildung in der Neuro über Epilepsie. Es wird nicht langweilig aktuell.

Mondkind


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