Reisetagebuch #3

Donnerstag.
Schlechte Stimmung.
Ganz schlechte Stimmung.
Es sollte ja Flugwetter sein. Allerdings stellte sich dann heraus, dass der Wind zum Starten vom Berg aus immer noch zu stark war und im Tal zu wenig Wind für Ground Handling war. Also haben die Jungs eigentlich seit dem Morgen nur am Fluss herum gesessen und auf Wind gewartet, während ich an der Unterkunft gewartet habe. Der Fluss ist mit dem Auto fünf Minuten entfernt, man hätte mich auch holen können. Da die Jungs ja den ganzen Tag nichts gemacht haben, haben sie auch in der Mittagspause nichts gemacht, sodass wir die auch nicht gemeinsam verbracht haben. Irgendwann um 16 Uhr haben sie es dann aufgegeben und sind wieder zurückgekommen.
Bei uns gegenüber ist noch ein Berg mit einer Kirche am Gipfel. Allerdings hat der Kardiochirurg darauf bestanden, dass es erst neue Wanderschuhe braucht, bevor wir irgendwo hin laufen. Also sind wir erstmal flott in die Stadt gefahren und haben Schuhe gekauft (die Ausgabe war eigentlich nicht vorgesehen in meiner Planung…) und dann sind wir auf den Berg gelaufen. Ich glaube, das musste sein an diesem Tag. Es war die erste Unternehmung in diesem Urlaub, die wir mal für uns hatten  - die anderen haben irgendetwas anderes gemacht – und der steile Aufstieg war eine prima Gelegenheit zum Wut abbauen. Und am Ende konnten wir uns am Berggipfel auch wieder in den Arm nehmen. Am Abend waren wir alle zu fünft noch in einer Pizzeria im Ort. Sie hat wohl nicht umsonst den Ruf als „beste Pizzeria“ – die Pizza war wirklich gut. 

Kirche am Gipfel

Und der Ausblick

Freitag.
Am Morgen ist der Wind immer noch zu stark zum Starten auf dem Berg. Aber auch im Tal stark genug für das Ground Handling. „Wenn Du mit zum Landeplatz kommst, darfst Du den Schirm halten“, sagt der Kardiochirurg. Okay, wenn ich Schirm halten darf, dann komme ich mit.
Zuerst sitze ich bestimmt anderthalb Stunden auf der Wiese und schaue den Jungs zu, wie sie ihre Schirme hoch ziehen, irgendwelche Manöver üben und sie mit einem Zug an den C – Leinen und der Bremse (haha, ich habe was gelernt ;) ) wieder runter ziehen. Dann kommt der Kardiochirurg ziemlich durchgeschwitzt zu mir gelaufen. „Es ist ziemlich viel Wind hier unten“, leitet er ein. „Du hast gesagt, ich darf Schirm halten“, entgegne ich. „Ja, aber es ist Wind.“ Er setzt sich neben mich. „Du hast ihr versprochen, dass sie den Schirm halten darf?“, fragt einer der anderen Teilnehmer. „Ja habe ich – dann muss ich das wohl auch machen“, meint er. „Na gut, wir hängen Dich nicht ein, Du hältst dann einfach die Leinen fest. Wenn der Wind zu stark weht, lässt Du den Schirm einfach los; der kann nicht weg fliegen. Schirm und Pilot sind eine Einheit; fehlt einer von beiden, funktioniert es nicht“, referiert er. „Hier, nimm die Handschuhe“, sagt er, nimmt sie von den Händen und gibt sie mir. „Du hast ihr das wirklich versprochen?“, fragt der andere Typ nochmal, während wir zu seinem Schirm laufen. Er stellt sich hinter mich, drückt mir die Haltegriffe in die Hand und erklärt mir kurz, wie der Schirm aufgebaut ist. Es gibt A-, B- und C – Leinen. Mit den  A – Leinen wird der Schirm gestartet und mit den C – Leinen und der Bremse wieder herunter geholt. „Okay, zieh an den A – Leinen“, fordert er mich auf. Und schwupps, geht der Schirm hoch, der Wind pfeifft ordentlich rein und man muss ihn schon gut festhalten. Der Kardiochirurg zieht die Bremsen, damit der Schirm nicht über unseren Kopf zu anderen Seite wieder runter saust und dann habe ich zum ersten Mal den Schirm in den Händen. Wir ziehen ihn noch ein paar Mal auf und legen ihn wieder ab, ehe ich mich wieder auf die Wiese setze und er nochmal das Starten für den Nachmittag perfektioniert.

Equipment fürs Fliegen

Danach packen wir das Zeug zusammen, tragen es zum Auto und beschließen, dass 26 Grad Außentemperatur ein perfektes Wetter für ein Bad im Fluss sind.
Ich muss sagen – wäre die Soca nicht der blaueste Fluss, den ich je gesehen habe, wäre ich da bei acht Grad Wassertemperatur sicher nicht rein gegangen. Aber, da die Farbe des Flusses so wunderhübsch ist… Vielleicht war das sogar das erste Mal in meinem Leben, dass ich in einem Fluss gebadet habe…? Ich kann mich zumindest nicht dran erinnern. Es war super kalt. Aber auch ganz toll mal wieder irgendwo in freier Natur außerhalb eines Schwimm- oder Freibades im Wasser zu sein. Allerdings nur dosiert und kurz. Ein paar Schwimmzüge, wieder raus, kurz aufwärmen und wieder rein. Und das Ganze vier Mal hintereinander.
Am Nachmittag brechen die Jungs dann auf, fahren auf den Berg und ich gehe in der Zeit zu zwei Wasserfällen. Da war offensichtlich schon länger niemand mehr, der Weg ist jedenfalls ziemlich voll von Gestrüpp und ich habe mich mehrfach gefragt, ob ich mich wohl verlaufen habe. Am Ende gehe ich einfach dem Gehör nach und bin dann schließlich auch erfolgreich. 

Einer der Wasserfälle

Am Abend hören die Jungs draußen noch gemeinsam Musik – was aber ein bisschen nervig werden kann, wenn es wirklich so gar nicht den eigenen Musikgeschmack trifft; sonst bin ich ja voll ein Fan davon, sich einfach mit Boxen irgendwo hin zu pflanzen und die Musik aufzudrehen.

Samstag
Heute ist einer Tage, auf die man hier wohl sieben Tage am Stück gehofft hat.
Am Morgen brechen die Jungs nach dem Frühstück auf und starten vom Berg mit ihren Gleitschirmen. Ich versuche den günstigsten Moment abzupassen, um mich auf den Weg zum Flugplatz zu machen. Besonders toll ist der Weg nicht; ich muss eine Stunde an der Straße entlang laufen, um zum Landeplatz zu kommen. Zeitlich habe ich das aber ziemlich gut abgepasst; kaum bin ich da, landet einer der Jungs und wenig später erspähe ich auch den Kardiochirurgen in der Luft.
In der Mittagspause gehen wir ein Eis essen (erstes Eis des Jahres und es war so gut) und halten die Füße in den Fluss und danach brechen die Jungs zur zweiten Runde auf.
Mehr als Packen wird hier heute mutmaßlich auch nicht mehr passieren und morgen geht es dann zurück in Richtung Heimat. Ich hoffe, dass wir gut durchkommen und nicht zu spät da sind; irgendwer hatte die tolle Idee, man könnte ja morgen Früh noch einen Flug machen. Da der Kardiochirurg ja nun Montag erstmal nicht auf der Arbeit sein soll, hoffe ich nicht, dass er zu der Idee kommt. Denn ich muss sehr wohl auf der Arbeit sein, wahrscheinlich sind meine Schäfchen ein bisschen bedürftig nach einer Woche Abwesenheit – ich habe da schon das Ein oder Andere von einer Kollegin gehört – und da würde ich schon gern ein bisschen schlafen in der Nacht zuvor.
Montagabend habe ich dann noch einen Termin bei der Frau vom Intensiv – Oberarzt. Sie wollte irgendetwas Aufstellungsmäßiges machen – ich finde, wir könnten erstmal den Urlaub reflektieren. Und dann müsste ich irgendwie noch einkaufen am Montag… dummerweise habe ich aber erst ab 20 Uhr Zeit… - trifft sich gut. Nicht. Aber Nudeln mit Pesto gibt es immer. Paar Aufbackbrötchen habe ich auch in weiser Voraussicht in den Schrank gelegt. Und ein paar Äpfel in den Kühlschrank in der Hoffnung, dass die dort gut überleben. (Und wenn der Kardiochirurg wirklich nicht arbeiten muss, kocht er – das denke aber auch nur ich ;) ). Ich komme nicht so gern erst Sonntagabend aus dem Urlaub. Aber in der Psychosomatik ist das okay, habe ich beschlossen. (Und es wäre ohnehin nicht anders gegangen…)
***

Irgendwann holt einen dieser Urlaub dann aber doch wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.
Auch, wenn es eine Woche in einer anderen Welt war. Irgendwie. In gewisser Hinsicht.
Ein bisschen erinnert es mich an diese alten, längst verlorenen Sommerurlaube. Es gab lange keine Urlaube mehr, in denen der erste Blick aus dem Fenster am Morgen auf eine Palme fiel. In denen die Decke morgens irgendwie „zu viel“ war und man sie erstmal weg strampeln musste. In denen man schon im T – shirt am Frühstückstisch sitzen konnte. In denen man am Nachmittag in kleinen Städtchen unterwegs war, die ein bisschen an italienische Küstenorte erinnern. In denen man auf einem Handtuch im Sand lag und einfach nur der Sonne auf dem Körper nachgespürt hat.

Der Kardiochirurg und ich sind nie sieben Tage am Stück nebeneinander eingeschlafen und aufgewacht und es ist so schön, wenn man mal nicht im Kopf hat, dass das gerade diese eine von zwei Nächten im Monat ist.

Und gleichzeitig wartet zu Hause das Chaos. Und der Frühling. Vielleicht kann Letzterer es ein bisschen besser machen. Ich habe mich sehr gefreut auf diesen einen Sommer, in dem ich mal nicht so viel arbeiten werde, dass ich den Sommer nur marginal am Rand mitbekomme. Turns out: Diesen Sommer mache ich mich dann halt mal mit dem Facharzt verrückt. Immer mal etwas Neues.
Der Kardiochirurg hat übrigens festgestellt – bei einem Blick in den Dienstplan für April – dass er nächste Woche auch noch eine Woche Urlaub eingetragen hat. Das hat die Stimmung am heutigen Tag empfindlich gestört, denn geplant war das wohl nicht. (Bei mir im Übrigen auch nicht, er hat nämlich nächste Woche Geburtstag und ich hatte ihn extra gefragt, ob ich da frei nehmen soll – ein dienstfrei zu generieren ist in der Psychosomatik nicht sonderlich schwer – aber er ist ja auch davon ausgegangen, dass er arbeitet. Und es ist ja ziemlich blöd, wenn ich da frei habe und er arbeitet. Dummerweise wollte ich aber am Dienstag noch Kuchen backen und am Montag muss ich dafür noch einkaufen, weil der Kühlschrank natürlich nach einer Woche im Urlaub keine entsprechenden Vorräte mehr hergibt. Zudem habe ich am Samstag auch noch Dienst, weil ich mir dachte, dass sie ihn sicher nicht mit einem freien Wochenende nach dem Urlaub laufen lassen. Also cool ist das alles nicht jetzt…). Es spiegelt aber sein Chaos wieder, mit dem wir ja beide irgendwie leben müssen. Und das uns beiden viel Zeit raubt. Ich bin mir sicher, dass wir morgen Abend nicht wissen werden, wann wir uns wieder sehen und das macht es immer schwer. Und manchmal glaube ich ihm sogar, dass er mich nicht absichtlich versetzt, dass es ihm dann auf den Zeiger geht, wenn ich genervt bin und es mich wieder wütend macht, wenn er seinen Mist nicht auf die Reihe bekommt. Das ist eine Dynamik, von der ich noch keine Idee habe, wie wir sie durchbrechen. Da ist bei ihm auch noch kein Bewusstsein. Es hat schon – nicht in dem Ausmaß, aber in anderen Punkten – so oft Ärger mit diesem Dienstplan gegeben und er schafft es einfach nicht, da mal rein zu schauen, den mit mir zu teilen oder sich sonst irgendwie damit zu beschäftigen.

Und ich muss mich zu Hause auch um einiges kümmern. Da wartet noch Versicherungskram auf mich, der erledigt werden möchte. Ich muss mich um den Facharzt kümmern – auch, wenn ich dazu nächste Woche irgendwie kaum Zeit haben werde. Übernächste Woche ist die andere Vollzeit – Ärztin in unserer Sektion als Abschiedsgeschenk im Urlaub; da wird auch nicht viel passieren können. Und naja… - irgendwie wäre es schön, noch ein paar Dinge mit dem Chef klären zu können, aber ich denke, das wird nicht möglich sein. Erstmal alles so weiter machen wie bisher und hoffen, dass es am Ende passt und gut wird. Mehr kann man wahrscheinlich nicht machen. Und sich damit trösten, dass man die Dinge nie für umsonst lernt. Ein bisschen mehr auf der Platte zu haben in der Neuro, schadet mir sicher nicht.
Und ab Mai… - irgendwie hatte ich mich dieses Jahr ein paar Wochen auf den Mai gefreut. Frühling, Geburtstag, hoffentlich mindestens dieses Wochenende, das wir zusammen haben und an dem er hoffentlich nicht woanders herum springt. Das wäre eigentlich schon beinahe alles, was ich mir zum Geburtstag wünschen würde. Aber nun wartet erstmal ein anderer Job auf mich, wie das mit dem Geburtstag so genau wird weiß keiner… und mutmaßlich sitze ich viel am Schreibtisch.

Ich denk ein bisschen über mich nach.
Manchmal fühlt es sich an, als würde ich mich ein bisschen finden, nach allem was war. Und manchmal fühlt es sich an, wie das komplette Gegenteil. Mit dem ehemaligen Freund wäre ich um ein Haar in den Urlaub zum Trommeln gefahren. Wir hatten das vorher mal ein Wochenende ausprobiert und schlecht war es jetzt nicht unbedingt. Ob ich das jetzt zwei Wochen am Stück gebraucht hätte…? Man weiß es nicht; ich vermute eher nicht.
Mit dem Kardiochirurgen fahre ich halt paragliden. Und wer weiß, irgendwann werde ich vielleicht auch damit anfangen. Jetzt muss man ja sagen – für Jemanden, die mal Pilotin von Verkehrsflugzeugen werden wollte, ist es vielleicht nicht das allerdümmste Hobby. Ohne Impuls von Außen hätte ich mich mutmaßlich nie großartig damit beschäftigt – was schon eine meiner Schwächen ist; ich denke viel nach und mache am Ende wenig.

„Wir müssen uns ja noch etwas für das nächste Mal aufheben“, sagte der Kardiochirurg, als klar wurde, dass wir es nicht mehr schaffen würden an einen großen Wasserfall zu fahren, den wir mal auf einer Wanderung erspäht hatten.
Still habe ich mich gefragt, ob es ein nächstes Mal geben wird. Im Januar, Februar und über weite Teile des März habe ich irgendwie nicht ganz gesehen, dass wir diesen Urlaub hier noch zusammen erleben werden.
Es war recht harmonisch zwischen uns. Im Urlaub. Es gibt manche Situationen, in denen kenne ich ihn einfach noch nicht so gut und dann kommt es auch mal zu Missverständnissen, aber im Großen und Ganzen scheint es der Alltag – vielleicht auch ein berufliches ständiges an der Grenze gehen, insbesondere aktuell bei ihm – zu sein, der uns das Genick bricht.
Ich frage mich still, ob ich auch irgendwann diese Erinnerungen in imaginären Kisten mit mir herum tragen werde. Ob ich irgendwann sagen werde: „Naja, mit dem Kardiochirurgen ist vielleicht für immer ein bisschen Slowenien verbunden, weil ich das erste Mal zusammen mit ihm dort war, weil das der erste Urlaub seit vielen Jahren war, der sich wie ein Sommerurlaub angefühlt hat, weil das ein Stück Sommer inmitten des Frühlings war.“ (Alleine würde ich natürlich niemals bis nach Slowenien fahren; ich hätte nicht mal gewusst, dass man für Slowenien eine Vignette braucht, bei Österreich weiß man das ja noch…).

Und wenn man es ganz krass bis zu Ende denkt, dann steht irgendwie nach Tagen wie diesen immer die Frage im Raum: Ist das wiederholbar? Können wir unser „Wir“ durch die nächsten Wochen und Monate tragen?
Ich habe ein bisschen Angst vor morgen Abend.
Denn das hier war eine wunderbare Auszeit. Wirklich sehr gebraucht und wirklich besser, als erwartet. Und irgendwie wollte ich es ja nicht glauben, aber räumlicher Abstand bringt echt etwas. Irgendwie kaum zu glauben, dass wir beide bis letzten Samstagfrüh gearbeitet haben und ich den ganzen Samstag geflitzt bin wie ein Wiesel, um alles zu schaffen.
Aber all das was vorher war, lauert eben schon wieder.

Mondkind


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